Seite:Die Gartenlaube (1886) 654.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Mißerfolg der Verhandlungen mit der Familie nicht mehr zu bezweifeln war, bei mir einlief:

„Liebes Kind! Erinnerst Du Dich der Scene auf dem Pennal, als ich Dich aus einer Schar Deiner Widersacher heraushieb, damit Du Deinen Handel mit meinem Bruder aussuchten könntest, möglicherweise auf Kosten des brüderlichen Riechorgans, denn Du warst für Deine Jahre ein guter Faustkümpfer – trotz Polydeukes, oder wie der Kerl hieß. Diesmal handelt es sich nicht nur um Astolf. Nachdem Elliuor etwa fünf Jahre mit ihm so gut wie verlobt gewesen, erscheint der Bruch, welcher denn doch allem Anschein nach in erster Linie um Deinetwillen stattgefunden, als ein Schlag, der die ganze Familie um so empfindlicher trifft, als er von Jemand ausgeht, der, wie es sich jetzt herausstellt, halb und halb zur Familie gehört und deßhalb alle Ursache gehabt hätte, die halbe Zugehörigkeit durch doppelte Loyalität gegen notorische Familienbeschlüsse in Vergessenheit zu bringen.

Und so, liebes Kind, wenn Du nicht eben Du wärest, würde ich es für meine Pflicht halten, da Astolf sich in der Sache nicht gut rühren kaun, an seine Stelle zu treten und Dir für den bewußten Familiennanenstüber die hübschen Ohren abzuschneiden.

So muß ich mich damit begnügen, Dir zu sagen, daß, wenn ich Dich auch, wie es scheint, persönlich lieb behalten soll, unsere Wege von nun an auseinander gehen und ich den Himmel sehr ernsthaft bitte, er möge es gefälligst so einrichten, daß sie sich nicht wieder kreuzen. Denn ich meine, wir sind jetzt quitt, und ein abermaliger Spahn, den wir zusammen hätten, müßte aus einem neuen Kerbholz gehauen werden.

Uebrigens wünsche ich Euch Beiden aufrichtig alles nur mögliche Glück, wie ich es denn für eine der größten Niederträchtigkeiten meines Unsterns halte, daß er mir zwei so liebste Menschen, wie Ihr Beide seid, so nahe gebracht hat, nur um mir einen Knüttel zwischen die Beine zu werfen, über den ich, wie ich nun einmal bin, stolpern muß, und – hol’ es und Euch der Teufel! Ulrich.“

Ich wollte dem alten Freunde einen langen Brief schreiben, aber ich unterließ es. Was sollte es helfen?

So war das Tuch zwischen uns und den Vogtriz zerschnitten, bevor wir uns noch zu Tisch gesetzt. Es that mir um Ellinor’s willen leid; für meine Person konnte ich mit dem Ausgang nur zufrieden sein. Nach meinen traurigen Erfahrungen mit Ulrich mußte mir jede auch nur erträgliche Stellung zu der übrigen Sippe undenkbar erscheinen. Der Oberst theilte meine Auffassung, wie er ja die Zerwürfnisse, welche entstehen würden, sobald meine Mutter sich öffentlich zu mir bekannte, vorausgesehen und vorausgesagt hatte.

„Ich bin glücklich,“ sagte er, „daß für Euch Beide die Natur wieder in ihre Rechte eingesetzt ist; aber wir können von den Leuten die Sanktion von Verhältnissen nicht verlangen, die nun einmal in die bürgerliche und nun gar in die adlige Ordnung nicht passen. Wer revolntionirt, muß sich auch bereit halten, gnillotinirt zu werden.“

Aus solchen und ähnlichen Worten klang der tiefe Schmerz des Mannes, welchen ihm denn doch die Folgen seiner Auflehnung gegen das militärische Credo bereiteten. Es erfüllte mich mit Wehmuth, wenn ich sah, wie er scheu verstohlen die bürgerliche Kleidung musterte, mit der er nun für immer die Uniform vertauscht hatte; oder wie sich auf der Straße – besonders zum Anfang – seine Hand unwillkürlich nach der Kopfbedeckung bewegen wollte, so oft ihm Soldaten, Officiere begegneten; wie sein Blick sich verdüsterte, wenn er bemerken mußte, daß von den letzteren so mancher bei der Begegnung ihm geflissentlich auswich. Das waren ja an und für sich Kleinigkeiten, die ihn aber doch täglich und stündlich an die ungeheuren Opfer erinnerten, die er seiner Ueberzeugung hatte bringen müssen. Freilich aber auch daran, daß es für ihn keinen Stillstand auf dem betretenen Wege gab und er nur die Wahl habe zwischen bitterer Reue oder der Verfolgung seiner Ueberzeugung bis zu den letzten Konsequenzen.

Da war denn freilich ein täglich inniger werdender Verkehr zwischen ihm, Graf Pahlen und Adalbert unausbleiblich. Die Herren tauschten in stundenlangen Zusammenkünften ihre Ansichten über die socialen und militärischen Dinge aus und gelangten endlich so weit, daß sie an eine Redaktion der gewonnenen Resultate denken konnten, welche nun dem Publikum in Form einer Reihe von Broschüren im Anschluß an jene beiden ersten von Pahlen und Adalbert herausgegebenen mitgetheilt werden sollten.

2.

Es war zwischen Ellinor und mir das souderbarste Verhältniß eingetreten, in welchem wir weder uns selbst, noch Eines das Andere recht begriffen, sondern wie im Dunklen tappten, uns einander suchend, ohne uns finden zu können.

Es war zu plötzlich gekommen, zu gewaltsam jede Schranke überstürzend, hatte uns zu hoch über uns selbst, zum wenigsten über alles Kleine in uns hinausgehoben; wir waren für einen Augenblick Götter gewesen und – sollten nun wieder Menschen sein, denen ein unermeßliches Geschenk ward und die sich sagen, daß sie desselben nie werden froh werden, wenn sie es sich nicht nachträglich durch eigene Anstrengungen ehrlich verdienen.

Wir versuchten zwar, uns redlich und eifrig die Sorge Wegzureden und zu beichten, daß das Geständniß unsrer Liebe nicht etwa der Ueberschwall einer augenblicklichen Leidenschaft gewesen, sondern aus einer tiefen unversiegbaren, nur lange Jahre verschütteten Quelle geflossen sei. Dennoch stand noch Etwas zwischen uns, was uns verhindern wollte, unsrer Liebe junges Glück mit vollen Zügen zu trinken.

Ich dachte schaudernd an den Blick, mit welchem Ellinor mich angesehen – wie einen Irrsinnigen oder Jemand, der sich einen unziemlichen Scherz mit ihr erlaube – als ich ihr sagte, daß ich Tischler sei. Wie würde sie mein Geständniß aufnehmen, daß wiederum mich der Reichthum meiner Mutter mit Schauder erfülle und bei mir der Entschluß fest stehe, lieber wieder Handwerker zu werden, als diesen Reichthum jetzt oder je als mein eigen zu betrachten und zu genießen!

Und hier war es wieder meine Mutter, welche, ohne daß wir ihr unsere Noth geklagt hätten, in unseren Seelen klarer las als wir selbst, und es deßhalb unternehmen konnte, unsere Köpfe in Einklang zu bringen wie unsere Herzen.

Sie begann ihr Werk damit, daß sie sich erst einmal der Liebe Ellinor’s versicherte, was der Liebenswürdigen um so leichter fallen mußte, als die beiden Frauen, welche in dem Charakter ihrer Schönheit und ebenso in ihrem geistigen und gemüthlichen Wesen vielfache Ähnlichkeit hatten, so daß sie sehr wohl für Mutter und Tochter gelten durften, jetzt auch wie Mutter und Tochter zusammen hausten und lebten. Denn Ellinor war, noch während die Verhandlungen zwischen den paktirenden Mächten schwebten, der Einladung meiner Mutter folgend, aus dem Hause der Generalin zu dieser übergesiedelt und hatte damit das Zeichen zu dem auch sonst unvermeidlichen Bruch gegeben. Ellinor war weit entfernt, die Absicht auch nur zu ahnen, in welcher meine Mutter sie so zu einer Vertrauten machte, vor welcher man zuletzt keine Geheimnisse mehr hat. Ich aber sah mit Lust, wie das Band der Freundschaft zwischen ihr und der Mutter sich täglich fester und fester knüpfte, ohne daß dabei meine Herzensschwester leer ausging, sie, die so würdig war, in den Bund aufgenommen zu werden, welcher dadurch für mich erst zu einem vollkommenen wurde und mich vollkommen beglückte.

Ja, es war ein vollkommenes, ein unsagbares Glück für mich, das ich jetzt täglich genießen durfte, diese drei Frauen einträchtiglich bei einander zu sehen, von denen jede eine höchste Liebenswürdigkeit, ich möchte sagen: die Vollendung ihres Geschlechts in ihrer Weise, verkörperte, und die dabei keine leiseste Spur von Eifersucht gegen einander im Busen hegten, sondern von denen eine die Vorzüge der anderen neidlos anerkannte und enthusiastisch pries. Und wenn mir dennoch meine Mutter in diesem harmlosen Wettstreit der Schönheit und Anmuth den Sieg davon zutragen schien, so mochte das ja auf Rechnung einer Liebe kommen, die zu lange schmerzlich gedarbt hatte, um sich jetzt im Ueberschwaug der Erfüllung nicht zu berauschen. Aber auch Graf Pahlen, von dem ich wohl annehmen durfte, daß er die Frauen viel besser kannte als ich, und der doch auch gewiß Adele mit der ganzen Gluth seiner scheinbar so kühlen, im Grunde

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_654.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2018)