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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

nämlich gerade in Budapest, und Sarosdy ur ist sein Jugendfreund. Nun, diese Rede meines Gemahls hat gezündet, und namentlich Perfy Viktor, ein vornehmer Advokat – sie nennen ihn ,den Raren’, weil er die Manie hat, immer ,das Rarste’ haben zu wollen – nun, einen kleinen Sparren zu viel hat am Ende wohl Jeder – also Perfy Viktor ist halt beinah verrückt worden bei dem Gedanken, daß er dem großen Mann wird vorspielen und sich dann seinen Schüler nennen können. Er hat fünf Briefe an ihn gerichtet in einem Ton, daß unser Herrgott schamroth werden möchte, wenn Einer ihn so ins Gesicht heinein lobte. Die Virtuosen sind aber daran gewöhnt und halten’s aus, und so wird unser großer Freund wirklich kommen und bei uns, bei Sarosdy ur, seinem Jugendfreund, wohnen.“

Sarosdy richtete ihre kleine Gestalt auf, warf einen siegesbewußten Blick umher und ging unwillkürlich aus der gemüthlich vertraulichen in eine höhere Tonart über, als sie fortfuhr:

„Natürlich weiß die Stadt die Ehre solches Besuches zu würdigen; man wird Triumphbogen bauen, die Häuser mit Kränzen schmücken, und eine Schar berittener Kavaliere unter Perfy Viktor’s Anführung wird unsern großen Freund abholen und zu dem Ausstellungspalast geleiten. Unter dem Portal desselben soll dann die schönste Jungfrau Szegeds dem greisen Beherrscher der Töne mit einer huldigenden Ansprache einen Kranz aus Lorbeeren und Rosen übergeben.“

Sarosdy pausirte einen Augenblick und sprach dann langsam die bedeutungsschweren Worte: „Mir ist die Ehre zugefallen, diese Jungfrau unter den Töchtern der Stadt auszuwählen und einzustudiren, und ich wähle –“

Sie hielt inne und schaute herablassend gütig auf Terka, welche den Athem anhielt.

„Ich wähle, liebe Frau – unsere Riza.“

Terka öffnete den Mund und stieß laut den Athem heraus.

„Meine Riza – das Kind – solche Ehr’,“ stammelte sie endlich beinahe weinend. „Und es ist also ein sehr vornehmer Herr, halt gar ein Prinz, dem sie das Grünzeug geben und das Gebet aufsagen soll? Und ist er halt noch jung, Gnaden? Gar ohne Frau vielleicht?“

Die alte Dame sah die Sprecherin verwundert an.

„Unser großer Meister ist alt und ein König im Reich der Töne, das heißt, er spielt halt ausgezeichnet Pianoforte,“ sagte sie ein wenig kurz.

„Jesus, das ist auch was Rechts! Und da soll meine Riza gar einem Zigeuner schön thun?“ meinte Terka sehr enttäuscht, und es dauerte eine geraume Weile, bis Sarosdy der Terka, welche als einzige Musiker von Profession nur die verachteten Zigeuner kannte, die Würde der Kunst in so weit klar gemacht hatte, daß sie die Ehre einigermaßen zu schätzen wußte, welche ihrer Riza widerfuhr. Sehr tröstlich war Terka der Gedanke, daß Perfy einer der Kavaliere war, welche „den Zigeuner“ einholen sollten. Wen Perfy ehrte, der mußte doch etwas gelten! Vor allen Dingen aber würde Perfy in nahe Berührung mit Riza kommen.

Einen großen Kampf gab es noch um den Anzug des Dirnleins; denn Terka wollte durchaus nicht leiden, daß es das ungarische Nationalkostüm anlegen sollte; ein recht enges modernes Kleid mit Quersäumen und Puffen erschien der Bäuerin viel vornehmer. Aber die Vorsteherin setzte ihren Willen durch und nahm sodann Riza gleich mit nach dem Institut, wo eine Hälfte ihres Köpfchens mit Versen und Verhaltungsmaßregeln, die andere mit der obligaten Begeisterung für den großen Virtuosen angefüllt wurde. Als Terka dann am Tage der Einholung ihr Töchterlein im Festschmuck wiedersah, war sie selbst erstaunt über die Schönheit der Kleinen. Riza’s Gestalt sah im vielfältigen rosenfarbenen Seidenrock und dem schwarzen Sammetmieder über der reich gestickten weißen Blouse so zart, ihr vor Aufregung blasses Gesichtchen unter dem goldgestickten weißen Schleier so feenhaft holdselig aus, daß Terka ein über das andere Mal vor sich hin murmelte: „Ein Prinzeßchen, das Kind, ein Prinzeßchen! – Und da kommt der Prinz für sie!“ rief sie aufgeregt aus, als ein sich fortwälzendes Eljen die Ankunft des berühmten Gastes schon von fern ankündigte und dem Zuge voraus Perfy Viktor dahersprengte, den Kalpak aus Silberfuchs mit der Brillantagraffe über der Habichtnase, den pelzgefütterten Dolman aus violettem Sammet auf den hohen Schultern, den krummen Säbel mit dem vergoldeten Griff wie zum Schlage ausholend in der Rechten.

Jetzt sah er Riza, die zitternd einen Schritt unter der blumenbekränzten Ehrenpforte hervortrat: ein Blick voll erstaunter Bewunderung, und er senkte salutirend den Säbel vor dem holden Dirnlein. Ein Murmeln ging durch die Versammlung, aber es wurde übertönt von dem donnernden Eljen, das den greisen Virtuosen empfing, der jetzt aus dem Wagen stieg und mit dem huldvollen Lächeln eines Königs auf Riza zutrat, die, ihren Kranz vor sich herhaltend, mit zitternder Stimme begann:

„O mächt’ger Herrscher in dem Reich der Töne,
Siegreicher Held, die blonde Tissa schaut
Des edlen Ungarlandes herrlichsten der Söhne –“

Hier hob Riza den Blick zu dem Gefeierten auf und sah dicht hinter ihm Stefan, der sich bis hierher durchgedrängt hatte, sie wie verzaubert anstarren, und neben ihm Perfy Viktor, noch zu Roß, mit dreister Bewunderung auf sie herablächeln. Eine ganz sonderbare, zwiespältige Bewegung trieb ihr das Blut ins Gesicht; sie stotterte, stockte, wiederholte sehr verlegen:

„Die blonde Tissa – herrlichster – o Söhne!“

und weil ihr die Worte und Reime immer sinnverwirrender im Kopfe tanzten und bei jeglicher Bemühung, sie festzuhalten, davonflatterten, brach sie ab, hob die jetzt mit Thränen erfüllten Augen flehend zu dem Gaste auf, faltete die Händchen über dem Kranze und sagte:

„Ich bitt’ schön, sein’s nicht schlimm, Herr, ich hab’ die Verse vergessen! Es stand drin, daß Sie gar so schön Pianoforte spielen und daß es eine Ehr’ für uns ist, und daß – daß wir den Herrn halt gar so lieb haben – und – da!“

Sie reichte ihm den Lorbeerkranz.

Und weil sie in ihrer Verwirrung sehr reizend aussah, wallte das Blut des greisen Gastes jugendlich auf, und er beugte sich zu ihr nieder und küßte sie auf den Mund.

„Eljen das Genie, Eljen die Schönheit!“ brauste es über den Platz.

Perfy Viktor sprang vom Pferde und flüsterte Riza zu: „Gesegnet die Lippen, welche der Kuß des Meisters geweiht hat“, und sah dabei aus, als möchte er dieses Segens gern theilhaftig werden, indem ihn Riza weitergab, als ein Arm, welcher wohl zu einem „frechen Bauernbuben“ gehörte, aber dafür recht kräftig war, den Perfy Viktor von ihr wegschob und eine zornige Stimme sagte: „Platz da, Herr, Sie versperren den Weg.“ Als Riza sich von dem Schrecken über diese That erholt hatte, war ihr vornehmer Bewunderer den Spuren des Meisters gefolgt, von dessen Glanze ein Abglanz auch auf ihn fallen sollte, sein bäuerlicher Nebenbuhler aber schaute sie zornig an. Sie ward durch diese Blicke so verwirrt, daß sie sich umwandte und bis in den Hintergrund der Halle floh, wo sie, den Arm auf ein einsames Klavier stützend, im Sturm der beängstigenden Gefühle ein wenig zu weinen begann.

Doch hatte sie nicht lange Zeit zu so thörichtem Thun: denn der Meister kehrte von seinem Rundgange durch die Ausstellung zurück und setzte sich, den stürmischen Bitten seiner Anbeter huldvoll nachgebend, an den Bechstein’schen Flügel, welchen Perfy Viktor der Ausstellung hergeliehen hatte, just denselben, an den sich Riza lehnte.

Der Meister hatte das sinnende Dirnlein wohl bemerkt; er ließ seine Blicke an dem holden Gesichtchen sich weiden, so lange seine Finger über die Tasten stürmten. Und allmählich kam ein Leuchten in die Augen des Spielers und ein Lächeln um seinen Mund.

„Schaut, wie er weltentrückt, wie er gottgleich über der Erde schwebt,“ raunte Perfy Viktor laut genug, daß der Meister es hören konnte. Und der lächelte mild und überlegen und schaute auf Riza, deren Augen in naivem Staunen den dahinstürmenden Fingern folgten.

„Jesus, was die laufen können!“ flüsterten ihre halbgeöffneten Lippen, sahen dabei aber so roth und lieblich aus, und die staunenden Augen blickten so fromm bewundernd, daß das arme Dirnlein wohl für holde Verkörperung andächtigen Kunstgenusses gelten konnte.

Als nun der Meister geendet hatte und Eljenrufen und Stampfen und Klatschen die Bretterwände der Halle erbeben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_758.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2023)