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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


„Sie sehen, daß hier keine Wahl ist,“ sagte die junge Gräfin mit bebender Stimme. „Wenn ich sofort aufbreche, kann ich vor Mitternacht im Schlosse sein. Lassen Sie uns gehen, Hochwürden!“

Sie waren schon während der letzten Minuten in das Freie getreten und wandten sich jetzt dem Dorfe zu. Hertha und der Pfarrer hatten Mühe, bei dem Sturme vorwärts zu kommen.

Valentin machte noch einen Versuch, sie zu bestimmen, wenigstens die Nachtfahrt zu unterlassen; der Tag breche ja jetzt so früh an, und sie könne beim ersten Morgengrauen aufbrechen. Es war umsonst.

Im Pfarrhause trat ihnen der Bote, ein Diener aus dem Schlosse entgegen, der zu Pferde gekommen war; aber er wußte auf die angstvollen Fragen seiner jungen Herrin nichts Tröstliches zu berichten. Die Frau Gräfin sei allerdings sehr krank; der Herr Doktor scheine die Sache ernst zu nehmen und habe ihm die größte Eile anbefohlen.

Michael hatte sich der Abmahnung des Pfarrers nicht angeschlossen, jetzt aber trat er hervor und fragte leise: „Darf ich Sie begleiten?“

„Nein!“ war die eben so leise, aber mit voller Entschiedenheit gegebene Antwort. Er trat finster zurück.

Zehn Minuten später saß Hertha bereits in dem kleinen Bergwagen, den ihre Mutter stets benutzte, wenn sie nach Sankt Michael kam, und dessen auch sie sich bedient hatte. Der Kutscher war zuverlässig, und der begleitende Diener wie der Bote, der sich gleichfalls anschloß, ritten tüchtige Bergpferde. Dennoch stand der alte Pfarrer mit bekümmerter Miene am Schlage, aus dem die junge Gräfin ihm zum Abschiede die Hand entgegenstreckte. Dann wandte sich das schöne, jetzt so bleiche Antlitz nach der Thür des Pfarrhauses, wo Michael stand. Ihre Blicke trafen sich noch einmal; es war ein Lebewohl für immer!

„Gott gebe, daß der Sturm während der Nacht nicht heftiger wird,“ sagte Valentin seufzend, als der Wagen abfuhr. „Bei einer wirklichen Gefahr würden die Diener doch den Kopf verlieren. Ich hoffte, Du würdest der Gräfin Deine Begleitung anbieten, Michael.“

„Das habe ich gethan, aber sie wurde in der bestimmtesten Weise zurückgewiesen, und aufdrängen konnte ich mich selbstverständlich nicht.“

Mädchen aus dem Gutachthal.
Von Wilhelm Hasemann.

Der Pfarrer schüttelte unwillig das greise Haupt.

„Wie kannst Du in einer solchen Stunde empfindlich und gereizt sein! Du sahst ja, in welcher Aufregung Gräfin Hertha war, aber sobald es sich um die Steinrück handelt, schweigt all Dein Gerechtigkeitsgefühl; das weiß ich längst.“

Michael erwiderte nichts auf diesen Vorwurf; sein Blick folgte nur dem Wagen, der jetzt in der Biegung des Weges verschwand, und flog dann zu der Adlerwand hinüber, die weiß und gespenstig in der zunehmenden Dämmerung dastand. Noch war sie klar; aber um ihre Gipfel begann sich jetzt, Gewölk zu sammeln, Sturmgewölk, das sich langsam und drohend zusammen ballte. –

Valentin und sein Gast waren in das Haus zurückgekehrt; sie hatten sich seit dem Herbste nicht gesehen. Es gab unendlich viel zu fragen und zu berichten, und das gewünschte ungestörte Beisammensein wurde ihnen ja nun im vollsten Maße zu Theil. Dennoch wollte das Gespräch nicht in Gang kommen. Michael besonders war ungemein zerstreut und einsilbig; er schien manche Frage gar nicht zu hören, gab falsche Antworten oder fuhr wie aus einem Traum erwachend dabei auf. Der Pfarrer bemerkte mit Befremden, daß er mit seinen Gedanken ganz wo anders war.

Die Dämmerung begann überhand zu nehmen, und die alte Katrin hatte soeben Licht gebracht; da pochte es an die Thür, und gleich darauf trat ein älterer Mann in Jägertracht ein, der gradewegs auf den Pfarrer zuging und den Hut zog.

„Grüß’ Gott, Hochwürden, da bin ich einmal wieder in Sankt Michael! Kennen Sie mich noch? Es mögen an die zehn Jahr sein, daß ich von der Bergförsterei fortgegangen bin.“

„Wolfram, Ihr seid es!“ rief Valentin in höchster Ueberraschuug. „Wo kommt Ihr her?“

„Von Tannberg. Ich hab’ dorthin gemußt, ans Landgericht, einer kleinen Erbschaft wegen, die mir ein alter Vetter hinterlassen hat. Da nun morgen grade Michaelsfest ist, wollt’ ich mich doch einmal umschauen nach der alten Heimath und auch nach Ihnen, Hochwürden. Bin erst vor einer halben Stunde angekommen und beim Rainwirth abgestiegen; wollt’ Ihnen doch aber heut Abend noch ,Grüß’ Gott‘ sagen.“

Der Pfarrer blickte mit einer gewissen Verlegenheit auf Michael. Dies unerwartete Zusammentreffen hatte doch etwas Peinliches für den nunmehrigen Officier; denn wenn Wolfram ihn auch vorläufig noch nicht erkannte, so konnte das doch nicht ausbleiben.

„Das ist brav, daß Ihr Euch noch die Anhänglichkeit an mich und an die alte Heimath bewahrt habt,“ sagte er etwas zögernd. „Ich bin nicht allein, wie Ihr seht, sondern habe einen Gast im Hause –“

„Weiß schon, einen Officier,“ fiel der Förster ein, indem er sich stramm aufrichtete und auch wirklich einen echt militärischen Gruß zu Stande brachte. „Hab’s schon gehört beim Rainwirth. Ein Sohn von dem Herrn Bruder da oben in Berlin!“

Michael hatte auf den ersten Blick seinen ehemaligen Pflegevater wieder erkannt. Es war noch die kraftvolle gedrungene Gestalt mit den harten Zügen, Haar und Bart jetzt allerdings grau geworden, aber noch ebenso verwildert wie einst, die ganze Erscheinung unverändert in ihrer derben Bauernart. In Rodenberg’s Brust wallte eine bittere Empfindung auf, als er den Mann vor sich sah, dessen Rohheiten er Jahre lang hatte aushalten müssen, unter dessen brutaler Gewalt seine Knabenzeit und seine ersten Jünglingsjahre im eigentlichsten Sinne des Wortes verkommen waren. Wohl sagte ihm sein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 785. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_785.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)