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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Ein Friedhof ohne Gleichen und vierzig auferstandene Könige.

Von Georg Ebers.
(Fortsetzung.)

Während der Glanztage Thebens und seiner Könige aus der 18. und 19. Dynastie waren die Memnonien voll von Priestern und Schülern, waren die Händler und Fabrikanten der Nekropole in voller Thätigkeit und Menschen genug vorhanden, welche für die Sicherheit ihrer Wohnsitze sorgten. Kam es einmal zu Unruhen oder Räubereien, so war die Kriegsmacht der Fürsten mächtig genug, um ihnen ein schnelles Ende zu machen. Die Behörden der Wohn- und Todtenstadt handelten in gutem Einvernehmen, und die Mazain (Gendarmen) hatten nicht viel mehr zu thun, als mit offenen Augen in allen Theilen der Nekropole, wo es Gräber gab, zu patronilliren.

Aber diese Lage der Dinge hatte sich früh geändert. Ramses III. war es noch gelungen, die verbündeten Völker, welche Aegypten überfallen hatten, kräftig zurückzuweisen und sich theils durch die Beute, welche den Feinden abgejagt wurde, theils durch Lösegelder und die gut verkäufliche Waare kriegsgefangener Sklaven, theils auch durch Wiedereröffnung alter und in den unruhigen Tagen vor ihm aufgegebener Handelsverbindungen zu einem der reichsten Fürsten zu machen, von denen die ägyptische Geschichte erzählt. Aber dieser üppige Fürst verzettelte in übermäßigem Wohlgefallen an unerhörter Pracht einen Theil des schwer erworbenen Gutes, und mit dem anderen bedachte er die Priesterschaft und die Tempel des Landes. Der Himmel hatte ihn mit mehreren Söhnen gesegnet, und diese in Ueppigkeit und tiefer Devotion aufgewachsenen Prinzen sollten schlechten Gewinn von der sorglosen Freigebigkeit des Vaters ernten; denn die Priester des Amon von Theben, denen sie blindlings zu gehorchen gelernt hatten und in deren Hand der Löwentheil des Erbes, welches ihnen von Rechts wegen zukam, schon bei Lebzeiten Ramses’ III. gefallen war, wußten sie nach Gutdünken zu leiten. Sie halfen ihrem Vater, sich ein Grab im Thale der Königspforten und ein Memnonium im Süden der Nekropole (das heutige Medinet Habu) herzustellen, wie er es sich nicht großartiger wünschen konnte, und ließen sich auch für ihre eigenen Mumien ansehnliche und reich ausgeschmückte Grüfte anlegen. Der Sorge für das Leben nach dem Tode sollte das Dasein dieser Ramsessöhne gewidmet sein. Kein Wort, keine That auch nur von geringfügiger Größe sehen wir sie aussprechen oder verrichten. Endlich geht die gesammte Lenkung des Staates auf ihre priesterlichen Vormünder über, und der Oberpriester Herihor macht aus dem Gaukelspiele Ernst, reißt den Ramessiden das Scepter aus der schlaffen Hand und regiert Aegypten zugleich als geistlicher und weltlicher Herrscher. Alle Attribute der Pharaonenwürde nimmt er für sich in Anspruch, und das echte Herrscherhaus wird theils verbannt, theils in dunkler Verborgenheit am Leben erhalten, um den Usurpatoren durch Ehen mit ihren Töchtern den Schein der Legitimität zu verschaffen.

Die Macht Aegyptens und die Größe Thebens ging in dieser Zeit der geistlichen Herrschaft mit jäher Schnelligkeit zurück. Was ihm in Asien und Aethiopien unterthänig oder tributpflichtig gewesen war, fiel von ihm ab, und während sich die Städte im Delta durch den zunehmenden Verkehr mit den aufblühenden Staaten des Nordens und Ostens hoben, sank Theben zu einer Priesterwohnung herab.

Die geistlichen Leiter der Tempel und Schulen in der Nekropole hatten früher mächtigen Einfluß auf den für die Seligkeit nach dem Tode besorgten Pharao geübt; jetzt mußten sie sich blindlings den Verordnungen des priesterlichen Herrschers und königlichen Oberpriesters fügen, der jenseit des Nils residirte.

Die Mazaiu, denen die Bewachung der Nekropole nicht aus der Hand genommen werden konnte, gehörten jener libyschen Söldnertruppe an, welche sich in der Armee der großen, kriegführenden Pharaonen ausgezeichnet hatte, und die nun ein Mamlukenkorps bildete, dessen Macht den priesterlichen Königen von Jahr zu Jahr gefährlicher wurde und endlich auch ihren Sturz veranlaßte. Ihr Befehlshaber in der Nekropole stand in offenem Gegensatz zu dem Haupte der Wohnstadt und Residenz Theben, und das aufmerksame Studium des sogenannten Papyrus Abbot, Welcher das Protokoll über die Wirksamkeit einer Enquetekommission in der Nekropole enthält, macht uns mit den Verhältnissen daselbst recht wohl vertraut. Unter einem der letzten Ramessiden waren Königsgräber beraubt worden, und nun mußte eine Fürstengruft nach der andern untersucht werden, damit man feststellen könne, in welche die Diebe gedrungen seien, in welche nicht. Die Enquete ergab, daß von zehn untersuchten Gräbern nur eins beraubt worden war, und die folgenden Ereignisse, von denen unser Papyrus berichtet, lehren mit voller Sicherheit, daß die hohen Beamten, denen die Leitung des Wohnortes Theben anvertraut war, den anderen, welche über die Nekropole geboten, höchst feindselig gegenüber standen. Wir mögen den längst verstorbenen Mazain und ihrem Chef, die sich nicht mehr vertheidigen können, nicht an die Ehre rühren, aber das oben erwähnte Dokument muß doch den Verdacht erwecken, als hätten sie mit den Kontrolleuren gemeinsame Sache gemacht und den Plünderern der kostbar ausgestatteten Fürstengrüfte durch die Finger gesehen. Jedenfalls muß kurze Zeit später die Mumie des Pharao Amenophis I., dessen Gruft die Untersuchungskommission für unangetastet erklärt hatte, bereits ihres kostbaren Schmuckes beraubt gewesen sein, und das Geständniß der Diebe, welche in die einzige von der Kommission für ausgeraubt erklärte Gruft gedrungen waren, liefert den Beweis, daß es in einer Fürstengruft in der That recht ansehnliche Beute zu machen gab.

Je schwächer die Regierung ward, desto leichter konnten sich Diebesbanden bilden, welche einen wohlorganisirten und so gewinnreichen Gräber- und Leichenraub trieben, daß es den libyschen Mazain, welche sich wenig um die ägyptische Unsterblichkeitslehre gekümmert haben werden, recht wohl reizvoll erscheinen konnte, den Verbrechern gegen einen erheblichen Gewinnantheil freies Spiel zu lassen. Dabei waren die Mazain und ihre Stammes- und Standesgenossen in allen Gauen des Landes zu mächtig, als daß es die priesterlicheu Pharaonen hätten wagen können, sie abzusetzen; übrigens war es auch keine leichte Arbeit, die stundenweit aus einander liegenden Theile der Nekropole genügend zu überwachen. Jedenfalls geschah in dieser Zeit das Unerhörte, daß – die 1881 entdeckten Mumien und die schon früher geöffneten Fürstengrüfte beweisen es – die Leichen und Gräber der größesten aller Pharaonen jeder Kostbarkeit, mit der man sie und ihre Särge geschmückt und ihre Ruhestätten ausgestattet hatte, beraubt worden sind. Kein Goldbeschlag, kein werthvolles Amulett, kein verkäufliches Geräth, das die Pietät der Nachkommen ihnen mit ins Grab gegeben hatte, blieb erhalten, und doch sind sie vor vier Jahren in genau demselben Zustand wiedergefunden worden, wie man sie, um sie vor völliger Vernichtung zu retten, unter einem der Könige der 22. Dynastie, welche sich zu Bubastis im Delta erhoben und mit ziemlicher Gewißheit zu den libyschen Mamlukenhäuptern gehört haben, in der Sammelgruft der Pharaonen des Tanitischen Hauses der 21. Dynastie zusammengebracht hatte.

Das priesterliche Regiment des Herihor sollte keine lange Dauer haben. Schon sein Sohn und Enkel werden nur noch Oberpriester genannt, und ihre Macht scheint nicht über die Grenzen Thebens hinausgereicht zu haben. So mußte denn das Land widerstandslos den libyschen Söldnern gehorchen, und einer von ihnen, Seamon, machte sich, wenn unsere von E. Meyer und Anderen schon früher erörterte Kombination das Rechte trifft, zu Tanis zum Beherrscher des ganzen Landes. Er ist auch nach Theben gekommen, und als er dort in der Nekropole die Grüfte der größten Pharaonen ausgeraubt und sogar ihre Mumien von Dieben aufgerissen fand, befahl er, sie vor völligem Untergange zu retten und sie so gut wie möglich wieder herzustellen. Zuerst war die Leiche Ramses’ II., des großen Sohnes Seti’s I., in die herrliche Gruft des letzteren gebracht worden, um sie dort in einen würdigern Zustand zurückzuversetzen. Später wurden dann die Mumien des Vaters und Sohnes im Grabe Amenophis’ I. aufbewahrt, wohin man schon andere balsamirte Körper bedeutender Fürsten aus der Zeit der 17. und 18. Dynastie gebracht hatte.

Dies war jedenfalls geschehen, weil das Thal der Königspforten, wo sich Seti’s I. Felsenmausoleum befand, hinter dem Sargberge und ziemlich weit von dem bewohnten Theile der Nekropole lag,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_810.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2019)