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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Ludwig II.

1.

Ein König warst Du in der Träume Land,
Dem unermeßlichen, dem weltentrückten,
Doch des Geschickes finstre Mächte drückten
Ein irdisch’ Scepter früh in Deine Hand;

Und auf die Stirne Dir ein golden’ Band,
Ach, viel zu schwer der Schwärmerstirn! – Es bückten
Die Großen sich vor Dir; den Hochbeglückten
Pries Dich das Volk, das Deinen Thron umstand.

Ein kurzer Rausch von Freundschaft, Liebe, Macht
Liest Dich erkennen, daß sie alle trügen
Und daß der Erde Glück ein eitler Tand;

Da suchtest Du in wilder Hochlandspracht
Die Einsamkeit und schriebst in Marmorzügen
Dein Traumbekenntniß an die Felsenwand.

2.

Doch ach, so hoch ragt keine Felsenwand,
Daß sie der Erde Fesseln Dich entrücke,
Und schlügst Du über Wolken Deine Brücke,
Sie trägt Dich nicht in Deiner Träume Land.

Dein Sehnen war ein ferner Inselstrand
Im blauen Meer, fern von Verrath und Tücke,
Ein Zufluchtsort, so wähntest Du, dem Glücke,
Den viele suchten und den keiner fand.

Und als im Sehnsuchtsdrang, der nimmer ruht,
Vergebens Du gespäht von Pol zu Pol,
Schon von des Wahnsinns Nacht das Haupt umwunden,

Sprangst Du verzweifelnd selber in die Fluth:
Du königlicher Taucher fahre wohl,
Ludwig fahr wohl, Du hast den Strand gefunden!

Karl Hecker.




Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)

In den endlosen Geschäftsräumen waren einzelne Lampen angezündet, die ihr melancholisches Licht über die verlassenen Zahltische und in die verödeten Drahtgitterlauben warfen. Mein zögernder Schritt hallte unheimlich laut; und da kam mir, der ich schon die Richtung verfehlt zu haben glaubte, der eilige Schritt eines Anderen entgegen: des jungen Mannes von Vorhin. Er war aber jetzt in Hut und Ueberzieher und hatte ein paar Papiere in der Hand. Ob mir Herr Löbinsky nicht folge? Der jonge Mann wartete eine Antwort nicht ab, sondern rannte so weiter. In dem Augenblicke wurde eine Thür geöffnet, aus welcher ein Heller Lichtschein drang; Emil stand aof der Schwelle.

„Bist Du’s, Jakob?“

„Nein, ich bin’s: Lothar.“

„Gott, wie kommst Du hierher?“

„Hat Dir der junge Mann nicht gesagt?“

„Nein. Aber es ist mir ganz recht, ganz recht.“

Wir waren in dem Komptoir. Die beiden Gasflammen über dem großen Arbeitstisch waren angezündet; auf dem Tische waren die neulich so sauber aufgeschichteten Briefe und Papiere wirr durch einander geworfen. Der große eiserne Geldschrank stand weit offen. Emil war noch in Frack und weißer Binde, aber die Binde hatte sich verschoben, daß der Knoten fast im Nacken faß, und die eine Hälfte des Stehkragens war herabgebogen, als ob ihn Jemand am Halse gewürgt hätte. Die vorhin in der Mitte gescheitelten, sorgsam geglätteten schwarzen Haare starrten ihm wild um den Kopf; aus dem bleichen und ganz verzerrten Gesicht glotzten die blöden Augen gläsern ins Leere. So hing der Aermste in dem Stuhl vor dem Schreibtisch, von welchem er sich, als er den Schritt draußen hörte, erhoben haben mochte und in den er nun kraftlos zurückgetaumelt war.

„Emil, was giebt es? was hast Du?“

Ich mußte die Fragen mehrmals wiederholen, bis er endlich langsam den Kopf nach mir wandte und mich mit einem irren Lächeln anblickte.

„Aber Mensch, so sprich doch!“

„Gleich, gleich! Es ist nichts. Ich bin – wir sind ruinirt.“

Und der Aermste brach, sich die Hände vor das Gesicht drückend, in ein krampfartiges Weinen aus.

Ich legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Emil! bist Du ein Mann? Erstens glaube ich es nicht, daß Du ruinirt bist; und wenn es wäre, ist das ein Grund, sich so zu gebärden? Schäme Dich!“

„Es ist nicht um mich,“ stöhnte er. „Ich – ich – aber Lea – Lili – sie erträgt es nicht.“

„Dann läßt sie’s bleiben!“ rief ich wüthend.

Meine Heftigkeit hatte ihn aus seinem Jammer aufgeschreckt.

Er stierte mich fragend an.

„Dann geht der ganze Firlefanz da oben zum Kuckuck,“ fuhr ich fort. „Ich müßte mich sehr irren, oder Du hast wenig Freude daran gehabt. Du wirst Dich schon wieder in die Höhe bringen, wenn’s denn doch gar so schlimm ist. Kann sie’s nicht abwarten, Lea oder Lili – nun, desto besser für Dich, wollte sagen: so ist sie’s auch nicht werth, daß Du Dich ihrethalben grämst und quälst.“

„Und die Mutter und Jettchen!“ murmelte er. „Jettchen hat es immer gesagt. Sie wird’s nicht lange überleben. Das ist ein Trost.“

Der Augenblick war da, wo ich es ihm sagen mußte. Weßhalb nicht? Er war offenbar in einer so verzweifelten Stimmung, daß er auch das hören konnte.

„Emil!“ sagte ich. „Wenn es Dir ein Trost ist, daß Jettchen es nicht lange überlebt – sie hat es nicht mehr erlebt. Sie ist todt.“

Mir stürzten dabei wider Willen die Thränen aus den Augen.

Aber ich hatte ihn so hart wegen seines weibischen Wesens angefahren; er sollte mir den Vorwurf nicht zurückgeben dürfen.

Der Zwang, den ich mir anthat, war umsonst gewesen: er hatte, wieder vor sich hinstarrend, mein Weinen gar nicht bemerkt. Ich war nicht einmal sicher, ob er die Trauerbotschaft vernommen habe; aber wiederholen mochte ich sie nicht.

„Wo nur Jakob bleibt!“ murmelte er, ängstlich nach der Thür sehend und dann mit zitternder Hand die Uhr hervorziehend: „Halb zwei! Großer Gott! die Depeschen nach London müssen fort.“

„Ich will versuchen, Dir Deinen Schwager herbeizuschaffen,“ sagte ich, mich erhebend.

„Nein, nein, bleib’!“ rief er ängstlich. „Er wird schon kommen, Du mußt bleiben, bis er kommt. Er ist an Allem schuld; er und seine Brüder und sein Vater. Ich habe genug gewarnt.“

„Aber um was handelt es sich eigentlich?“ fragte ich.

„Eine Spekulation,“ sagte er, „eine ungeheure, die, wenn sie einschlug – aber sie ist nicht eingeschlagen, fehlgeschlagen gänzlich – hoffnungslos! Wir haben Differenzen zu zahlen in die Millionen, dazu andere gräßliche Nachrichten. Der Bankrott von zwei großen Firmen in New-York, mit denen wir arbeiteten die wieder bei uns mit Millionen zu Buch standen. Aber ich fürchte, Du würdest es nicht verstehen, wenn ich Dir das klar zu machen versuchte. Ich selbst kann es nicht übersehen; es ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_672.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2022)