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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

suchen. Gottlob kommen derartige Scenen nicht zu häufig vor; dagegen muß besonders hervorgehoben werden, daß der vom Himmel unerwartet erschienene Besuch sehr häufig eine gastliche Aufnahme findet.

Dem kühnen Luftschiffer, welcher in Kriegszeiten mit dem Ballon gegen die feindlichen Truppen operirt, drohen nicht zu unterschätzende ernste Gefahren. Er muß darauf gefaßt sein, daß er heruntergeschossen werden kann. Ueber diesen Punkt sind im Publikum die irrigsten Ansichten verbreitet. Die meisten glauben, daß schon ein einziger Treffer aus einem Handgewehr genüge, den Ballon zum Sinken zu bringen. Dem gegenüber wollen wir nur folgende in Moedebeck’s Werke namhaft gemachten Versuche erwähnen: Im Jahre 1850 wurde bei Sheerneß in England mit einem alten, etwa 300 Kubikmeter großen Ballon zum ersten Male ein Schießversuch veranstaltet. Man war damals unsicher, ob der Ballon beim Auftreffen der Gewehrkugeln nicht bald platzen und plötzlich herabfallen würde. Es ergab sich jedoch, daß erst 60 Treffer, demnach 120 Kugellöcher fähig waren, einen derartigen Gasverlust herbeizuführen, daß der Ballon allmählich zum Sinken gebracht wurde.

Ein weiterer Versuch wurde am 7. Oktober 1870 in Tours gemacht. Man wollte dort wissen, bis zu welcher Höhe Ballons von Chassepotgeschossen noch erreicht werden könnten. Zu dem Zwecke ließ man einen gefesselten Papierballon von vier Meter Durchmesser an einer Schnur 400 Meter hoch aufsteigen und von 18 guten Schützen beschießen. Nach dem Herabziehen fand man ihn von 11 Geschossen getroffen. Bei einer Höhe von 500 Meter hatte ihn jedoch kein Geschoß erreicht.

Endlich wurde im Jahre 1880 in England ans einer achtzölligen Haubitze nach einem 2000 Ellen weiten und in einer Höhe von 800 Fuß gefesselten Ballon gefeuert. Der erste Schuß blieb erfolglos; beim zweiten platzte eine Granate nahe vor dem Ballon und riß ihn auf. Er brauchte trotzdem noch 15 Minuten, um vollständig herabzusinken.

Es wurde außerdem festgestellt, daß die Kriegsballons, wenn sie durch stärkere Annäherung an die feindlichen Linien wirklich nützliche Beobachtungen anstellen wollen, bis zu einer Höhe von 500 Meter im feindlichen Geschützfeuer bleiben. Und wie die Einführung der Panzerplatten zur Vervollkommnung der Riesengeschütze geführt hat, so wird auch die Verwendung der Ballons im Kriege neue Mittel zu ihrer Vernichtung hervorrufen. Schon im deutsch-französischen Kriege konstruirte die Firma Krupp ein besonderes Ballongeschütz, welches nach der Art eines Gewehres schnell und leicht gehandhabt werden konnte. Es wird behauptet, daß mit Hilfe dieses Geschützes der Ballon „Daguerre“ herabgeschossen wurde, aber dieser Behauptung steht allerdings die Nachricht entgegen, wonach es überhaupt nicht zur Verwendung gelangt wäre.

Dem Menschenfreund muß es bedauerlich erscheinen, daß die Eroberung des Luftreiches, ein seit Jahrtausenden ersehntes Ziel, mit blutigen Thaten, mit Kampf und Vernichtung eröffnet wird; aber die Menschheit schreitet immer vorwärts durch Nacht zum Licht, und so wird auch einst die Zeit kommen, wo das lenkbare Luftschiff nicht nur als mächtige Waffe im Kriege, sondern auch als nützliches Verkehrsmittel dem Völker verbindenden friedlichen Verkehr dienen wird.


Blätter und Blüthen.

Die heitere Muse und der Selbstmord. Es ist eine keineswegs neue Erfahrung, daß beliebte Komiker, welche durch ihre Scherze auf der Bühne das ganze Publikum erheitern und oft schon durch ihr bloßes Erscheinen in die beste Laune versetzen, im Leben große Hypochonder sind. Wer gedenkt nicht hierbei des Wiener Komikers Ferdinand Raimund, dem seine Freunde und Anhänger am 5. September d. J. eine Todtenfeier veranstalteten? Fünfzig Jahre sind verflossen, seitdem der Dichter des „Verschwenders“ zum Terzerol griff und sich erschoß mitten in einer erfolgreichen Laufbahn als dramatischer Dichter und darstellender Künstler. Doch Raimund war kein Possendichter im Stile seines Genossen Nestroy, der frisch aus dem Wiener Leben seine burlesken Gestalten herausgriff und in lustigen Verwickelungen über die Bühne führte. Raimund’s Muse war der Humor, der die lachende Thräne im Wappen führte; in seinen Zauberpossen „Der Diamant des Geisterkönigs“, „Der Bauer als Millionär“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ sowie in seiner besten „Der Verschwender“ ist neben dem genrebildlich Heiteren, neben dem phantastisch Nebelhaften einer Bühnenromantik, welche Himmel und Erde mit allerlei sagenhaften Gestalten bevölkert, ein melancholischer Zug unverkennbar, ein düsteres Brüten über den Geheimnissen des Menschenlebens, eine sinnige Vertiefung, welche in dem schönen Hobellied einen unvergänglichen Ausdruck gefunden hat. Ein Dichter wie Raimund stand der eigentlichen Possenkomik, so glücklich er sie in einzelnen Scenen zu verwerthen wußte, doch fern genug, und man begreift es eher, wie er düsteren Anwandlungen verfallen konnte, welche viele schwermüthige Dichter zum Wahnsinn geführt oder ihnen die Pistole in die Hand gedrückt haben.

Eine merkwürdigere Erscheinung ist es, daß neuerdings Künstlerinnen, welche das Reich der leichtgeflügelten Operette, des gesungenen und gespielten Leichtsinns beherrschen, freiwillig den Tod gesucht haben. Schon in der vorigen Saison und neuerdings wiederum wurden aus der Reichshauptstadt derartige Fälle gemeldet: Vor allem aber kam die traurige Kunde, daß die erste Soubrette des Walhalla-Theaters, die anmuthige Ungarin Eugenie Erdösy, sich im Thiergarten erschossen habe; sie hatte sich die Schläfe verletzt und erlag bald darauf ihren Verwundungen. Um so überraschender kam diese Nachricht, als noch an demselben Tage mehrere Bekannte und Freunde die junge Dame gesprochen und nicht bemerkt hatten, daß ihre unverwüstliche gute Laune die geringste Einbuße erlitten. Fräulein Erdösy gehörte überdies zu den glücklichen und erfolgreichen Künstlerinnen; sie war bei Publikum und Kritik beliebt, eine gewinnende Bühnenerscheinung, und hatte sich durch ihre Kunst ein Vermögen erworben. Aus so glänzenden, von allen jungen Kunstnovizen beneideten Verhältnissen schied sie freiwillig; so konnte nur ein entscheidender Grund vermuthet werden: unglückliche Liebe. Und in der That hat diese Vermuthung sich bestätigt; darin stimmen alle Berichte überein, daß Enttäuschungen der Liebe sie zum Selbstmorde geführt haben: eine Verlobung mit einem jungen Aristokraten war rückgängig geworden, vermuthlich weil die Familie eine Verbindung mit einer leichtlebigen Soubrette nicht wünschte oder die Verleumdung ihr Vorleben anklagte. Gleichviel: es bleibt Stoff genug übrig zum Nachdenken über das Trauerspiel in der Operette, über eine ernste Liebesleidenschaft in dieser Welt des bunten Scheins, in welcher die Liebe ihre tollsten Maskeraden aufführt und dabei verspottet wird von Offenbach’s leichtfertigen Rhythmen und dem bacchantischen Taumel der Strauß’schen Walzer. Da flüchtet sich die Reigenführerin dieser oft zügellosen Tänze in die Schatten des einsamen Waldes und stirbt einer ihr ganzes Herz ausfüllenden Liebe nach. Die Lippen schließen sich, die manch keckes Wort sprechen mußten, von denen das Herz nichts wußte; denn die Priesterin am Altare der leichtgeschürzten Theatermusen war eine edle und reine Jungfrau. †      

Die Krönung der heiligen Elisabeth. (Mit Illustration S. 708 und 709.) Das Gemälde von Hermann Kaulbach besitzt alle Vorzüge des hochbegabten Malers. Der feierliche und ergreifende Akt, welchen unser Holzschnitt nach dem Bilde treu wiedergiebt, wurde vom deutschen Kaiser Friedrich II. an der Landgräfin von Thüringen, als sie nach erfolgter Heiligsprechung beigesetzt wurde, im Jahre 1236 in der Deutschordenskirche zu Marburg an der Lahn vorgenommen. Der Hohenstaufe hat nach Mittheilung eines Theilnehmers an dieser Kirchenfeier, des Cäsaro Heisterbach, bedauert, daß er die edle Frau nicht als Kaiserin krönen konnte: „er wolle sie deßhalb durch die Krone als eine ewige Königin im Reiche Gottes ehren“. Damit wurde auf eine Herzensbeziehung des Kaisers zu der tugendreichen Frau hingewiesen, wodurch der Krönungsakt einen menschlich anmuthenden Beweggrund gewinnt. Unstreitig die lieblichste Gestalt des Bildes ist der kleine Sohn der Landgräfin, Hermann, der seine Ergriffenheit beim Anblicke der todten Mutter kaum zu bemeistern vermag und mit Mühe den Ausbruch der Thränen zurückhält. Die ältere Tochter der heiligen Elisabeth, Sophie (später Herzogin von Brabant), ist offenbar durch die Heiligkeit ihrer Mutter gehoben und getröstet, während sich die jüngste Tochter der Landgräfin, Gertrud, nach Kinderart neugierig umsieht, da ihr die ernste Bedeutung der Kirchenscene unverständlich bleibt. Im Mittelgrunde des Domes fällt der Kanzler des deutschen Ordens, Hermann von Salza, auf, in dessen Kopfe sich eine stahlfeste Willenskraft ausprägt. Unweit vom Kanzler stützt sich auf einen Pilgerstab der Schwager Elisabeth’s, Konrad, welcher die an der Landgräfin verübten Gewaltthaten tiefgebeugt zu bereuen scheint.

Wie Kaulbach Kinder- und Frauenanmuth darzustellen versteht, beweisen die Gruppen der Sängerknaben und der Nonnen vom Orden des heiligen Franciscus, deren Klostergenossin vormals die Landgräfin Elisabeth gewesen war. Besonders ist die jüngste der Nonnen eine Himmelsbraut, die sich anmuthiger kaum denken läßt. Das durch Weihrauchwolken gedämpfte Sonnenlicht durchzittert den Dom und läßt nur die Umrisse der das Todtenamt celebrirenden Priester wahrnehmen. H. Kaulbach hat es auch in diesem Bilde verstanden, klar und geschmackvoll zu schildern, menschliches Mitempfinden wachzurufen und das Interesse durch charaktervolle und schöne Gestalten zu fesseln, sowie durch die feine Durcharbeitung der Formen auch beim kleinsten Nebenwerk ästhetisch zu befriedigen. Dieses Gemälde H. Kaulbach’s fand bei seiner Ausstellung in München und in Berlin günstigste Aufnahme und Beurtheilung. Dr. Adalbert Svoboda.     

Anekdoten von Franz Liszt. Der verstorbene große Musiker, dessen Bedeutung für das gesellschaftliche Leben unserer jüngsten Vergangenheit keineswegs durch die kritische Würdigung seiner künstlerischen Leistungen in erschöpfender Weise dargelegt werden kann, war nicht nur aus Herzensneiguug ein Anhänger der römischen Kirche, er war auch ein pikanter Abbé im Geiste des vorigen Jahrhunderts, ein Mann des Salons mit schlagendem Witze, von großer Gewandtheit und unerschütterlicher Geistesgegenwart. In der „Revue Internationale“, einer in Florenz erscheinenden Zeitschrift, veröffentlicht Janka Wohl Erinnerungen an Liszt, welche manchen werthvollen und pikanten Beitrag zu einem Charaktergemälde des Meisters und vor Allem manche interessante Probe seiner geistigen Schlagfertigkeit geben. Als ein so feiner Hofmann und Diplomat sich Liszt in den höchsten Kreisen bewegte: so wenig ließ er sich’s gefallen, wenn das Recht des Künstlers in ihm verletzt wurde. Während einer Soirée am Petersburger Hofe, wo er sehr gern gesehen war, begab es sich, daß sich der Kaiser Nikolaus, der sich wenig aus Musik machte, mit einer Dame zu unterhalten anfing und, um den musikalischen Vortrag von Liszt sich weiter nicht kümmernd, ganz laut sprach. Plötzlich stand Liszt auf und verließ das Piano. Der Zar, darüber befremdet, wandte sich an den Meister und fragte ihn: „Warum haben Sie Ihr Spiel unterbrochen?“ Der Künstler erwiderte: „Wenn der Kaiser spricht, muß man schweigen.“

Die Fürstin Metternich, die Gattin des berühmten Premierministers, war eine eifrige Gegnerin von Liszt, den sie nie für sich hatte gewinnen können. Einmal fragte sie ihn zu Wien in ihrem Salon, vor allen Gästen: „Machen Sie gute Geschäfte, Doktor?“ „Nur die Banquiers und die Diplomaten machen gute Geschäfte, Durchlaucht,“ erwiderte er.

Mit Recht sagt die Verfasserin dieser Erinnerungen, daß Liszt einer der gemischtesten Charaktere gewesen, daß er eben so viel vom Dämon wie vom Engel gehabt. Keiner von den berühmten Größen der Gegenwart

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_722.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2022)