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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Ihr Andenken, ja! Aber sie war eine Unglückliche, welche Heimath und Familie aufgegeben hatte, um dem Manne zu folgen, den sie liebte und von dem sie sich geliebt glaubte. Sie hat die Täuschung mit dem Elend eines ganzen Lebens bezahlt – und ist auch daran gestorben!“

„Und ihre Familie wußte das und ließ sie sterben im Elend?“

„Weßhalb denn nicht? Es war ja ihre freie Wahl gewesen, sie büßte nur ihre Schuld! Begreifen Sie denn das nicht, Gräfin Steinrück?“

Die Worte waren wieder ganz von der früheren Bitterkeit überfluthet. Hertha hob langsam die Augen zu ihm empor; sie hatten jetzt nichts mehr von jenem schillernden Glanze, der sie in manchem Augenblicke halb dämonisch erscheinen ließ; der feuchte Schimmer darin kam von Thränen.

„Nein, aber ich begreife, daß sie dem Manne ihrer Liebe folgte und an ihn glaubte, der ganzen Welt zum Trotze, wenn der Weg auch in Dunkel und Schmach, wenn er selbst ins Verderben führte – ich hätte es auch gekonnt!“

„Hertha, das sagen Sie mir? Das höre ich von Ihren Lippen?“ brach Michael mit vollster Leidenschaft aus, und ehe sie es hindern konnte, hatte er ihre Hand ergriffen und stürmisch seine Lippen darauf gedrückt; aber das brachte die junge Gräfin zur Besinnung; sie schreckte empor.

„Hauptmann Rodenberg, um Gotteswillen! Sie vergessen –“

„Was?“ fragte er, ihre Hand nur noch fester umschließend.

„Daß ich die Braut Raoul’s bin!“

„Nur seine Braut, nicht sein Weib! Das Band kann ja gelöst werden. Geben Sie mir das Recht dazu, und ich zerreiße –“

„Nein, Michael, niemals! Es ist zu spät – ich bin gebunden!“

„Sie sind frei, sobald Sie wollen, aber Sie wollen nicht!“

„Ich kann nicht!“

„Hertha – ist das Ihr letztes Wort?“

„Mein letztes.“

Michael ließ ihre Hand fallen und trat zurück.

„So bitte ich um Verzeihung wegen meiner – Vermessenheit.“

Braut aus der Baar.
Von Wilhelm Hasemann.

Hertha sah es, wie tief er verletzt war. Sie büßte jetzt das Spiel, das sie einst im Uebermuth mit ihm getrieben. Er glaubte nicht an sie. Der alte böse Geist, der alte Argwohn regte sich wieder in ihm und flüsterte ihm zu, sie habe nur den Muth des Wortes, nicht den der That und ziehe es doch schließlich vor, sich die Grafenkrone zu sichern, anstatt dem Sohne des Abenteurers zu folgen. Ein Wort aus ihrem Munde hätte ihn aus seinem Irrthum reißen können, aber vor der jungen Gräfin erhob sich in diesem Augenblick das strenge, finstere Antlitz des alten Generals; sie fühlte seinen eisernen Händedruck, hörte seine drohenden Worte: „Ich denke doch, die Braut des Grafen Steinrück weiß, was sie sich und ihm schuldig ist!“ Die Erinnerung trat gebieterisch ein für die Heiligkeit des gegebenen Wortes. Man zerriß ein freiwillig geknüpftes Band nicht wenige Wochen vor der Vermählung, weil man sich – anders besonnen. Hertha senkte das Haupt und schwieg.

Die Sonne war gesunken, und mit ihr erlosch auch der Schimmer, der die ganze Kirche wie in Gluth und Verklärung getaucht hatte. Kalt und leblos wie sonst standen die Bilder und Statuen da, und graue Dämmerungsschatten schienen leise niederzuschweben; nur die lichte Gestalt des Erzengels war noch erkennbar in dem Dunkel der Altarnische. Aber der Sturm, der draußen um die Mauern brauste, mußte jetzt irgendwo den Eingang gefunden haben; er zog in langen unheimlichen Tönen oben an der Wölbung hin und erstarb dann flüsternd, wie Geisterhauch.

Hertha schauerte unwillkürlich zusammen bei den seltsam klagenden Lauten und wandte sich dann, zu gehen. Michael folgte, aber er blieb einige Schritte hinter ihr zurück. Keiner von Beiden sprach ein Wort. Sie traten eben in die Vorhalle der Kirche.

Da kam ihnen der Pfarrer entgegen, aber mit erregter, bekümmerter Miene.

„Ich suchte sie, Gräfin Hertha,“ sagte er, noch athemlos von dem eiligen Gange. „Da bist Du ja auch, Michael! Es ist ein Bote von Schloß Steinrück herauf gekommen –.“

„Vom Schloß?“ fiel Hertha erschrocken ein. „Es ist doch nicht schlimmer mit meiner Mutter geworden?“

„Die Frau Gräfin scheint allerdings kränker geworden zu sein, und Fräulein von Eberstein wollte Ihnen Nachricht davon geben, hier ist der Brief.“

Hertha erbrach hastig das dargereichte Schreiben und durchflog es. Valentin sah, daß sie erbleichte.

„Ich muß fort! Es ist keine Minute zu verlieren. Bitte, Hochwürden, lassen Sie den Wagen in Bereitschaft setzen.“

„Jetzt wollen Sie fort?“ fragte der Pfarrer bestürzt. „Es dämmert ja bereits; in einer halben Stunde ist es dunkel, und der Sturm wird heftiger. Sie können doch unmöglich in der Nacht die lange Bergfahrt machen.“

„Ich muß! Gerlinde würde nicht in solchen Ausdrücken schreiben, wenn meine Mutter nicht in wirklicher Gefahr schwebte.“

„Aber Sie bringe sich selbst in Gefahr bei einem solchen Wagniß. Michael, was meinst Du dazu?“

„Es wird eine Sturmnacht geben,“ sagte Michael hervortretend. „Müssen Sie fort, Gräfin Steinrück?“

Sie reichte statt aller Antwort ihm und dem Pfarrer den Brief, der nur einige, augenscheinlich in höchster Eile hingeworfene Zeilen enthielt:

„Die Tante ist plötzlich kränker geworden; sie verlangt nach Dir, und ich bin in Todesangst. Der Arzt spricht von einem schweren, vielleicht tödlichen Anfall. Komm sofort zurück! 0Gerlinde.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_784.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)