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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Gattin, welche weinend die Mumie mit dem Ka ihres Mannes umarmt.

seinem Namen Ka, das ist das Abbild, wurde auch die von Menschenhänden verfertigte Bildsäule bezeichnet. Wenn diese angerufen ward, konnte er sich an sie heften, wie an die Mumie; aber seine Existenz blieb abhängig von der Erhaltung der letzteren. Uebrigens war der Ka keine bloße Form, sondern ein Sonderwesen, das, wie der Genius der Römer, als Schutzgeist des Lebenden wie des Verstorbenen, dessen äußere Erscheinungsform er darstellte, gelten konnte. Die Hinterbliebenen wandten sich an ihn mit Gebeten und Opfern, die Seele des Dahingegangenen blieb in Verkehr mit ihm, redete mit ihm, und wenn es sie, der es frei stand, sich in jede Gestalt, auch in die von Thieren und Pflanzen zu kleiden, gelüstete, auf die Erde zurückzukehren und mit den Ihren zu verkehren, hüllte sie sich in ihre von ihr abgesonderte äußere Form, den Ka. Darum ist in den meisten Gräbern eine Statue des Verstorbenen aufgestellt worden, darum mußte die Mumie mit aller Sorgfalt vor jeder Beschädigung gehütet werden. Ward sie zerstört, so paßte der Ka nicht mehr auf den Körper, die Todtenmaske nicht mehr auf das Gesicht. Die Seele, welche sich vielleicht nach der Erde zurücksehnte, war um ihren Schutzgeist gekommen und ihr Kleid verdorben. Sie kehrte nicht mehr in den Ka zurück, und der, wenn der Ausdruck erlaubt ist, seiner Füllung beraubte Schemen verflüchtigte sich oder enteilte, um vielleicht bei der Entstehung einer neuen Menschenknospe zum Vorbild und ihr später als Schutzgeist zu dienen.

Aus diesen Gründen wurden die Leichen der Aegypter mit so ängstlicher und opferwilliger Sorgfalt vor Vernichtung geschützt.

Das Erdenleben des Einzelnen sollte nicht verloren gehen; verantwortlich für ihr Verhalten auf Erden war jede Seele. Manche sehen wir auch ewiger Verdammniß anheimfallen; denn unter den tausend Gestalten, denen das Auge in den Königsgrüften begegnet, finden wir auch Verurtheilte in glühenden Oefen, die, von Flammen umzüngelt, Fächer in der Hand halten, mit denen sie sich wie zum Hohn Kühlung zuwedeln. Aus dem Hals der Geköpften spritzt rothes Blut, eine unreine Seele wird in Gestalt eines Schweines aus der unterirdischen Gerichtshalle herausgepeitscht, und kein Dante könnte eine wunderlichere, sinnverwirrendere Gestaltenfülle ausdenken als diejenige, welche wir, wohl benannt und mit bestimmter Bedeutung, in dieser unterirdischen Divina, Commedia zusammenfinden. Alles, was hier in Schwindel erregender Menge auf Auge, Geist und Seele einstürmt, bezieht sich auf den Tod, und nur auf diesen, wenn wir einige kleine Darstellungen im Grabe Ramses’ III. ausnehmen.

(Fortsetzung folgt.)




Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Hertha stand allein am Fenster ihres Zimmers und blickte unverwandt hinaus, aber sie sah nichts von dem fluthenden Leben und Treiben der großen Hauptstraße. Ihr Blick war mit angstvoller Beharrlichkeit nur nach der einen Richtung gewandt, wo die Wohnung des Generals lag. Dieser hatte versprochen, ihr noch im Laufe des Vormittags Nachricht zu geben. War es ihm wirklich gelungen, das Duell zu verhindern und einen Ausgleich herbeizuführen, so hätte sein Bote schon hier sein können; aber noch immer wollte die Steinrück’sche Livrée nicht auftauchen, und mit jeder Minute des Wartens stieg die qualvolle Unruhe der jungen Gräfin.

Da auf einmal fuhr sie auf und beugte sich dann weit vor. Sie hatte den General erkannt, der soeben um die Ecke bog. Er kam selbst, und, sie am Fenster gewahrend, winkte er ihr einen Gruß zu. Gott sei Dank, er lächelte! Das konnte keinen schlimmen Ausgang bedeuten!

Hertha trat vom Fenster zurück. Sie wagte es nicht, dem Grafen entgegenzueilen. Es durfte ja Niemand ahnen, daß irgend etwas Ungewöhnliches vorging. Erst als sie seinen Schritt im Nebenzimmer hörte, öffnete sie rasch die Thür und flog auf ihn zu.

„Du kommst selbst – Du bringst mir gute Nachricht?“

Die Frage klang athemlos gepreßt, wie in Todesangst, aber Steinrück sagte beruhigend: „Gewiß, mein Kind! Du brauchst Dich nicht mehr zu ängstigen. Die Sache ist beigelegt.“

Ein tiefer Athemzug der Erleichterung rang sich aus der Brust der jungen Gräfin empor.

„Gott sei Dank! Ich wagte es kaum zu hoffen!“

Der General warf einen prüfenden Blick auf ihr bleiches, überwachtes Antlitz; dann nahm er ihren Arm und führte sie in das Zimmer zurück, dessen Thür er schloß.

„Ich habe allerdings einen harten Stand gehabt mit den beiden Trotzköpfen,“ begann er wieder. „Keiner wollte nachgeben, Keiner dem Anderen auch nur einen Schritt entgegenkommen. Ich mußte schließlich meine ganze Autorität brauchen, um sie zur Vernunft zu bringen. Trotz alledem war die Sache nicht so ernst, wie Du sie genommen hast; ein paar unbedachte Worte Raoul’s, eine gereizte Erwiderung Rodenberg’s – das ist genug für zwei junge Hitzköpfe, um zu den Waffen zu greifen. Sie hätten am liebsten sofort auf einander losgeschlagen. Glücklicherweise erfuhr ich noch rechtzeitig genug davon, um Unheil zu verhüten.“

Er sprach in halb scherzendem Tone, aber Hertha sah und fühlte es, daß sein Lächeln wie seine Heiterkeit erzwungen waren. Sie täuschte er nicht damit; sie kannte den Ernst des Vorfalles, den er so leicht zu nehmen schien.

„Und Dir haben sie auch eine schlaflose Nacht damit bereitet, man sieht es Dir an,“ fuhr er fort. „Jetzt bereut es unsere spröde kleine Braut doch wohl, daß sie den armen Raoul gestern so unverzeihlich behandelt hat? Laß Dir das zur Warnung dienen, Hertha! Dergleichen erträgt kein Mann, auch von der geliebtesten Frau nicht.“

„Von ihr vielleicht am wenigsten! Aber glaubst Du denn, daß Raoul mich liebt?“

Der General stutzte bei dem bitteren Tone der Frage.

„Nun, ich dächte doch, er hätte um Dich geworben.“

„Nach dem Beschluß der Familie, nach Deinem ausdrücklichen Willen. Ich weiß, wie hoch ich diese Liebe ,auf Befehl‘ zu schätzen habe.“

„Und ist Dir denn das etwas Neues?“ sagte Steinrück ernst. „Hast Du es nicht von Anfang an gewußt? Ihr folgtet Beide einer Bestimmung, wie sie in unseren Kreisen üblich ist. Eine überflüssige Romantik haftet allerdings nicht an solchen Verbindungen; aber Du hast sie meines Wissens auch nie vermißt. Warum denn nun auf einmal diese Bitterkeit, dieser Vorwnrf gegen Raoul, den er Dir mit dem gleichen Rechte zurückgeben könnte?“

Die junge Gräfin schwieg; sie hatte keine Antwort auf dies forschende: Warum?

„Da regt sich wieder der alte böse Geist, der gebannt und gezwungen sein will,“ sagte der General mit einem flüchtigen Lächeln. „Ich habe das schon einmal thun müssen, in den ersten Wochen meiner Vormundschaft. Damals war ich genöthigt, mit voller Strenge aufzutreten, gegen ein verwöhntes, vergöttertes Kind, das nie einen anderen Willen gekannt hatte, als den seinigen. Du trotztest mit vollster Leidenschaftlichkeit, und Deine Mutter zerfloß in Thränen, weil ich hart blieb und auch sie verhinderte, Dir nachzugeben. Es war eine schlimme Scene. Aber als das Kind ausgetrotzt hatte, da kam es aus freien Stücken zu mir und legte die kleinen Arme um meinen Hals und sagte – weißt Du es noch, Hertha?“

Sie lächelte gleichfalls, und das Haupt an seine Schultern lehnend ergänzte sie:

„Ich habe Dich lieb, Onkel Michael! So sehr lieb!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_750.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)