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3.

Bei „Emil Israel und Frau Lili, geb. Löbinska“ war Gesellschaft zur Feier der Aufführung des „Thomas Münzer. Trauerspiel in fünf Akten von Lothar Lorenz“ auf dem X.-Theater. Daß die Premiere eine erfolgreiche sein würde, dafür hatte sich mein Freund Lamarque verbürgt; daß die Gesellschaft nur aus den mitwirkenden Künstlern, dem Verfasser, seiner Mutter und den Jsrael’schen Familiengliedern bestehen sollte, hatte mir Frau Lili, als Bedingung, unter welcher wir die Einladung annehmen könnten, in die Hand versprochen. Lamarque hatte sein Wort eingelöst. Die Aufführung war nicht nur bei guter Besetzung des überaus großen Hauses glatt vor sich gegangen, sondern, nachdem das Publikum sich erst an das Fremdartige des Stoffes gewöhnt, von Akt zu Akt mit immer steigendem Beifall begleitet, am Schluß durch Hervorruf des Autors und sämmtlicher Darsteller geehrt worden. Nicht ganz so ernsthaft hatte es Frau Lili mit ihrem Versprechen genommen: das bewies die endlose Schar galonnirter Diener, welche die von Licht strahlende Marmortreppe zu beiden Seiten hinauf standen und vor den an ihnen vorüberschreitenden Gästen pagodenartige Verbeugungen machten; das bewies das Gewimmel dieser Gäste, mit dem wir, als wir eine Stunde nach Beendigung des Theaters eintrafen, die goldgleißenden Räume bereits erfüllt fanden.

„Es ist wahrlich nicht meine Schuld, theure Frau,“ versicherte Frau Lili abwechselnd in französischer, englischer und deutscher Sprache meiner Mutter, die sie an der Eingangsthür empfangen hatte; „ich versichere Sie: Jedermann bemühte sich, den Helden des Tages zu sehen. Sie kamen zu Dutzenden und quälten mich mit Bitten um Einladungen. Ich Aermste! Was sollte ich thun?“ Zu mir aber sagte sie, mich auf die Seite ziehend: „Zürnen Sie mir nicht! Emil hat es so gewollt – zu Ehren Ihrer reizenden, Ihrer entzückenden Mama. Großer Gott, wie ist sie schön! – Und nun – lassen Sie mich Ihnen noch die Hand drücken für Ihre Komödie! Ich bin entzückt, ich schwärme für dieselbe wie alle Welt.“

Meine Mutter hatte zu diesen Ueberschwänglichkeiten gelächelt; ich that es ebenfalls: wir waren beide in der Stimmung, zu Allem gute Miene zu machen, nachdem uns das Glück heute Abend ein so unverhofft freundliches Gesicht gezeigt.

Denn ich habe von den Sorgen und Aengsten nicht sprechen mögen, welche ich während der Tage vor der Aufführung und nun gar heute während derselben empfunden. – Für mich hatte das Göttergeschenk – denn als solches betrachtete ich den Erfolg – eine tief ernste Bedeutung. Es war mir ein Pfand, daß mich die Himmlischen lösen wollten aus einer Nothlage, von der ich ebenfalls bis jetzt nur andeutungsweise habe sprechen mögen, so grausam ich auch diese ganze Zeit durch sie gelitten hatte: durch die scheinbare Aussichtslosigkeit meines brennenden Wunsches, mir einen eigenen Herd gründen zu können, ohne abhängig zu werden oder zu bleiben von dem Reichthum meiner Mutter.

Sah meine Mutter diesen dunklen Flecken nicht in der jetzigen Sonne meines Glückes? wollte sie ihn nicht sehen? Ich konnte es nicht herausbringen, denn sie ging jeder Erörterung der kritischen Frage geflissentlich aus dem Wege. Auch heute Abend hatte sie es gethan, als wir mit Ellinor aus dem Theater nach dem Hôtel zurückgekehrt waren und ich in ihrer und Ellinor’s Gegenwart Zukunftspläne für uns beide baute auf dem Fundament meiner schriftstellerischen Thätigkeit, zu welchem der Erfolg heute Abend den sicheren Grund- und Eckstein geliefert haben sollte. Sie hatte dazu nur still gelächelt und Ellinor, die zu Hause blieb, beim Weggehen ein paar Worte ins Ohr geflüstert, über die wiederum Ellinor gelächelt hatte. Es hatte mich ein wenig verstimmt, und wir waren auf der Hinfahrt zur Gesellschaft schweigsam gewesen, bis die Mutter kurz vor dem Aussteigen sagte: „Es wird sich das Alles finden, Lothar. Ich bin nicht so thöricht, Dich nach meiner Façon glücklich machen zu wollen, wobei ja auch nichts herauskäme. Du mußt es und kannst es nur nach der Deinen werden, das versteht sich; aber vielleicht sind beide Façons nicht so verschieden, wie Du glaubst.“

Das tröstliche Wort hatte mir den gestörten Seelenfrieden wiedergegeben, und so durfte denn auch ich mit heiterer Seele Frau Lili’s zweifellos erlogene Entschuldigungsgründe gelten lassen und Emil, der nun herangetreten war, uns zu begrüßen und mir seine Glückwünsche darzubringen, die fleischigen, heute in neue Glacés gezwängten Hände freundschaftlich drücken.

„Du bist doch ein glücklicher Mensch,“ sagte er, „aber ich gönne es Dir von Herzen.“

Das klang noch gerade so wie damals, wenn ich ein gutes Extemporale geschrieben hatte und er eines, das von Fehlern wimmelte. Ich sagte es ihm lachend; er erwiderte ernsthaft: „Es ist auch so. Ich wollte manchmal, ich wäre wieder der arme Junge, für den ich mich damals hielt, und wir spielten wieder auf dem Wall über Eurem Garten. Das waren glückliche Zeiten!“

„Bis auf die Piraten, Emil!“

Er lächelte noch immer nicht, und sein Blick glitt durch die Gläser des Kneifers, der jetzt auf seiner langen Nase schwankte, seitwärts auf seine Frau, welche in einiger Entfernung von einer Gruppe Herren umgeben stand, unter denen ich auch Mr. Fred Simmen entdeckte. Es schoß mir durch die Seele, ob er nicht etwa diesen englischen Vetter noch mehr fürchtete als die nordischen Piraten weiland, und mit mehr Grund; aber es blieb mir keine Zeit, diesem Gedanken nachzuhängen, denn wir waren alsbald von einem Schwarm Menschen umgeben, Herren und Damen, die sich an den Gastgeber herandrängten, bittend, mich mit ihnen bekannt zu machen. Die einen waren selbst im Theater gewesen, die anderen hatten bereits „von dem großen Erfolge gehört“. Sie waren einstimmig der Ansicht, daß es der größte der ganzen Saison sei, und daß man von diesem Tage eine neue Aera datiren müsse, welche ja denn auch der mit jedem Jahre mehr verflachenden dramatischen Kunst bitter noth gethan habe. Das wollte ein Jeder empfunden, ein Jeder tausendmal gesagt und sich nach dem Retter umgeschaut haben, den man nun in mir freudig begrüßte. Es sei ein Pathos in meinem Stück, wie in den besten Scenen der „Räuber“, nur daß es auch wieder der naiven Einfachheit und treuherzigen Biederkeit nicht ermangele, die nicht an Schiller, sondern an Goethe mahne – an den Goethe des „Götz von Berlichingen“, ohne eine Spur sklavischer Nachahmung selbstverständlich weder nach der einen, noch nach der anderen Seite. Im Gegentheil! Wenn je in dem letzten Jahrzehnt – und länger, viel länger, man dürfe getrost sagen: seit Kleist! ein originelles Stück geschrieben sei, so sei es dies – ein Werk, das nicht wieder vom Repertoire verschwinden werde, so lange es noch eine deutsche Schaubühne gebe!

Mit solchen tönenden Reden wurde ich von allen Seiten überschüttet, daß ich mir hätte an die Stirn fassen mögen, ob denn da wirklich ein unsterblicher Lorbeerkranz throne, oder ob mir nicht ein neckischer Zauber statt des eigenen einen Eselskopf auf die Schultern gesetzt habe, und man mich ungestraft verhöhnen zu können glaube. Aber die Herrschaften blieben dabei ganz ernsthaft; besonders die Frauen überboten sich in entzücktem Eifer.

Dennoch begrüßte ich Lamarque, dessen schwarze Augen jetzt durch das Gedränge funkelten, als meinen Befreier aus schwerer Bedrängniß. Er, das wußte ich, war gegen solche Pfeile und Schleudern rücksichtsloser Lobhudelei ganz anders gewappnet als ich. Und war denn wirklich etwas Löbliches an der Sache, so verdiente er davon sein gemessenes Theil: er, der in Wahrheit das unbekannte, von dem Autor selbst aufgegebene Stück auf die Bühne gebracht, es meisterhaft inscenirt und in der Titelrolle desselben sich selber übertroffen hatte. Die Meute der Lober hatte den genialen Mann denn auch kaum erspäht, als sie, von mir ablassend, heißhungrig über die neue Beute herfiel. Ich aber, der ich mich plötzlich unbeachtet sah, schlich mich gern aus dem überlauten Kreise, um sofort von einer jungen, sehr schönen, sehr elegant gekleideten Dame angehalten zu werden, die ich vorhin an Lamarque’s Arm hatte eintreten sehen und in der ich jetzt Christine Hopp kaum wieder erkannte. Seit jenem Abend auf der Straße waren wir uns nicht mehr begegnet. Sie hatte anfänglich in meinem Stücke ihr erstes Debüt machen sollen; dann hatte Lamarque den Plan wieder fallen lassen. Meine Heldin müsse durchaus von einer ganz fertigen Schauspielerin gespielt werden, nicht von einer Anfängerin, und wäre sie noch so talentvoll.

„Warum hat er mir dann nicht eine kleinere Rolle gegeben?“ sagte Christine, indem wir nun die Angelegenheit durchsprachen. „Ich hätte so gern in dem Stücke mitgespielt! Aber ich glaube, ich komme bei ihm nie zum Spielen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_658.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)