Seite:Die Gartenlaube (1886) 690.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Sie blickte mitleidig auf ihre Schutzbefohlene, die sonst dergleichen Vorwürfe schüchtern und schweigsam hinzunehmen pflegte; heute aber öffnete Fräulein Gerlinde die Lippen und that zur Verwunderung der Gräfin den weisheitsvollen Ausspruch:

„Ja, liebe Tante, ich werde es lernen, denn im neunzehnten Jahrhundert muß man dem Zeitgeist Rechnung tragen und die Dinge nehmen, wie sie sind!“ –

Der Marquis von Montigny hatte inzwischen seine Schwester gesucht und gefunden. Sie saß in einem der Nebenzimmer und war in lebhaftem Geplauder mit Frau von Nérac begriffen, während Henri von Clermont eben so lebhaft daran theilnahm. Er schien die beiden Damen vortrefflich zu unterhalten, und sie lachten eben über eine seiner Bemerkungen, als Montigny herantrat.

„Da bist Du ja, Leon!“ rief ihm die Gräfin heiter entgegen. „Ich brauche Dir wohl unsere Landsleute nicht erst vorzustellen, Du kennst sie jedenfalls schon von der Gesandtschaft her.“

Die Blicke der beiden Männer begegneten sich. Clermont’s Auge sprühte einen Moment lang im wildesten Hasse, dann aber verneigte er sich höflich; Montigny bewahrte seine kühle vornehme Ruhe, als er den Gruß zurückgab und gelassen sagte:

„Jawohl – wir kennen einander!“

Er wandte sich zu Frau von Nérac, um auch sie zu begrüßen; es geschah mit vollendeter Artigkeit, aber trotzdem mußte etwas darin liegen, was die junge Frau verletzte, denn auch ihr Auge flammte auf, obwohl zugleich das liebenswürdigste Lächeln um ihre Lippen spielte.

„Gewiß kennen wir uns,“ wiederholte sie. „Wir hatten sogar vorgestern das Vergnügen, den Herrn Marquis bei uns zu sehen.“

„Wie, Leon, das hast Du ja gar nicht erwähnt, als ich gestern von Frau von Nérac sprach,“ sagte Hortense unbefangen.

„Ich hatte nicht das Glück, die gnädige Frau zu sehen,“ versetzte Montigny mit einer Kälte, die sogar seiner Schwester auffiel. „Allerdings galt mein Besuch ihrem Bruder, mit dem ich mich über eine Angelegenheit von Wichtigkeit zu verständigen wünschte. Sie haben meine Bitte doch nicht vergessen, Herr von Clermont?“

Die Hand Henri’s vergrub sich krampfhaft in die Polster des Sessels, an dem er stand, aber er erwiderte anscheinend ruhig:

„Nein, Herr Marquis – solche Dinge vergißt man nicht.“

„Das ist mir lieb. Ich darf also darauf rechnen, daß die Sache in der besprochenen Weise erledigt wird. – Darf ich Dich bitten, Hortense? Man geht soeben zum Büffett.“

Er bot seiner Schwester den Arm, verneigte sich leicht gegen Frau von Nérac und führte die Gräfin fort. Als sie das Zimmer verließen, beugte sich Henri zu der jungen Frau nieder und sagte in einem Flüstertöne, dem man die heftige Erregung anhörte:

„Was fällt Dir ein, Heloise? Du weißt es ja, weßhalb Montigny kam, Du hast ja im Nebenzimmer die ganze Unterredung mit angehört; wie konntest Du es wagen, das zu erwähnen!“

Die Lippen Heloisen’s kräuselten sich verächtlich, aber auch ihre Stimme sank zum Flüstern herab, als sie erwiderte:

„Du scheinst diesen Montigny sehr zu fürchten.“

„Und Du bist tollkühn genug, ihn zu reizen. Ich dächte, Du hättest seine Worte so gut verstanden wie ich, und Du kennst seine Drohungen –“

„Die er nicht ausführen wird.“

Henri warf einen Blick umher, das Zimmer war leer geworden, Alles brach zum Büffett auf. Trotzdem behielt er den gedämpften Ton bei, als er weiter sprach:

„Vergißt Du, daß wir in seinen Händen sind? Er braucht in der That nur ein Wort zu sprechen –“

„Er darf es aber nicht sprechen; es könnte ihm theuer zu stehen kommen. Wenn man uns preisgiebt, giebt man sich selber preis und enthüllt Dinge, die geheim zu halten man alle Ursache hat. Du bist ein Thor, Henri, Dich durch solche Drohungen schrecken zu lassen. Montigny muß schweigen, er setzt seine eigene Stellung aufs Spiel, wenn er die unserige angreift. Man würde ihm eine derartige Enthüllung nie vergeben.“

„Gleichviel, so kann er uns beim Gesandten gefährlich werden und dort unsere Stellung untergraben, sie ist ohnehin unsicher genug. Wir müssen wenigstens scheinbar nachgeben und vorläufig auf die Besuche Raoul’s verzichten.“

„Glaubst Du, daß er darauf verzichten wird?“ fragte Heloise mit leisem Hohne.

„Das steht bei Dir. Du brauchst nur eine Scene herbeizuführen, die ihn auf einige Zeit fern hält, und Du wirst das thun.“

„Auf Befehl des Herrn von Montigny – nein!“

„Heloise, nimm Vernunft an! Du mußt hier Deine persönliche Empfindlichkeit unterordnen, ich gebe Dir das Beispiel dazu.“

„Ja, nur allzusehr! Ich hätte mir trotz alledem das nicht sagen lassen, was Montigny Dir sagte und was Du – hinnahmst.“

„Glaubst Du, daß es ihm geschenkt ist?“ fragte Clermont finster. „Ich warte meine Zeit ab. Wir werden noch abrechnen mit einander. – Doch jetzt komm zur Gesellschaft; es fällt auf, wenn wir uns so isoliren. Und noch eins! Der junge Wehlau wird Dir seinen Adoptivbruder vorstellen, den Hauptmann Rodenberg.“

„So?“ sagte Heloise gleichgültig, indem sie sich erhob und den Arm ihres Bruders nahm, der mit Betonung hinzusetzte:

„Vom Generalstab!“

„Ah so!“

„Sieh zu, daß Du ihn bestimmst, Wehlau zu begleiten, wenn dieser zu uns kommt – ich rechne auf Dich, Heloise.“

Die Geschwister traten Arm in Arm in den Büffettsaal, wo jetzt die ganze Gesellschaft versammelt war.

(Fortsetzung folgt.)

Blutarmuth und Bleichsucht.

Von Dr. Fr. Dornblüth in Rostock.

Bleiche Hautfarbe, blasse Lippen, eingesunkene, oft blaugeränderte Augen, schlaffe Haltung und meist kraftlose, immer wenig ausdauernde Bewegungen, die bald von Herzklopfen und Kurzathmigkeit begleitet oder gefolgt sind – diese Erscheinungen gelten mit Recht als Zeichen, daß das Blut, jener „besondere Saft“, der Wangen und Lippen färbt, entweder nicht in genügender Menge oder nicht in guter Beschaffenheit vorhanden ist.

Schon weniger Geübte vermögen vielfach an dem aus der Ader gelassenen Blute die gute oder mangelhafte Zusammensetzung desselben zu erkennen. Das Blut besteht bekanntlich aus einer Auflösung eiweißartiger Stoffe in Salzwasser, in welcher zahlreiche weiße Kügelchen und noch viel größere Mengen von rothen Scheibchen schwimmen. In dem aus der Ader gelassenen Blut werden diese Körperchen von einem gerinnenden Stoffe (dem Faserstoff) eingeschlossen und bilden mit ihm den Blutkuchen, der in dem gelblichen Blutwasser schwimmt.

Bei blutarmen Menschen ist nun der Blutkuchen kleiner, das Blutwasser dünner und weniger klebrig als bei gesunden, und was der Augenschein lehrt, das bestätigt die chemische und mikroskopische Untersuchung, daß nämlich in der That die eiweißartigen gelösten Stoffe und die rothen Blutkörperchen eine mehr oder weniger große Verminderung erfahren haben. Dieser fehlerhafte Zustand des Blutes ist von großer Bedeutung für den ganzen Körper und sein Wohlbefinden. Denn aus den Eiweißstoffen des Blutwassers beziehen alle Körpertheile das Material für ihre Ernährung, für ihr Wachsthum und ihre Leistungsfähigkeit im Körperhaushalte; die rothen Blutkörperchen aber bringen ihnen den in den Lungen aufgenommenen Sauerstoff, der für ihre Ernährung, ihr Wachsthum, ihre Kraftleistungen sowie für die Wärmebildung ganz unentbehrlich ist. Endlich ist die normale Füllung der Adern mit Blut nothwendig, um die verbrauchten Stoffe aus den Organen wegzuführen und zu den Ausscheidungswerkzeugen hinzutragen.

Der Bleichsucht liegen ähnliche Mängel zu Grunde, wie der Blutarmuth. Auch hier ist in der Regel die Menge des Blutes, stets aber und ganz besonders die Zahl der rothen Blutkörperchen vermindert; auch führen die letzteren weniger von dem rothen Stoffe, welcher den Sauerstoff aus den Lungen in die Organe trägt. Die Eiweißstoffe des Blutwassers finden sich dagegen in normaler Menge, manchmal sogar vermehrt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_690.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)