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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Das ist sie leider nicht, sonst würde ich ihr den Lauf lassen, denn Du bist kein Knabe mehr und mußt für Deine Handlungen einstehen. Dieser Streit aber berührt unsere Familieninteressen in der peinlichsten Weise. Hast Du denn nicht daran gedacht, daß dadurch Beziehungen aufgedeckt werden, die wir um jeden Preis geheim halten wollen?“

Der junge Graf sah betroffen seinen Großvater an. Daran hatte er allerdings nicht gedacht, und etwas kleinlaut erwiderte er:

„Ich glaube nicht, daß das die nothwendige Folge ist.“

„Es ist aber die sehr wahrscheinliche Folge! Das Duell, wie es auch ausfallen mag, richtet die allgemeine Aufmerksamkeit auf Euch Beide; man wird fragen und forschen, was denn der Grund gewesen ist, und da wird der Name Rodenberg die nöthige Erklärung liefern. Bis jetzt galt er für bedeutungslos, weil er mehrfach in der Armee vorkommt, und weil der Hauptmann uns als ein völlig Fremder gegenüberstand; jetzt wird man bald herausfinden, daß er das nicht ist, und sobald von Seiten seiner Kameraden oder Vorgesetzten eine ernste Frage an ihn ergeht, muß er die Wahrheit zugestehen. Du warst damals außer Dir bei der bloßen Möglichkeit einer solchen Entdeckung, und nun bist Du es, der sie muthwillig hervorruft.“

Die Wahrheit dieser Vorwürfe war so einleuchtend, daß selbst Raoul sich ihr nicht verschließen konnte.

„Ich habe vielleicht die ganze Tragweite nicht ermessen,“ sagte er unmuthig. „Man ist nicht immer Herr seiner Stimmung, und mich reizte der Hochmuth dieses Rodenberg. Thut er doch, als wäre er völlig meines Gleichen.“

„Ich fürchte, der Hochmuth war auf Deiner Seite,“ sagte Steinrück streng. „Ich habe schon einmal eine Probe davon erhalten, als Du hier mit Michael zusammentrafest; er mußte Dich damals geradezu zwingen, ihm die einfachste Höflichkeit zu erweisen, und das wird sich wohl bei Euren späteren Begegnungen wiederholt haben. Hast Du die Herausforderung provocirt oder nicht? Antworte!“

Raoul umging die Antwort, er erwiderte nur in wegwerfendem Tone:

„Konnte ich denn wissen, daß der Sohn des Abenteurers so empfindlich war im Punkte der Ehre? Er hat auch gerade Ursache dazu!“

„Hauptmann Rodenberg ist einer meiner Officiere, und an seiner Ehre haftet kein Makel; dessen wirst Du Dich gefälligst erinnern!“ Die Stimme des Generals hatte schneidende Schärfe. „Ich bitte mir aus, daß keine neue Beleidigung fällt, die den Ausgleich vollends unmöglich macht. Es ist gleich neun Uhr, Dein Gegner kann jede Minute kommen.“

„Hierher? Du erwartest ihn?“

„Gewiß, die Sache kann nur persönlich zwischen uns verhandelt werden. Er nahm widerwillig genug meinen Befehl an, aber er wird kommen und Dir ist es jetzt hoffentlich klar geworden, daß und warum dies Duell vermieden werden muß. Du warst der Beleidiger, Du wirst Dich zur Nachgiebigkeit bequemen müssen.“

„Das thue ich nie!“ fuhr Raoul auf. „Eher mag das Aeußerste geschehen.“

„Ich will aber dies Aeußerste nicht,“ sagte Steinrück kalt. „Ist Hauptmann Rodenberg da? Er soll eintreten.“

Die letzten Worte waren an den Diener gerichtet, der soeben Rodenberg melden wollte, und wenige Minuten später stand Michael im Zimmer.

Er grüßte den General, schien aber die Anwesenheit des jungen Grafen nicht zu bemerken, der seitwärts getreten war und ihm einen feindseligen Blick zuwarf.

„Ich habe Sie hergerufen, um die Angelegenheit zwischen Ihnen und meinem Enkel zu ordnen,“ nahm der General das Wort. „Dazu ist aber vor allen Dingen nothwendig, daß Sie wenigstens Notiz von einander nehmen. Ich bitte darum!“

Die Bitte klang wie ein Befehl, der auch befolgt wurde; die beiden jungen Männer grüßten sich, freilich in sehr gezwungener Weise, und dann erst fuhr der General fort:

„Hauptmann Rodenberg, ich habe erfahren – durch wen, thut hier nichts zur Sache – daß Sie sich von dem Grafen Steinrück für beleidigt erachten und dafür Genugthuung zu fordern beabsichtigen. Ist dem so?“

„Ja, Excellenz,“ lautete die ruhige Antwort.

„Der Graf ist selbstverständlich jeden Augenblick bereit, Ihnen diese Genugthuung zu geben, aber ich kann und werde das nicht zulassen. In jeder anderen Ehrensache würde ich die Regelung den Betheiligten selbst überlassen; bei dem eigenthümlichen Verhältniß aber, in dem Sie zu unserer Familie stehen, darf ein solcher Ausgang nicht stattfinden; Sie müssen das selbst einsehen.“

„Das sehe ich keineswegs ein. Wir haben dieses Verhältniß bisher so vollständig ignorirt, daß wir auch jetzt nicht verpflichtet sind, ihm Rechnung zu tragen, und Fremde sind überhaupt nicht davon unterrichtet.“

„Es wird aber kein Geheimniß bleiben, wenn es zu einer blutigen Entscheidung kommt. Das Publikum und die Presse pflegen alsdann die persönlichen Verhältnisse der Betreffenden einer sehr eingehenden Kritik zu unterziehen und werden die wahren Beziehungen bald genug heraus finden.“

Michael zuckte die Achseln.

„Das hätte Graf Steinrück bedenken sollen, als er eine solche Entscheidung provocirte. Jetzt ist es zu spät für derartige Rücksichten.“

„Das ist es nicht! Es soll und muß ein Ausgleich gefunden werden. Ich wiederhole Ihnen, was ich soeben meinem Enkel erklärt habe: das Duell darf unter keiner Bedingung stattfinden.“

Er sprach diese Worte mit vollster Entschiedenheit; sie brachten aber gar keine Wirkung hervor, denn die Antwort Rodenberg’s war noch entschiedener:

„Im Punkte der Ehre lasse ich mir keine Vorschriften machen, Excellenz. Wenn der Graf einen derartigen Befehl annimmt – ich thue es nicht!“

Raoul blickte ihn halb empört, halb erstaunt an. Er, der Sohn und Erbe des Hauses, hätte es nie gewagt, seinem Großvater so gegenüber zu treten, und dieser hätte auch niemals eine solche offene Verweigerung des Gehorsams geduldet; von Rodenberg nahm er sie hin. Wohl zog sich seine Stirn drohend zusammen, aber er ließ sich trotzdem zu einer Art von Erklärung herab.

„Ich bin Soldat wie Sie und werde Ihnen nichts zumuthen, was sich nicht mit Ihrer Ehre verträgt. – Sie glauben Ihrerseits keine Veranlassung zu dem Streite gegeben zu haben?“

„Nein.“

Steinrück wandte sichh zu seinem Enkel.

„Raoul, ich wünsche jetzt Deine Erklärung zu hören, ob das, was der Hauptmann als Beleidigung auffaßt, zufällig oder absichtlich geschah. Im ersteren Falle ist die Sache erledigt.“

Raoul kannte diesen Ton hinreichend, aber er dachte trotzdem nicht daran, den Ausweg zu benutzen, den man ihm ließ. Er hatte allerdings beleidigen wollen, und nur die Furcht vor dem Großvater hielt ihn ab, das offen auszusprechen; so hüllte er sich denn in ein trotziges Schweigen.

„Es war also Absicht!“ sagte der General langsam, aber mit schwerer Betonung. „Nun wohl, so wirst Du diese Beleidigung, diese muthwillige Beleidigung hier in meiner Gegenwart zurücknehmen.“

„Nimmermehr!“ brach Raoul aus. „Großvater, treibe mich nicht zum Aeußersten! Ich gehe, schon bis an die weiteste Grenze des Gehorsams, wenn ich mir vor meinem Gegner dergleichen sagen lasse; eine Demüthigung lasse ich mir nicht auferlegen. Hauptmann Rodenberg, ich stehe zu Ihrer Verfügung, bestimmen Sie Zeit und Ort!“

„Das wird noch heute geschehen,“ erklärte Michael. „Ich darf mich jetzt wohl entfernen, Excellenz?“

„Nein, Du bleibst!“ rief Steinrück, indem er plötzlich den fremden Ton fallen ließ und zwischen die jungen Männer, trat. „Ich muß Euch Beide wohl an etwas erinnern, was Ihr vergessen zu haben scheint. Ihr seid Blutsverwandte, und diese Blutsverwandtschaft will ich respektirt wissen. Fremde mögen in solchem Falle zur Pistole greifen; die Söhne meiner beiden Kinder haben ihren Streit auf andere Weise zu schlichten.“

„Großvater! – Excellenz!“ klang es mit dem gleichen Trotz von den Lippen Raoul’s und Michael’s, aber der General herrschte ihnen gebieterisch zu:

„Schweigt, sage ich, und hört mich an! Es ist eine Familiensache, die nicht vor die Oeffentlichkeit gehört, sondern einzig vor den Chef des Hauses. Ich bin Eure höchste Instanz, ich allein habe zu entscheiden, und ich verbiete Euch die Entscheidung mit den Waffen. Es ist mein Blut, das in Euch Beiden fließt, das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_735.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)