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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Nun, reißt mich nur nicht um!“ brummte Wolfram. „Habt Ihr denn mein Rufen nicht früher gehört? Seit zwei Stunden schreien wir nach allen Windrichtungen hin. Wo ist die Gräfin?“

„Ich weiß es nicht – ich habe sie verloren – wohl schon seit einer Stunde.“

Der Förster machte unsanft seinen Arm frei, den Jener noch immer umklammert hielt.

„Was? Verloren? Da schlag’ doch der Donner drein! Ich denk’, endlich die Gräfin zu haben, und nun hab’ ich nur den Bedienten! Unglücksmensch, warum habt Ihr Eure junge Herrin im Stich gelassen? Warum seid Ihr nicht bei ihr geblieben, wie es doch Eure verfluchte Schuldigkeit war?“

„Es war nicht meine Schuld,“ jammerte der Diener. „Der Nebel – der Sturm – und die Pferde sind auch davon!“

„Hier handelt es sich um die Menschen und nicht um die Pferde!“ fuhr ihn Wolfram mit seiner ganzen Derbheit an. „Ich kann überhaupt aus Eurem Gejammer nicht klug werden. Erzählt doch ordentlich, der Reihe nach!“ (Fortsetzung folgt.) 


Hingerichtete und bestrafte Thiere.

In der alten Zeit, die man auch die gute nennt, begnügte man sich nicht, die Menschen wegen mehr oder minder schwerer Verbrechen zum Theil auf die grausamste Weise, oft nach Vornahme unerhörter Martern vom Leben zum Tode zu befördern, sondern man verfuhr auch so mit unzurechnungsfähigen Thieren, welchen manchmal in ganz regelrechter Weise der Proceß gemacht wurde. Dies Verfahren steht im Zusammenhange mit den Anschauungen des Alterthums und den ältesten germanischen Gesetzen, welche dem Hausthiere gewisse menschliche Rechte einräumten.

Der älteste uns bekannte Fall der Bestrafung eines Thieres wird uns aus Paris gemeldet, woselbst 1266 ein Schwein, das ein Kind gefressen, verbrannt wurde. Ein anderer Fall hat sich zu Falaise in Frankreich im Jahre 1386 zugetragen: dort hatte ein Mutterschwein dem anderthalbjährigen Söhnchen des Tagelöhners Jacet das Gesicht und einen Arm weggefressen. Auf Befehl des Richters wurden dem verbrecherischen Schweine die entsprechenden Körpertheile durch den Henker, öffentlich, in Gegenwart des Richters, ebenfalls weggeschnitten und dasselbe dann aufgehenkt. Zuvor hatte man dem Thiere Hose, Weste und Handschuhe angezogen und am Kopfe eine Maske mit einem Menschenantlitze befestigt. Diese Exekution kostete der guten Stadt Falaise nach altem Gelde 10 Sols 10 Deniers Tournois[1], und der Henker erhielt für die Handschuhe, welche er dem Schweine geliefert, noch 10 Sols extra.

Solche Exekutionen waren in Frankreich keine Seltenheit. Auch in Deutschland kamen derartige Hinrichtungen vor, doch nicht so häufig. Zwei Schweine wurden 1456 in Oppenheim lebendig begraben, weil sie ein Kind gefressen hatten, und 1553 wurden zu Frankfurt Schweine durch den Züchtiger „hingerichtet“ und in den Main geworfen, weil sie sich des gleichen Verbrechens schuldig gemacht hatten. In Schweinfurt kam 1576 ein ähnlicher Fall vor: ein Schwein hatte einem Kinde ein Ohr ab- und die Hand angefressen, worauf es dem Scharfrichter übergeben wurde. Um der Stadt „Schand’ und Nachtheil“ zuzufügen, hing der muthwillige Henker dasselbe öffentlich auf. Ueber diese Profanirung des Galgens waren die Schweinfurter höchst entrüstet; der Henker mußte sich ob dieser Verhöhnung der Stadt aus dem Staube machen und ließ sich nicht mehr blicken; den Schweinfurtern aber wurde von liebenswürdigen Nachbarn der Spottname „Schweinfurter Sauhenker“ zu Theil.

Ein Seitenstück zu den „Schweinfurter Sauhenkern“ bilden die „Ansbacher Wolfshenker“. Im Jahre 1685 hatte ein Wolf in der Umgegend Ansbachs Weiber und Kinder zerrissen, das Vieh angefallen und hierdurch die ganze Gegend in Angst und Schrecken versetzt. Man sah in dem reißenden Thiere daher nicht einen gewöhnlichen Wolf, sondern glaubte, der jüngst verstorbene Bürgermeister und Kastner von Ansbach, der die Leute mannigfach bedrückt hatte und seinem eigenen Leichenbegängnisse aus einem Dachfenster seines Hauses zugesehen haben sollte, sei zur Strafe in einen Wolf verwandelt worden. Als man das Thier endlich erlegt hatte – es war aus Unvorsichtigkeit in einen Brunnen gesprungen – wurde es nach Ansbach gebracht, daselbst mit Kleidung, Bart, Perrücke und Larve versehen, ganz wie sie der Bürgermeister gehabt, und vor der Stadt auf dem Nürnberger Berg an den Schnellgalgen gehängt. In der Ansbacher Gegend war also damals offenbar die Sage vom Werwolfe noch lebendig.

Auch anderen Thieren erging es nicht besser als diesen Schweinen und dem Wolfe. Ein Pferd, das 1389 einen Menschen erschlagen, wurde zum Tode verurtheilt. Ein Ochse mußte 1405 für sein Verbrechen den Tod am Galgen erleiden; das gleiche Schicksal traf 1499 einen andern, der ein Mädchen von 14 bis 15 Jahren ums Leben gebracht hatte. Noch im Jahre 1621, als eine Frau zu Machern bei Leipzig von einer Kuh zu Tode gestoßen worden, wendete sich der Junker Friedrich von Lindenau an die juristische Fakultät zu Leipzig, welche aussprach, daß die Kuh als abscheulich Thier an einen abgelegenen öden Ort geführt, daselbst erschlagen oder erschossen und unabgedeckt begraben werden solle. Pünktlichst wurde dieser Spruch am 5. August desselben Jahres vollzogen.

Als sich zu Wien der Hund eines „Drummelschlägers“ erfrecht hatte, einen hochwohllöblichen Rathsherrn in die Wade zu zwicken, stellte dieser Strafantrag gegen den Drummelschläger; der letztere aber stellte den Thäter selbst, den Hund, dem Gerichte, worauf jener losgesprochen, der Hund wegen seines großen Verbrechens zwar nicht zum Tode verurtheilt, aber auf Jahr und Tag im Narrenkötterlein eingesperrt wurde. Dieses Narrenkötterlein oder Narrenhäuschen war ein Käfig, in welchem namentlich Unruhestifter und Ruhestörer wie am Pranger ausgestellt und dem Spotte des Pöbels preisgegeben wurden. Etliche rasende Hunde, welche 1610 einen Novizen, Franziskaner Ordens, angegriffen und zerrissen, wurden gefangen und aus Urthel und Recht des Gerichts von den Henkersknechten erschlagen.

Sogar die Mäuse wurden nicht verschont; am St. Ursula-Tage des Jahres 1519 erschien Simon Fliß vor Wilhelm von Haßlingen, Richter zu Glurns und Mals (Tirol), wegen der Gemeinde St. Stilfs und zeigte an, daß dieselbe Willens sei, gegen die Mäuse, so genannt sind die Lutmäuse (Feldmäuse), ein Recht zu führen. Von dem Richter wurde den Mäusen ein Prokurator in der Person eines Bürgers zu Glurns gesetzt und auch die Gemeinde Stilfs stellte einen solchen auf. Es wurde sodann ein Tag zur Verhandlung gegen die unvernünftigen Thierlein, genannt „Lutmäuse“ angesetzt, auf demselben verschiedene Zeugen vernommen, die bekundeten, welchen Schaden die Mäuse seit Jahren der genannten Gemeinde zugefügt, und es wurde auf „Klag und Antwort, Red und Widerred“ mit Urtheil und Recht erkannt, daß die schädlichen Thierlein die Aecker und Wiesen von Stilfs binnen vierzehn Tagen verlassen und zu ewigen Zeiten nicht mehr dahin zurückkommen sollen. Auf Antrag ihres Fürsprechs wurde denjenigen Thierlein, die sich noch des zartesten Alters erfreuten oder Mutterfreuden entgegensahen, vierzehn Tage lang freies sicheres Geleit gewährt; dem weiteren Antrage, es möge allen Mäusen solches Geleit vor ihren Feinden, Hund, Katzen oder anderen, zugesichert werden, entsprach das Gericht jedoch nicht. Sehr diplomatisch verfuhr das Gericht dadurch, daß es sich nicht äußerte, welche Strafe diejenigen treffen solle, die dem Urtheile nicht nachkamen.

Die Kirche wollte hinter den weltlichen Behörden in dieser Beziehung nicht zurückbleiben; der heilige Pirmin pflanzte im 8. Jahrhundert das Kreuz auf der bis dahin unbewohnbaren Insel Reichenau auf und verbannte in Folge dessen die Schlangen, Kröten und giftigen Würmer, die in ganzen Scharen die Insel verließen. Noch nach 1000 Jahren hatte sich in dieser Gegend der Glaube an die Kraft solcher Beschwörungen erhalten. Als 1732 zu Sursee im Kanton Luzern die Engerlinge Alles verheerten, wurde aus dem Kloster Füßen der Stab des heiligen Magnus zur Vertreibung des Ungeziefers verschrieben. In feierlicher Procession wurde das Heiligthum durch die Felder getragen und damit Benediktionen und Exorcismen vorgenommen. Alte Beschwörungsformeln, die den Namen Segen führen, z. B. Wolfssegen, sind in ziemlicher Anzahl auf unsere Zeit gekommen.

Die geistlichen Herren leiteten gegen schädliche Thiere aber auch ganz regelrechte Processe ein; als im Bisthum Chur Engerlinge und Maikäfer große Verheerungen anrichteten, wurden sie dreimal vor Gericht geladen. Da sie aber wegen Minderjährigkeit nicht erscheinen konnten, bestellte ihnen der Richter einen Kurator, der auf die Klagen der Landleute entgegnen und die Interessen der Käfer wahren mußte. Er machte geltend, daß die letzteren ebenfalls Geschöpfe Gottes seien, seit unvordenklichen Zeiten ihre Wohnung und Nahrung dort gehabt hätten, deren man sie nicht, mir nichts, dir nichts, berauben dürfe. Sie wurden schließlich in irgend einige Thäler Graubündens verbannt; ob sie aber hingingen, wissen wir nicht. In gleicher Weise hat der hochwohlweise Rath der Stadt Bern 1479 die räuberischen Inger (Engerlinge), Käfer und Würmer vor das geistliche Gericht zu Lausanne citirt und ihnen als Fürsprech vor demselben Johannes Perrodetus von Freiburg beigegeben. Nach eingehendem Verhöre der beiden Parteien durch die geistlichen Väter, nach Rede und Gegenrede und Erwägung aller Umstände, wurden sie vom Bischof von Lausanne in den Bann gethan. Der Bischof hat dieses Geschäft wohl besonders gut verstanden, denn auch gegen die Blutsauger, welche die Fische im See tödteten, processirte er. Sie werden sich jedoch wohl kaum viel daraus gemacht haben. Auch ein protestantischer Geistlicher that einmal Thiere in den Bann, wie aus einem interessanten Briefe hervorgeht, den Kurfürst August von Sachsen unterm 18. Februar 1559 seinem Sekretäre Thomas Nebel schrieb: „Lieber Getreuer, Welchergestalt, und aus was Ursachen und christlichem Eifer, der würdige, Unser lieber andächtiger Hr. Daniel Greyßer, Pfarrer allhier in seiner nächst getanen Predigt, über die Sperlinge etwas heftig bewegt gewesen und dieselbe wegen ihres unaufhörlichen, verdrüßlichen, großen Geschreis, so sie unter der Predigt, zu Verhinderung Gottes Worts und christlicher Andacht, zu thun und begehen pflegen, in den Bann gethan und männiglich preisgegeben, dessen wirst Du Dich … zu erinnern wissen.“ Dieser Bann war für die Dresdener Sperlinge ein sehr gefährlicher; denn der Kurfürst gab seinem Sekretär den Auftrag die Sperlinge wegzufangen, da dieser „durch mancherlei visirliche und listige Wege und Griffe“, wie dem Kurfürsten wohl bekannt, dem kleinen Gevögel nachstelle.

Schlimm ging es aber einst einem Hahne in Basel: er wurde zum Ketzer gestempelt und im Jahre 1474 auf dem Kolenberge bei Basel lebendig verbrannt, weil er sich hatte beikommen lassen, ein Ei zu legen; allerdings ein todeswürdiges Verbrechen, da aus solchen seltsamen Eiern das grausame Unthier Basilisk ausschlüpft! Es wurden zwar auch später noch merkwürdige Eier gelegt, so 1569 in Lothringen eines, dessen Dotter die Gestalt eines Türkenkopfes hatte, der anstatt der Bart- und Haupthaare Schlangen und Ottern trug, während das Eiweiß der Katze den Tod brachte, welche dasselbe gefressen; aber nur die Hennen legten solche Eier; den Hähnen ist seit dem grausamen in Basel statuirten Exempel die Lust zum Eierlegen ganz gründlich vergangen. H. V. 


  1. Sol Tournois, eine französische Kupfermünze, wurde in 15 Deniers eingetheilt und hatte den Werth von etwa 5 Pfennig. D. Red. 

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