Seite:Die Gartenlaube (1886) 764.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

kennen gelernt haben. Und diese Sonderung ist keine zufällige gewesen, sondern hat mit zwingender Nothwendigkeit vorgenommen werden müssen.

Für die Familie und Clientel eines Großen, welche sich an gewissen Gedenktagen zu vereinigen wünschte, bot ein geräumiges Felsengrab genügenden Raum; diejenigen aber, welche den Pharao betrauern, sich seiner erinnern und ihm opfern sollten, waren ein ganzes Volk, und welches Aufgebotes an Geld und Arbeiterkräften hätte es bedurft, um Säle aus dem Felsen zu meißeln, welche groß genug gewesen wären, um die Repräsentanten einer ganzen Nation in sich aufzunehmen!

Versuch einer Rekonstruktion des Terrassentempels Der el-bahri.
Originalzeichnung von Weichardt nach Brune.

Eine Antilope, auch wohl ein Stier und einige Gänse ließen sich leicht vor der Gruft des Privatmannes schlachten, und der kleine Altar in ihrem Hintergrund gewährte Platz genug für fette Thierschenkel, gebratenes Geflügel, Kuchen, Blumen etc.; für die Manen des Königs mußten dagegen Hekatomben verbluten, zahlreiche Priester hatten die Opfertische zu umgeben und die Ceremonien beim Todtenfeste zu leiten. Der Gruft des Würdenträgers näherte sich an den Gedenktagen eine beschränkte Zahl von Besuchern, dem Memnoninm des Pharao eine glänzende Procession von unabsehbarer Länge. Die bescheidenen Höhenpunkte im Leben eines Privatmannes: heiteres Beisammensein mit den Seinen, Vergnügungen im Haus und im Freien, Inspicirung reichen Besitzes etc. lassen sich leicht auf beschränkten Flächen darstellen, die großen Momente im Dasein des Herrschers gehören dagegen der Geschichte an; die ganze Nation nimmt an ihnen Theil, und wo wir, wie in den Grüften von Abd el-Qurna, das Familienhaupt mit seinen Hunden die Gazelle verfolgen und das Nilpferd mit der Harpune erlegen sehen, finden wir im Memnonium den Pharao dargestellt, wie er sich auf dem Kriegswagen von muthigen Rossen gezogen in das Schlachtgetümmel ’ stürzt oder mit zahlreichen Gefangenen siegreich in die Heimat zurückkehrt, an deren Grenze seine Getreuen den Triumphator mit Jubel empfangen.

Wie die Bedeutung der Thaten des Königs die der Unterthanen weit übertrifft, so dürfen die Darstellungen derselben einen viel größeren Raum in Anspruch nehmen, als die der Leistungen des Bürgers. Ein Jagdstück läßt sich auf einen breiten Pfeiler in der Grabkammer malen, ein Schlachtgemälde füllt die breite und hohe geneigte Wand einer thurmhohen Tempelpforte aus. Die Gemälde, welche den Memnonien zur Ausschmückung dienen, sind umfangreicher und behandeln bedeutendere Stoffe als diejenigen, denen wir in den Privatgrüften begegnet sind, und wandern wir von einem königlichen Erinnerungsmale zum anderen, so finden wir, daß auch hier die schriftliche und bildliche Dekoration Bezug nimmt auf das Erdendasein des Königs.

In dem südlichsten Memnonium der Todtenstadt, dem von Medinet Habu, sehen wir den reichen Ramses III., jenen Rhampsinit, von dessen Schatzhause und dem klugen Baumeisterssohne Herodot eine besonders hübsche Geschichte erzählt, wie er im Frauengemache mit jungen Schönen, denen er so hold war, daß ihn seine Zeitgenossen deßwegen in Karikaturen verspotteten, das Brettspiel spielt. Auf den Pylonen dieses Memnoniums zeigen in den Stein gegrabene Gemälde von riesigen Dimensionen ihn selbst, wie er in die Schlacht zieht und seine Gegner, zwei mächtige und vielgliedrige Völkerbündnisse, niederwirft.

Prächtig erhalten blieb das Memnonium Ramses’ II. Nur die Bildsäule, welche seine Gestalt und seine Züge den Nachgeborenen bis ans Ende der Tage zeigen sollte, ist wie durch ein Wunder der Vernichtung anheimgefallen. Sie liegt zertrümmert am Boden, und doch hatte sie aus hartem Granit bestanden und an Größe den berühmten Memnonskoloß überragt. Aus ihren Bruchstücken verfertigen gegenwärtig armselige Fellachen kreisrunde Steine für ihre Handmühlen. Der bildliche Schmuck, welcher sich an den Pylonen und in den Sälen dieses Meisterwerkes der ägyptischen Architektur erhalten hat, bezieht sich wiederum auf die Heldenthaten, welche sein Erbauer auf Erden verübte.

Wandern wir vom Ramesseum aus wieder nach Nordwesten, so begegnen wir in unsrer Todtenstadt demjenigen Memnonium, welches als ältestes von allen angesehen werden darf und in vieler Hinsicht besonderes Interesse gewährt. Wir meinen den Terrassentempel der Königin Hatschepsu, welcher heute nach einem

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_764.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2023)