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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

an, in welchem sie so ansehnlich und hübsch aussah, daß Perfy Viktor sich ihrer nicht zu schämen brauchte, wenn er nur ein Fünkchen Einsicht und Verstand hatte.

Ja, hatte er die?

Es schlug Sechs. Die Festtafel mußte im Hof gedeckt und mit Blumen geschmückt werden. Und das war ein peinliches Geschäft; denn im Maulbeerbaum saß groß und breit der Stefan und schaute mit finstern Augen zu. Riza durfte den Hof nicht betreten; der Terka aber schlug das Herz immer ängstlicher.

Sieben Uhr. Die ersten Gäste langten an: ein paar reiche Bauernfamilien in prächtigen Festkleidern; sie wechselten kräftigen Handschlag mit Terka und Riza und fragten nach dem vornehmen Bräutigam. Der aber war nicht da.

Dann kam der Advokat, welcher den Ehevertrag aufzusetzen hatte, und Terka wurde roth und blaß, als sie dem verwundert aufhorchenden alten Herrn erklärte, ihr Eidam sei noch nicht gekommen, er müsse nothwendige Abhaltungen haben. Der alte Herr wiegte den Kopf.

„Nothwendige Abhaltungen?“ wiederholte er. „Als ich meiner Zeit zur Hochzeit reiste, war die Tissa, die ich passiren mußte, ausgetreten und hatte, wie sie das zu thun liebt, Häuser und Vieh und Menschen mitschwimmen heißen, und dazu wüthete eine furchtbarer Sturm. Meine Mutter jammerte, mein Vormund redete mir im Namen der Vernunft zu, doch die Hochzeit ein paar Tage oder Wochen aufzuschieben. Ich aber sagte: ,Aufschieben? Warten? Aufs Glück warten? Meine Janka auch nur eine Stunde später küssen, als ich’s kann? Ein Narr und eine Memme, wer’s thäte!‘ Und ich nahm mir einen guten Kahn und einen tapfern Fährmann und fuhr durch Trümmer und Leichen und Wellen zur Braut. Die machte, als sie mich sah, große, starre Augen, als käm’ ich geradewegs aus dem Grabe; dann aber fiel sie mir vor allen Leuten um den Hals – sie, die so für die Beobachtung der Schicklichkeit erzogen war, sie küßte mich wieder und wieder und rief: ‚Ich bin Dein, mein tapferer Ferencz, Dein von diesem Augenblick an bis ans Eude der Welt und ins Grab!‘ Noch in derselben Stunde wurden wir getraut, und ich hatte sie und habe sie behalten bis heut, da wir schon graue Köpfe haben. Ja, ja, Terka né, wir Alten hatten mehr Feuer im Blut als die bleichsüchtige Jugend von heut zu Tage –“

„O nein,“ fiel dem alten Herrn Riza ins Wort, die herangetreten war und Alles gehört hatte, „ich weiß Einen, der noch heut’ dasselbe wagte und thäte und durch Wasser und Feuer und Tod ginge bloß mit dem einen Gedanken im Herzen, daß ich dahinter stände und so spräche, wie Ihre Braut damals – und ich – o ich –“

„Es klopft, Riza, geh, nachzuschauen, wer’s ist!“ unterbrach sie die Mutter, aber mit zitternder Stimme und blaß im Gesicht, das sie hastig zur Seite wandte, und der alte Herr sah den Beiden, welche in das Vorderzimmer gingen, nach und murmelte: „Merkwürdig! sie weiß Einen, aber es ist nicht ihr Verlobter – und die Mutter weiß das und weint – und sie warten auf den Bräutigam, der nicht kommt.“

Aber er war gekommen, umgeben von einem ganzen Hofstaate seiner Verwandten und Freunde, und er führte das alte Fräulein Teleky am Arm, das der Terka die Fingerspitzen hinreichte und sagte: „Sehen Sie, ich bin gekommen, liebe Frau, den Ehrentag meines guten Neffen mitzufeiern“, und Perfy Viktor, welcher beim Anblick der bäuerlichen Gäste erblaßt war, stellte seine übrigen Verwandten – nur Herren – seiner Braut vor – nur der Braut – und fügte hinzu: „Sie werden mein spätes Erscheinen verzeihen, theure Riza, wenn Sie hören, daß ich meine Verwandten, welche uns solche Ehre erweisen, erst vor einer Stunde vom Bahnhof abgeholt habe und die Wagen noch den Umweg zu dem Hause meiner gnädigen Tante machten.“

Riza hörte ihn stumm an und wandte sich dann mit verächtlich zuckender Lippe von ihm ab und den Herren zu, welche ihr Glückwünsche und Schmeicheleien sagten. Als aber Terka’s Schüchternheit vor der Galanterie der Edelleute aufthaute und sie sich in ihrer zuthunlichen Weise in das Gespräch zu mischen begann, fiel Perfy Viktor, dem die Schweißtropfen auf der Stirn standen, ihr ins Wort, fragte sie, ob das Nachtmahl bereit wäre, und raunte ihr zu:

„Sorgen Sie für Ihre Bekannten, liebe Mama; ich werde meine Verwandten placiren.“

Und Terka gehorchte, obwohl sie im Gefühl der Demüthigung erbleichte und zitterte. Aber die Vornehmheit ihres Eidams verwirrte und unterjochte sie.

Perfy Viktor komplimentirte indeß seine Verwandten in den Hof und wies ihnen die oberen Plätze der Tafel an; die Bauern mußte Terka ans untere Ende setzen. Dann bot Perfy seiner bleichen Braut den Arm und geleitete sie zu dem Ehrenplatze, welcher dem Brautpaar gebührte.

Aber Riza blieb stehen und schaute sich um. Ihr zur Rechten saß ein alter Verwandter Perfy’s, ihr Verlobter hatte seine Tante zur Nachbarin.

Sie erblaßte noch tiefer; mit zitternden Lippen fragte sie leise:

„Und meine Mutter? Wo soll meine Mutter sitzen?“

„Ei, wo sie mag! – So setzen Sie sich, machen Sie keine Scene, Riza,“ flüsterte Perfy, dessen arg bestürmte Selbstbeherrschung zu wanken begann.

Riza blickte ihn einen Moment mit sprühenden Augen an und ging dann an den aufschauenden Gästen vorbei auf ihre Mutter zu, die ganz fassungslos vor Scham, Angst und Wuth am untersten Ende des Tisches auf einen Stuhl gesunken war, gab der Willenlosen den Arm, führte sie zu dem Platze, welchen das alte Fräulein einnahm, und sagte mit ehrerbietiger Verbeugung, aber mit fester, lauter Stimme:

„Sie verzeihen, gnädiges Fräulein; es ist ein Irrthum geschehen; der Platz neben dem Bräutigam gebührt der Brautmutter.“

Das Fränlein erhob sich sofort und erwiderte:

„Ich räume den Platz und das Haus, in welches Sie eine Dame Ihrer Verwandtschaft nicht hätten führen sollen, Viktor.“

Da verlor Perfy Viktor alle Selbstbeherrschung; er sprang auf und stammelte wuthbebend:

„Das sollen Sie mir büßen, Riza; diesen Schimpf sollen Sie mit blutigen Thränen abwaschen –“

Nun aber rang sich endlich Terka’s Stolz durch ihre Angst und Verwirrung hindurch, und sie rief mit befehlshaberischem Ton:

„Jetzt ist’s genug, jetzt schaun’s, daß Sie ganz still schweigen, Herr Schwiegersohn!“

Sie legte ihm gebieterisch die Hand auf die Schulter. Wüthend schüttelte er sie ab und rief:

„Berühren Sie mich nicht! Wer spricht denn mit Ihnen, Sie einfältige –“

Weiter kam er nicht; denn Riza hatte ihn ins Gesicht geschlagen.

Und in demselben Augenblicke geschah dicht neben der Tafel ein Knall wie von einem aus großer Höhe herabfallenden Gegenstande. Stefan lief an der entsetzten Tischgesellschaft vorbei auf Riza zu, hob sie auf starken Armen in die Höhe und küßte sie und jubelte:

„Dirn’! Dirn’! Dirn’! Was bist für ’ne brave Dirn’! Und mein bist, mein! Schau, ich bin Dir ja halt zum Sterben gut!“

Und Riza schlang die Arme um Stefan’s Hals und sagte ganz laut:

„Jetzt hab’ ich Dich mir verdient, mein Stefan!“

Dann sprang sie aus seinen Armen zur Erde und umschlang die Mutter und flüsterte:

„Jetzt giebst mich dem Stefan gern, halt ja, Mutter?“

Aber Terka konnte nichts thun als weinen.

Die Hochzeitsgesellschaft war längst zerstoben. – –

Ein Vierteljahr später saß eine große Schar festlich geschmückter Bauern um eine Tafel, die fast von einem Ende des Hofes bis zum andern reichte und unter der Last des Paprikasch und der Spanferkel und der vielen guten Krapfen ächzte, und lärmend tranken sie auf das Wohl des schönen jungen Ehepaares, das nur Augen hatte für einander. Neben dem Bräutigam saß Terka und schaute glückstrahlend auf Stefan, der ihr von Zeit zu Zeit heimlich die Hand küßte; neben der Braut Janos, fett und hübsch, und blickte vergnügt in sein Weinglas. Und Janos stand auf, ging um den Tisch herum zu Terka und flüsterte ihr zu:

„Schau, Terka, die fliegen noch heut’ in den Himmel – meinst nicht? – Hei, wer das auch noch könnt’! – He, was meinst, alte Liebste, wollen wir zwei Beid’ nicht am End’ nachholen, was wir vor zwanzig Jahren versäumt haben? Die alte Feindschaft haben wir nun doch begraben, und ich bin halt übrig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_778.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2023)