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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

und es war so geschwellt und ganz erfüllt von dem leichten und treibenden Muth der Jugend und Liebe, daß aus ihm heraus wie ein ’Jubelruf die Worte über Riza’s Lippen drangen:

„Mutter, liebe Mutter, wachst Du? Mutterle, ich liebe den Stefan und er mich! Und morgen in der Früh’ geben wir dem garstigen Perfy Viktor, den Abschied – halt ja?“

Ach, arme Riza, wie rasch ihr Herz vom Himmel herab auf die Erde fiel, getroffen von bösen, bösen Worten aus sonst so gütigem Munde! So gut hatten Mutter und Tochter bisher sich verstanden, so liebevoll stets mit einander geredet, und nun war’s, als ob zwei Feinde einander bekämpften; denn durch das Dunkel der Nacht, das die lieben, altvertrauten Gesichter verhüllte, klangen die Worte so schwer, so kränkend …

Als der Morgen graute, hatte Terka sich zu der Drohung verstiegen, sie werde Riza aus Haus und Herzen stoßen, wenn sie gegen den vornehmen Freier, der unermeßliche Ehre ins Haus bringe, ein Wort verlauten lasse von der dummen, eingebildeten Liebe zu dem verhaßten Sohne eines schlechten Vaters; Riza aber hatte ebenso entschieden versichert, sie werde eher sterben, als des niedrig gesinnten Perfy Weib werden.

Stumm und ohne einander anzublicken, erhoben sich dann Mutter und Tochter, und während die Erstere in die Küche eilte, um Vorbereitungen zum festlichen Nachtmahl zu treffen, blickte Riza hilfesuchend aus dem Fenster und sah Stefan auf dem Maulbeerbaum sitzen und hinüberschauen. Da ging sie resolut durch die Küche an der Mutter vorbei in den Hof und rief laut zum Baum hinauf:

„Du, Stefan! geh’ zu Perfy Viktor und sag’ ihm –“

Da war die Mutter schon neben ihr, riß sie zurück in die Küche und schrie:

„Ich verfluche Dich, wenn Du dem Perfy Dein Wort brichst!“

Bleich wich Riza zurück; der Fluch der Mutter war etwas, worüber sie nicht hinauskonnte, was Gewalt über sie hatte. Endlich sagte sie tonlos:

„Ja, ich werde ihn heirathen, den Perfy, der Dich und mich verachtet. Und weißt, was hernach kommen wird? Dich wird er aus seinem Hause jagen, weil Du eine Bäuerin bist, mich wird er mißhandeln, weil er mich nicht wird zwingen können; denn ich werde ihn hassen und verachten und ihm trotzen – und dann werde ich sterben vor Gram, und der Stefan auch –“ hier schluchzte sie auf und zwischen dem Schluchzen kam noch hervor: „Und Du wirst Schuld haben an seinem Tod und dem meinen und – und –“

Sie legte den Köpf auf den Küchentisch und weinte laut.

Terka zog sie bei der Hand in die Höhe, führte sie in die Kammer und sagte:

„Hier bleibst, bis Du gescheit geworden bist; mit solch dalketem Fratz werd’ ich halt noch fertig werden!“

Sie schloß die Tochter ein und murmelte vor sich hin:

„Bis zum Abend wird sie sich beruhigen. Und ist sie erst Edelfrau und in Paris, wo alle Gassen mit Steinen gepflastert und in den Häusern die Wände aus Spiegeln und Marmelstein sind, wo es so viele Grafen giebt wie Ziegel auf den Dächern, Grafen, die ihr alle flattiren – denn ein herziger Fratz ist sie doch, das dumme Ding – dann wird sie mich segnen, daß ich heut ihre Narrheit gezwungen hab’.“

Aber noch einmal sollte Terka’s Fassung ernstlich erschüttert werden. Denn Stefan betrat, zum ersten Mal in seinem Leben, ganz frank und frei durch die große Vorderthür ihr Haus – gut nur, daß sie die Riza in die Kammer gesperrt hatte, wo sie von dem frechen Buben nichts hören und sehen konnte!

Der Stefan hatte zuerst verlegen etliche Sätze gestottert; aber bald hatte er die Scheu abgeschüttelt und hatte der Terka gesagt, er, der Stefan, liebe Riza und er glaube, sie liebe ihn auch, und da sei es eine Sünde und Schande, daß die Mutter sie zur Ehe mit dem miserablen Gliederschlotterer zwingen wolle, dem Advokaten, der keine Kraft in den Knochen, kein Herz im Leibe, kein Geld im Beutel und bloß Dünkel im leeren Gehirnkasten habe. Und wenn die Mutter ein Einsehen haben und ihm, dem Stefan, die Riza zur Frau geben wolle, so werde er Riza sein Leben lang auf den Händen tragen und die Mutter hochhalten wie seine eigene. Wenn aber Terka seine Riza zwingen wolle, so werde er dem Dirnlein aus der Noth helfen, und solle er den Advokaten noch am Altar von ihr reißen oder gar todtschlagen.

Terka hatte dem frechen Buben gehörig heimgeleuchtet. Aber er hatte ihr doch einige Besorgniß dagelassen. Wer weiß, wozu der Kecke fähig war! Muth genug hatte er zu den größten Tollheiten; wie ihm die schwarzen Augen geblitzt hatten! Sauberer war er schon als der storchbeinige Perfy Viktor, und reden konnte er – auch handeln, wie er gestern erst bewiesen hatte. Es war doch eigentlich hübsch von ihm gewesen, daß er sie, die Terka, die ihm die Jahre hindurch so viele schlimme Worte gegeben, aus dem Schlamm gezogen und hinübergeschleppt hatte. Und sie war nicht leicht! Perfy Viktor wäre sicherlich unter der Last zusammengebrochen. Das heißt: er hätte sie überhaupt nie auf sich zu nehmen versucht; zu solchem Dienst war er viel zu vornehm.

Zu vornehm! Daß er sich doch ja nicht zu viel einbildete! Wenn der Stefan seine Kleider anzöge, wäre er dann nicht ein schönerer Gemahl für das vornehmste Edelfräulein, als der dürre Advokat? Und rühmte sich der einer großen Familie, so hatte Stefan dafür Geld – und Liebe. Denn er liebte die Riza gewiß und wahrhaftig, und sie würde vielleicht mit ihm so glücklich werden, wie Terka nie gewesen, wie sie aber einmal gehofft, gewünscht, ersehnt hatte, zu sein! Um dann betrogen, verrathen zu werden von dem Janos, dem schlechten Vater dieses kecken Buben! Und warum sollte es der Stefan anders machen mit der Riza, als es sein Vater mit der Terka gemacht? War er doch sein Sohn und ihm gleich bis aufs Leberflecklein auf der Nase.

Und Janos würde sich ins Fäustchen lachen, wenn sein Sohn ihre einzige, schöne, reiche, feine Tochter zur Frau bekäme; wenn die Terka schließlich geschafft und gespart hätte für den Janos, die Terka, die ihn am liebsten zertreten hätte – die jetzt im Begriff gewesen war, ihrem ehrgeizigen Streben die Krone aufzusetzen, ihre Riza und sich selbst zu erheben in die vornehme Welt, in welche der Janos sammt seinem Sohne nie und nimmer auch nur durch ein Thürritzchen werde gucken können!

Aber wenn es nun wahr wäre, was Riza gesagt, wenn diese vornehme Welt der Mutter die Thür vor der Nase zumachte und die Tochter fühlen ließe, daß sie aus Bauerngeschlecht stamme? Wenn’s wahr wäre, daß die Familie des Perfy Viktor, ja daß dieser selbst sie und ihr Kind mißachteten? Er war gestern so sonderbar gewesen –

Gestern? nur gestern? – Terka schoß alles Blut zu Kopf: mit peinlicher Schärfe stand plötzlich jedes tadelnde Wort, jeder spöttische, geringschätzige Blick vor ihr, mit denen Perfy Viktor sie nach und nach in den Winkel gedrängt hatte – wo sie stehen geblieben war, schüchtern und demüthig, wie ein gescholtenes Kind, sie, die reiche, angesehene, stolze Terka!

Scham, Zorn, Haß bäumten sich in ihr auf:

Das mußte anders werden, noch, heut’! Noch heut’ würde sie Perfy Viktor zeigen –

Noch heut’! Da fiel ihr ein, daß heute ja der Polterabend war. Die Uhr zeigte schon auf Mittag, Und der Bräutigam hatte seinen täglichen Besuch nicht gemacht. Wenn er Riza im Stiche ließe, in Schmach und Schande brächte vor der ganzen Gesellschaft seiner Verwandten und dazu vor derjenigen der Bauern, welche Terka ohne Wissen des Schwiegersohnes eingeladen hatte, weil sie mit der Heirath der Tochter prahlen wollte?

Mit ihrem Denken auf diesem Punkt angelangt, fühlte Terka nichts mehr, als eine sich steigernde Angst, daß Perfy nicht kommen werde, und diese machte sie so reizbar, daß sie bei jedem Geräusch erblaßte und zitterte und bei jedem kleinen Versehen der Mägde in größte Aufregung gerieth.

Nun hatte sie bereits Riza angekleidet und heftig auf die Tochter gescholten, daß ihre Wangen so weiß wären wie ihr Kleid und sie sich anstelle wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt würde. Darauf hatte Riza nichts erwidert, sondern nur die Mutter angeschaut mit einem Blick so voll Schmerz und Flehen, daß Terka sich rasch abwenden mußte. Aber das saß ihr doch im Herzen und mehrte ihre Aufregung.

Es war fünf Uhr geworden. Perfy kam noch nicht.

Terka zog das schwarze Seidenkleid an, aber als sie ihre Mißgestalt im Spiegel sah, kam ein plötzlicher Trotz über sie: sie wollte sich nicht ihres Eidams wegen zur Vogelscheuche machen. Sie zog das Kleid aus und legte ihren prachtvollen Bauernstaat

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_775.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2023)