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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Der Terka Rede wäre wohl noch eine Weile so weiter geplätschert; denn ihr Mutterstolz, in den sich das bedrängte Selbstbewußtsein hineingeflüchtet, brach sich nun breite Bahn. Das alte Fräulein sprach kein Wort, sondern lehnte sich zurück und blickte die Terka an, wie man etwa einen Betrunkenen betrachtet, und Perfy zauste unbarmherzig, aber stumm seinen schönen Bart. Doch Riza, welche in einem Athem roth und bleich geworden war, erhob sich und sagte mit etwas vibrirender Stimme: „Komm, liebe Mutter, wir sind schon zu lange hier gewesen.“

Und diesmal widersprach ihr Niemand; das alte Fräulein that zwar ein wenig die Lippen von einander, aber nur, um einen Seufzer der Erleichterung auszustoßen, den sie in der Mitte unterdrückte, und Perfy Viktor sprang beinahe ungestüm von seinem Sitze auf.

Aber gerade in diesem Augenblicke sauste ein Windstoß heulend durch die todtenstille Luft, wirbelte in einem Moment hohe Staubsäulen auf; die Bäume krachten; es wurde ganz finster; Fensterflügel wurden aufgerissen und klirrend zur Erde geschleudert, Ziegel sprangen vom Dach;, dann dröhnte ein so furchtbarer Donnerschlag, daß Terka laut aufschrie und das alte Fräulein erbleichend auf seinen Stuhl zurücksank. Als habe dieser Schlag einen überstraff gespannten Schlauch jählings zersprengt, so stürzten mit plötzlicher und außerordentlicher Gewalt ungeheure Wassermassen vom Himmel herab. Im Nu stand der Garten vor den Fenstern des Empfangszimmers unter Wasser, in dem geköpfte Rosen, abgebrochene Zweige und Aeste schwammen; die jungen Stämme bogen ihre Häupter bis in das Wasser und schnellten wieder zurück, wie von Verzweiflung gepeitscht; ein fortwährendes Donnern, Tosen, Krachen, Pfeifen, mit dem Dröhnen und Klatschen des Regens vermischt, erschütterte die Luft; es war fast nachtdunkel in dem Zimmer, in welchem sich die erschrockenen Menschen dicht zusammengedrängt hatten, instinktmäßig sich als ihres Gleichen fühlend, schwache und leidende Geschöpfe gegenüber einer übermächtigen Natur.

Nach Verlauf einer halben Stunde war das Unwetter ebenso plötzlich vorüber, wie es gekommen war; es wurde hell, der Regen fiel langsam, im Garten lagen Rosen, Aeste, Ziegel und Glasscherben regungslos da, und die Tochter des Obergespans zog erröthend ihre schmalen Hände von dem Schoße Terka’s zurück, wo sie in den letzten Minuten gelegen hatten, bedeckt von den breiten Tatzen der Plebejerin.

(Schluß folgt.) 


Ein Friedhof ohne Gleichen und vierzig auferstandene Könige.

Von Georg Ebers.
(Fortsetzung.)

Ganz anders war es mit den Grüften der großen und reichen Privatleute bestellt. Die schönsten derselben sind unter den Königen der achtzehnten Dynastie (17. bis 16. Jahrhundert v. Ch.) in den Kalkstein des Sargberges gemeißelt worden, und von ihren Oeffnungen aus läßt sich die ganze Todtenstadt mit ihren grünen Feldern, Palmen und Tamariskenhainen, ihren herrlichen Tempeln und elenden Bauernhütten, ihren stolzen Kolossen und grauen Schutthügeln schön überblicken. In der Ueberschwemmungszeit sieht man die Nilfluth die Füße der Memnonssäulen bespülen; aber auch dann sticht das staubige gelbliche Weiß des libyschen Kalkgebirges, das sich bis in die Ebene vorschiebt, scharf ab von dem saftigen Blaugrün des Fruchtlandes.

Die Anlage jedes Einzelgrabes folgt mit geringen Abweichungen dem gleichen Plane. An einen Vorraum schließt sich die sogenannte Grabkapelle, ein größerer Raum, dessen Decke oft von Säulen oder Pfeilern gestützt wird. Diesem folgt ein anderes Felsengemach oder eine Reihe von Zimmern und Kammern, die bisweilen auch zu kleinen Seitengelassen Zugang gewähren. Am äußersten Ende der Gruft pflegt der sogenannte Bir oder Brunnen angebracht zu sein, ein senkrecht wie ein Schornstein abwärtsführender Schacht, der manchmal bis 15 Meter lang ist und an dessen unterstem Ende sich das Gemach befindet, wo der Sarg mit der Mumie des Verstorbenen Aufstellung fand.

Ceremonie der Mund- und Augeneröffnung, welche der Sampriester und der Sohn des Verstorbenen an der Mumie vollziehen. Hinter ihr steht schützend der Schakalköpfige Unterweltgott Anubis.
Aus einem Grabe in Theben.

Die Oeffnung dieses Schachtes, den man oft mit Steinen und Geröll ausfüllte, um ihn unzugänglich zu machen, wurde möglichst gut versteckt, um ihn vor Leichenräubern zu sichern. Die Statue des Verstorbenen pflegte in einem der hinteren Gemächer aufgestellt zu werden, und hier wurde zuerst die Ceremonie der Mund- und Augeneröffnuug an ihr vorgenommen; dann aber legten die Hinterbliebenen an vorgeschriebenen Tagen die Todtenopfer auf den vor der Statue errichteten Altar nieder.

In der Todtenkapelle kam – gleichfalls an bestimmten Daten – die Familie des entschlafenen Großen zusammen, gedachte seiner, beging gewisse Todtenkulte zu seinem Gedächtniß und stimmte Lieder zu seiner Ehre an. Einige Verstorbene stifteten Legate zur Erhaltung eines Sängers und Harfenschlägers, welcher bei solchen Gelegenheiten die Tugenden des Entschlafenen zum Saitenspiele zu preisen hatte. Andere Stiftungen sicherten die Darbringung der dem Verstorbenen zukommenden Spenden auf ewige Zeiten, und zwar geradezu vertragsmäßig. Uebrigens konnte sich in dieser Hinsicht der Verscheidende auf die Pietät seines Sohnes und Erben verlassen; denn dieser hätte sich durch die Vernachlässigung der Pflichten gegen die Manen des verstorbenen Vaters nicht nur der allgemeinen Mißachtung ausgesetzt, sondern auch gewärtig sein müssen, auf Erden von der in den Ka gehüllten Seele des Abgeschiedenen gequält zu werden und im Jenseits der Seligkeit verlustig zu gehen.

Männer, die nach dem Gastmahle trunken fortgetragen werden.
Aus einem Grabe in Theben.

Wie leicht konnte auch sein Nachkomme ihm selbst das vorenthalten, was er seinem Erzeuger entzogen hatte, und zu den kläglichen Vorstellungen, welche sich in die schöne Unsterblichkeitslehre der Aegypter mischen, gehört auch die, daß dem in den Ka gehüllten Ba (der Seele) des Verstorbenen in jener Welt Opfer an Brot und Fleisch, Wein und Bier, Kleidern und Blumen, Reinigungswassern, Salbölen und Essenzen erwünscht und nothwendig seien. Die Mumie der Voreltern galt als ein Pfand, worauf hohe Summen geliehen wurden; denn wer es verfallen ließ, fiel der öffentlichen Ehrlosigkeit anheim.

Aus vielen Texten geht hervor, daß man sich besonders sehnlich viele Nachkommen und unter allen Umständen einen Sohn wünschte, um nach dem Tode der Erhaltung des Grabes und der Todtenopfer sicher zu sein. Der Mutter und Gattin kam, wie im Leben, so auch nach ihrem Hingang das Gleiche, ja unter Umständen mehr zu als dem Vater und Ehemann.

Wenn sich die Ueberlebenden in der Grabkapelle eines Großen versammelten, so gedachten sie seiner nicht unter Klagen und Thränen, sondern erinnerten sich dankbar seiner hohen Stellung, der Fülle seines Besitzes, seiner Gastlichkeit und Güte. Sehen wir von dem Sargzimmer und dem „Brunnen“ ab, so sind auch alle Darstellungen und Inschriften in solcher Gruft so beschaffen, daß sie nur von dem Erdenwallen des in ihr Bestatteten erzählen. An den Tod mahnt nichts als die Abbildung des Leichenzuges, der uns den Sarg des Verstorbenen zeigt, wie er über den Strom geführt wird, wie auf dem Deck des Kajütenhauses der Trauerbarken

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_762.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2023)