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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

während die Ruhestätte Amenophis’ I. sich unweit des Terrassenbaues der Hatschepsu öffnete und mit Hilfe eines wenig zahlreichen Wächterkorps bequem zugleich mit derjenigen Gruft, welche die Könige der 21. (tanitischen) Dynastie für die Mitglieder ihrer eigenen Familie angelegt hatten, behütet werden konnte.

Dieses Grab wich sowohl in seiner Gestalt, wie in seiner Lage und Verwendung durchaus von denjenigen früherer Pharaonen ab; denn es ward in einer Höhe von 64 Metern, an einer schwer zugänglichen Stelle der Gebirgsbucht angebracht, welche sich nach Abd el-Qurna hin an das Felsenamphitheater von Der el-bahri schließt, und sein Eingang war von keinem Theile der Ebene unter ihm sichtbar. Außerdem bestand es nicht, wie die Grüfte im Thal der Königspforten, aus einer Reihe von Gemächern, die einander folgen, sondern zuerst aus einem Schacht, der, nur 2 Meter breit, 11,50 Meter tief in den Felsen führte und von dessen Ende aus in der Westwand ein Stollen sich abzweigte, der, nicht höher als 0,80 und nicht breiter als 1,40 Meter, den Besucher zwang, dem Laufe des Ganges in gebückter Haltung zu folgen. 7,40 Meter geht er so fort und schwenkt dann Plötzlich nach Norden hin ab. Diese Richtung hält er in einer Länge von 60 Metern inne, wird dabei bald bis zu 1,30 schmal, bald bis zu 2 Meter breit und ändert auch sein Niveau so beträchtlich, daß man von vornherein zur Bequemlichkeit der Besucher des Gruftsaales ein halbes Dutzend Stufen roh in den Stein gehauen hat. Eine durch Meißelhiebe erzeugte Vertiefung an der rechten Wandung des Ganges beweist, daß einmal die Absicht vorlag, ihn eine neue Schwenkung machen zu lassen; dieselbe ist aber nicht zur Ausführung gekommen, und so mündet dieser lange Schacht gegenwärtig in einen großen schmalen Saal, der roh und ungleichmäßig in den Felsen gehauen ist und die beträchtliche Länge von 80 Metern besitzt.

Mit dieser Sammelgruft in einer Felsenhalle hatten die Pharaonen der 21. Dynastie, denen es gefiel, wie die spanischen Könige in der Fürstengruft des Eskurial, an ein und derselben Stelle eng vereinigt die lange Dauer des Todes zu verbringen, das alte Princip aufgegeben, welches jedem einzelnen Könige vorschrieb, eine Gruft für sich allein herzustellen, und allerdings besaß dieses Grab in unsicherer Zeit und an einer schwer zu erkletternden Stätte den Vorzug einer beinahe absoluten Unzugänglichkeit.

Von der Ausschmückung desselben mit Inschriften und bildlichen Darstellungen war abgesehen worden; dafür aber hatte man den dahingegangenen Mitgliedern dieses wenig begünstigten Emporkömmlingsgeschlechtes als Wegweiser durch die Unterwelt je einen Papyrus, wie man ihn sonst für reiche Privatleute herstellte, mit in den Sarg gelegt. Nachdem die 22. Herrscherreihe, sehr wahrscheinlich die Familie des Chefs des zu Bubastis stationirten libyschen Mamlukenkorps, die Taniten vom Throne gestoßen, fand einer der ersten unter ihnen die Sammelgruft des Regentenhauses, welches dem seinen vorangegangen war, für geeignet, die Mumien der größten Pharaonen zu beherbergen, die er bei einem Besuche Thebens in der Gruft Amenophis’ I. vorgefunden und dann pietätsvoll noch einmal einer Ausbesserung unterworfen hatte. Seine Wahl war gut; denn dies Grab konnte, wie gesagt, für das unzugänglichste in der ganzen Nekropole gelten, und es war von Der el-bahri aus sehr leicht vor Dieben zu schützen.

Als man vor Kurzem in diesem Versteck so viele Mumien solcher Pharaonen fand, deren Grüfte an anderen Theilen der Todtenstadt längst aufgefunden worden waren, hatte man anfänglich geglaubt, daß man sie vielleicht während des Einfalles der Assyrer unter Assarhaddon und Assurbanipal in Oberägypten, oder um sie vor der Wuth des Persers Kambyses zu schützen, der ja nach Herodot in der That Pharaonenleichen freventlich zerstört haben sollte, in ein unfindbares Versteck zusammengebracht habe; aber es sind an mehreren Särgen Notizen von der eigenen Hand der Ausbesserer gefunden worden, welche über die genannten Restaurationen und Verschleppungen Näheres mittheilen und uns berechtigen, den Hergang der Dinge so, wie es hier geschehen ist, darzustellen.

Auch ein anderer oben erwähnter Umstand findet nun seine Erklärung.

Alle Räume des großen Terrassentempels von Der el-bahri und selbst die Höhlungen in seinen Substruktionen sind in den der Zeit, von der wir reden, folgenden Tagen mit Mumien aus allen Ständen angefüllt worden, und dies ist gewiß nur geschehen, weil im Tempel von Der el-bahri oder in seiner unmittelbaren Nähe die Mannschaften stationirt waren, welche das Versteck der Königsleichen zu bewachen hatten. Man konnte also nirgends besser als hier die irdischen Reste seiner Hinterbliebenen vor dem Raubgesindel der Nekropole, welches in der Ptolemäer- und Römerzeit sein Wesen frecher als je getrieben haben wird, sicherstellen.

Das große Felsenversteck enthielt bei seiner Entdeckung nichts Erhebliches mehr von solchen Dingen, welche die Habsucht der Leichenräuber reizen konnte, und so liegt die Vermuthung nahe, daß, nachdem diese mehrfach erfahren hatten, es sei in dem schwer zu erklimmenden Versteck nichts Belangreiches mehr zu holen, ihre Anziehungskraft auf die Diebe verschwand und sie endlich völlig in Vergessenheit gerieth.

Als wir uns im Winter 1872 bis 1873 während einer Reihe von Monden in einer Gruft zu Abd el-Qurna häuslich niedergelassen hatten und nach uneröffneten Grüften und neuen Inschriften suchten, stellte sich häufig ein schneidiger, gewandter und findiger Araber Namens Abd el-Rassul in unseren Dienst. Er war ein guter Jäger, kannte die Wechsel der Schakale und begleitete uns des Abends, wenn wir nach gethaner Arbeit diesen schlauen und schnellen Söhnen der Nekropole auflauerten, welche oft zu Vieren und Fünfen in langer Reihe an dem gelben Kalkgefels hin lautlos zum Fruchtlande niedersteigen, um dort Beute zu suchen.

Leider ist es mir damals nicht eingefallen, diesem Manne, der die Denkmäler wie kein anderer kannte, einen ungewöhnlich hohen Lohn für einen wichtigen neuen Fund zu bieten! Ja leider; denn es lag schon damals in seiner Hand, mich die größte Entdeckung machen zu lassen, von der unsere an herrlichen archäologischen Funden so reiche Zeit zu erzählen weiß. Jedenfalls ist er ein Jahr nach unserem Aufbruche in der Lage gewesen, an den englischen Obersten Campbell, welcher sich der britischen Expedition zur Beobachtung des Venusdurchganges in Theben angeschlossen hatte, einen aus unserem Versteck stammenden Papyrus für 400 Pfund Sterling zu verkaufen.

Bald darauf zeigte der französische Orientalist Mr. de Saulcy seinem Landsmanne Maspero, dem trefflichen Direktor des Museums von Bulaq und aller Ausgrabungen in Aegypten (Mariette’s Nachfolger), Photographien des Todtenbuches der Mutter des ersten Priesterkönigs, und bald ergab es sich, daß diese lange Rolle von ihren Entdeckern in zwei Stücke geschnitten worden war, von denen eins schließlich nach Paris in den Louvre gelangte und das andere in England vor Anker ging.

Von 1878 an kamen sodann in Aegypten (sogar in Sues) immer mehr Papyrus und andere Antiquitäten in den Handel, welche sicher nur Mitgliedern der 21. Dynastie angehört haben konnten, deren Gräber bis dahin ganz unbekannt geblieben waren, und in Dr. Maspero wurde der Verdacht rege, daß Grüfte aus der Zeit der erwähnten Herrscherreihe eröffnet worden seien und ihr Inhalt hinter dem Rücken der Regierung von den Fellachen unter der Hand und, wie es sich bald herausstellte, mit Hilfe eines der reichsten und angesehensten Bürger von Luqsor, Mustapha Aga, an den Mann gebracht werde. Diesem alten Herrn war schwer beizukommen; denn er bekleidete die Würde eines englischen und belgischen Vicekonsuls, und sobald die Regierung ihn ernst anzufassen und ihn zu zwingen versuchte, über die Herkunft der von ihm verkauften Stücke aus unbekannten Königsgräbern Rechenschaft zu geben, pochte er in der That auf seine Stellung als Vertreter des mächtigen England.

Mein alter Jagdgenosse Abd el-Rassul benutzte den Diplomaten und Hehler in einer Person als Schirm und gab sich für seinen Diener aus; aber gerade durch ihn waren verdächtige Stücke in den Handel gekommen, und so machte denn Dr. Maspero eines Tages kurzen Proceß und ließ ihn, obgleich er sich auf Großbritannien berief, das Mitglied eines englischen Hauses zu sein betheuerte und Mustapha Aga ihm beizustehen versuchte, nach Qene bringen und dort ins Gefängniß setzen. Indessen mußte er nach zweimonatlicher Haft wegen mangelnder Beweise freigelassen werden.

Abd el-Rassul kehrte nach Theben zurück, aber dem Jäger hatte das Stillsitzen zwischen vier Wänden nicht gefallen, und es war ihm klar geworden, daß Maspero der Mann sei, Ernst zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_811.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2018)