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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 39.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Das Reval’sche Haus bildete eine Art Mittelpunkt für die Geselligkeit der Hauptstadt, der gern und vielfach aufgesucht wurde. Man fand dort stets einen auserlesenen Kreis, in welchem neben dem Geburtsadel auch die Geistesaristokratie zahlreich vertreten war. Der Oberst und seine Gemahlin setzten ihren Stolz darein, die bedeutendsten Persönlichkeiten der Kunst und Wissenschaft zu den Freunden ihres Hauses zu zählen, und ihr Reichthum erlaubte ihnen, die Gastfreundschaft in großartigem Maßstabe zu üben.

Am heutigen Abend versammelte eine größere Festlichkeit noch einmal am Schluß des Winters den ganzen Freundes- und Bekanntenkreis. Sie gestaltete sich hier, in den weitläufigen, prachtvollen Räumen um vieles glänzender, als in dem verhältnißmäßig einfachen Sommersitze zu Elmsdorf, und auch die Gäste waren weit zahlreicher. Die Gesellschaft wogte durch die lichterfüllten Zimmer und Säle; man begrüßte sich; man lachte und plauderte. Auf den Festlichkeiten des Reval’schen Hauses lag immer eine besonders heitere, angeregte Stimmung. Das zeigte sich auch heute, und unter all den unbedeutenden und gleichgültigen Erscheinungen, die jede größere Versammlung aufweist, erblickte man auch manche schöne Frauengestalt, manchen ernsten bedeutenden Männerkopf. Es hatte sich in der That Alles zusammengefunden, was irgendwie auf Bedeutung Anspruch machen konnte.

General Steinrück, den eine langjährige Freundschaft mit dem Oberst verband, war mit seiner ganzen Familie erschienen, und man hatte auch die Aufmerksamkeit gehabt, den Bruder der Gräfin Hortense, den Marquis von Montigny einzuladen.

Selbst Professor Wehlau, der sonst die großen Gesellschaften nicht liebte und sich ihnen soviel wie möglich entzog, hatte diesmal eine Ausnahme gemacht und war mit seinen beiden Söhnen gekommen. Hans blieb jedoch vorläufig noch unsichtbar, er stellte die lebenden Bilder, die einen Theil des Festes ausmachten, und hatte die Regie der Vorstellung übernommen, während Michael seine Theilnahme daran bestimmt verweigert hatte und nur als einfacher Gast erschien.

„Auf ein Wort, lieber Rodenberg!“ sagte der Oberst halblaut, indem er den Hauptmann auf einen Augenblick bei Seite zog. „Haben Sie

Der Luisen-Tempel im Schloßpark zu Hohenzieritz.
Nach einer Photographie.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_685.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)