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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

schmerzlich heftigen Gefühl; was der Anblick seines Vaters, der ihr gleichgültig, ja verächtlich geworden war, nicht mehr vermochte, bewirkte der seines jungen Ebenbildes: die Tage der versunkenen Liebe, in der Erinnerung verschönt, stiegen vor Terka auf. Es kam ihr plötzlich der Gedanke, daß, so lieb und werth sie später auch ihren alten Pista in dankbarer Gattentreue gehalten, sie doch nie das Glück genossen hatte, dessen Vorgefühl sie damals an jenem Pfingstabende empfunden hatte, dessen Entbehrung ihr jetzt die Thränen aus tiefstem Herzen herauf brennend in die Augen trieb.

Und wer hatte Schuld daran, daß sie es nie genossen? Der Janos mit seiner schnöden Untreue, der Janos, dessen Sohn jetzt neben ihrer Tochter saß und sie mit Blicken anschaute – mit denen Janos die Terka eben nie angeschaut hatte.

Nun wußte Terka, was sie entbehrt hatte in ihrem Leben; die Jahre ihrer Ehe zogen in raschen Schattenbildern an ihr vorüber, in Bildern, worin sie nur den Schatten der Entbehrung sah, nicht das milde Licht, das ihre Pflichttreue und Liebe für Mann und Kind darüber gebreitet hatte.

Und dieser neue Janos dort sollte genießen, um was der alte sie gebracht, sollte durch ihre eigene schöne, liebe Tochter jenes Glück genießen? Nimmermehr!

Sie würde das schon zu verhindern wissen, sie, die Terka, welche noch in Allem die Hand oben behalten Hatte – außer in Sachen der Liebe.

Riza mußte fort, sogleich.

Wenn sie wiederkäme – die Terka lachte auf: wenn Riza zwei Jahre lang in einem Institut mit vornehmen Fräulein zusammen gewesen war, konnte ihr der Bauernbursche nicht mehr gefährlich werden. Dann besorgte ihr die Terka einen besseren Mann. Sie wollte schon jetzt Umschau unter den vornehmen Kavalieren halten.

So beruhigt, rief Terka ihrem Kinde, es sei Zeit, zu Bette zu gehen, und Stefan, von Anblick und Stimme der „bösen Nachbarin“ aus allen Himmeln gerissen, schlich nach Hause.

Terka hatte die Genugthuung, ihr Töchterlein, kaum daß es mit beiden Füßchen ins Bett gehüpft war, in ruhigem Schlafe athmen zu hören; sie selbst aber verbrachte die Nacht fast schlummerlos auf ihrem Lager.

Sie dankte Gott, als der Morgen kam und die gewohnte Arbeit die Ruhe einigermaßen wieder in ihr herstellte. Nachmittags aber legte sie ihren Feststaat an, das schwere grünseidene Kleid, die breite rosa Schürze, das Sammetmieder mit silbernen Schnuren und die niedrigen Atlasschuhe, ordnete ihr schwarzes Kopftuch in zierliche Falten, legte den weichen Seidenshawl um und ging nach dem Institut, in welchem sie vor siebzehn oder achtzehn Jahren als Köchin gedient hatte. In stolzer Genugthuung bedachte sie jetzt, daß sie diesem Institute heute eine Patronin und Gönnerin zu werden beabsichtige; denn sie wollte ihm ja eine neue Kostgängerin zuführen.

Ihr Herz schwoll, als ihre ehemalige Herrin, die der Anstalt noch immer ebenso klug wie energisch vorstand, die frühere Dienerin keineswegs herablassend, sondern wie eine alte, liebe Bekannte empfing und sie, da soeben das Vesperbrot aufgetragen wurde, auf den Ehrenplatz der langen Tafel nöthigte. Terka saß, stippte das Gebäck in den reichlich gesüßten Milchkaffee, prüfte es mit der Zunge und dachte, daß es zu ihren Zeiten weit besser gewesen sei. Dann wurde sie sich wieder des Umstandes bewußt, daß sie jetzt an demselben Tische als „Dame“ geehrt, ja umschmeichelt sitze, für den sie früher im Hinterhause gekocht und gebacken habe. Das ging der Terka wie flüssiger Honig die Zunge hinunter.

Sie verschaffte sich in der Folgezeit noch oft diese Genugthuung; denn Riza siedelte schon Tags darauf in das Institut über, und da das Mädchen in den zwei folgenden Jahren das Elternhaus nicht betreten sollte, so besuchte die Mutter allsonntäglich ihr Kind im Institute. Hier wurde sie immer mit offenen Armen und vielen Ehren empfangen, so daß sie in diesen zwei Jahren in ihren eigenen Augen an Ansehen und Weisheit gewaltig zunahm.

Was Riza betraf, so wurde sie der verhätschelte Liebling der Lehrerschaft, einestheils wegen ihres schelmischen Liebreizes, andererseits wegen der Viktualien und Papiergulden, mit welchen die Mutter der Tochter Reiz erhöhte. Da nun ihre Kameradinnen Riza „einen guten Kerl, eine wilde Hummel und einen durchtriebenen Strick“ nannten; so ist ersichtlich, daß sie auch bei diesen in gutem Ansehen stand. Unter so bewandten Umständen quälte sie sich mit dem Lernen nicht allzusehr ab: Mademoiselle Adèle drückte beide Augen darüber zu, daß sie noch nach zwei Jahren ihre Puppe mon poupée“ nannte; der Geschichtsprofessor fragte sie um so weniger nach den unbequemen Jahreszahlen und Schlachtennamen, als in ungarischen Töchterschulen Nam’ und Zahl überhaupt für „Schall und Rauch“ gelten – und so war das Resultat dieser zweijährigen milden Dressur, daß Riza, als sie eines schönen Märztages an der Hand der Mutter unter einer Sündfluth allseitig vergossener Thränen das Institut verließ, sich gar nicht viele Mühe zu geben brauchte, um möglichst rasch überflüssigen Wissenswust aus ihrem Köpfchen zu treiben. Indeß muß man, um gerecht zu sein, zugeben, daß sie von der Institutserziehung doch manchen Nutzen gezogen: sie fertigte, möglichst tief über den Rahmen gebückt, augenmörderische Stickereien; sie hatte z. B. für die gleich nach dem Osterfeste zu eröffnende Szegediner Gewerbe-Ausstellung einen Teppich mit neun Quadratmeter Aehrenbüscheln gestickt, allerdings mit „Beihilfe“ der Handarbeitslehrerin, welche unglückliche Person von Morgens vier Uhr an die Arbeiten der Zöglinge „vollendete“, das heißt in der Hauptsache selbst fertigte. Auch aß Riza mit der Gabel und trank zierlich, wußte, daß der Werth eines Menschen in erster Linie von seinen Nägeln bedingt sei, machte eine elegante Verbeugung, tanzte entzückend, schlug sittsam die Augen nieder, wenn sie einem Herrn begegnete – obwohl sie eigentlich nicht begriff, warum sie sich vor demselben zu schämen hätte – und beobachtete die Regel, daß sie nie anders als in Gegenwart einer Respektsperson auch nur eine Minute lang mit einem Manne allein sein oder gar mit ihm sprechen dürfe – obwohl sie sich eigentlich gar nicht so sehr vor den Männern fürchtete und nicht glaubte, daß sie ihr gleich etwas Schreckliches anthun könnten.

Ferner wußte Riza, daß sobald sie das Institut verließ, die Mutter sie verheirathen werde. Wie alle ihre klösterlich erzogenen Gefährtinnen dachte sie sich die Ehe als eine herrliche Mischung von gänzlicher Freiheit, zu thun und zu lassen was sie wollte, mit etwas ganz Unbekanntem, Geheimnißvollem, etwas Aengstigendem und Reizendem, dem sie mit erwartungsvoller Neugier entgegensah. Wenn ihr diese letztere Vorstellung kam, war damit immer die Wiederkehr derselben Erinnerung verknüpft: sie sah Stefan vor sich stehen und ihr zuschauen, wie sie sich den Rosenkranz auf den Kopf setzte. Die Scene und der Blick hatten damals gar keine Wirkung auf sie gehabt, und doch hatten sie sich ihrem Gedächtniß eingeprägt und kamen ihr immer in den Sinn, wenn sie an die geheimnißvolle Zukunft dachte. Doch geschah das nicht oft; denn sie tanzte wie ein Mücklein im Sonnenstrahl der fröhlichen Gegenwart.

Aber heut schritt Riza, das Herz noch unter dem Eindruck der thränenreichen Abschiedsscene, ziemlich nachdenklich die staubigen Gassen, die sie zwei Jahre lang nicht betreten, an der Hand der Mutter herab. Und weil Terka auch ernsthaft und schweigsam war und ab und zu des Dirnleins Hand drückte, welches ungewohnte Thun ihm fast ängstlich bedeutungsschwer vorkam, war’s ihm, als schreite es jetzt geradeswegs in die unbekannte Zukunft hinein. Da trat vor die ahnungsvoll gespannte Seele wieder das Bild des schwarzäugigen, schlanken Buben, und das Dirnlein seufzte beklommen in halber Furcht und halber Sehnsucht.

Und gerade in diesem Augenblick fast feierlicher Spannung. zuckte die Hand der Mutter heftig in der ihren; Riza erhob den gesenkten Blick, sah erst erstaunt, dann erschrocken aus und – lachte dann in vollem, tollem Uehermuth ohne Aufhören.

Vor ihr stand der Gegenstand ihrer Träume, aber - in jenen weißen, ausgefranzten Linnenhosen, die in ihrer ungeheuerlichen Weite den lächerlichen Eindruck machen, als ginge ihr Träger im Hemd. Nun hatte Riza ja schon viele Bauern in diesen weiten Hosen gesehen, und es war heute trotz der frühen Jahreszeit so heiß, daß die Tracht Stefan’s, der mit seinem Gespann vom Felde kam, sehr erklärlich war. Aber was helfen Erklärungen und Vernunftgründe, wenn man den Gegenstand seiner Träume, den man sich nur in den erhabensten oder schönsten oder geheinmißvollsten Situationen gedacht hat, plötzlich in solcher Tracht vor sich sieht!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_742.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)