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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Nichtspaniern etwas allzu spanisch vorkommen dürfte. Er gehört zu einer religiösen Ordensgesellschaft und hat auf Grund eines alten Brauches die nur die Augen freilassende Kaputze über den Kopf geworfen, um mit halb entblößtem Oberkörper den bei Hochzeiten üblichen Zoll für die Kirche einzufordern.

In feinerer Weise wird der alte Herr vom Kapitel, welcher sich mit dem begüterten Vater der Braut, links vom Beschaner eifrig unterhält, für das Wohl der Kirche zu sorgen wissen. Hat er sich doch einen der großen Folianten dabei zu Hilfe gerufen, welche Bräuche und Mißbräuche mit gleicher Geduld durch die Jahrhunderte tragen. Die Gruppe der Dienerschaft, rechts im Vordergrund, ist fast mit Vorliebe behandelt. Uebrigens muß man spanische Domestiken im Lande selbst kennen gelernt haben, um ihre sprichwörtliche Nonchalance im Dienst zu begreifen. Das gilt besonders von den Kammerkätzchen, wie die reizende Zofe in der schwarzen Mantille mit den wunderbar gemalten Händen beweist. Sie erinnern noch häufig an die Soubrette Molière’s, die zwischen der Vertrauten und Dienerin schwankt.

Das eben besprochene Bild ist heutigen Tages Eigenthum von Madame de Cassin in Paris, deren Galerie moderner Gemälde, dem Publikum wenig zugänglich, auf 5 Millionen Franken geschätzt wird. Notorisch ist, daß sie unlängst eine Million Franken ausgeschlagen hat, welche ihr für die „Spanische Hochzeit“ und Henry Regnault’s nicht minder berühmte: „Salome“ (la femme jaune) angeboten wurde.

Wer Gelegenheit hatte, in Paris oder London – Deutschland hat davon wenig aufzuweisen – Bilder von Fortuny zu sehen, der wird in ihm einen der liebenswürdigsten und genialsten der modernen Meister kennen gelernt haben. Ich füge nur noch hinzu – und jeder, der ihn kannte, wird das gern bestätigen – daß der Mensch, der den Künstler nur allzusehr verbarg, diesem vollkommen ebenbürtig war. C. B. 


Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Es dauerte eine ganze Weile, ehe der vor Erschöpfung und Todesangst halb Besinnungslose im Stande war, die Frage des Försters ausführlich zu beantworten. Es war ein alter Diener des gräflichen Hauses, treu und zuverlässig im gewöhnlichen Leben, weßhalb ihn die Gräfin auch eigens zum Begleiter ihrer Tochter bestimmt hatte; in der Gefahr aber war er augenscheinlich ganz rath- und hilflos gewesen und hatte die Lage seiner Herrin nur verschlimmert.

Sie hatten in der That, wie Michael vorausgesetzt, den falschen Weg genommen und bemerkten erst an der Bergkapelle ihren Irrthum. Jetzt wandten sie allerdings die Pferde, aber der Mond, der bis dahin hell geleuchtet, begann sich zu verschleiern und ihre Unkenntniß der Gegend wurde ihnen verhängnißvoll. Vergebens wandten sie sich hierhin und dorthin; sie konnten die Fahrstraße nicht wiederfinden, verloren endlich ganz die Richtung und geriethen vollständig in die Irre. Die Pferde, abgehetzt und unruhig geworden durch das planlose Umherirren, waren schließlich nicht mehr von der Stelle zu bringen; es blieb nichts übrig, als abzusteigen.

Jetzt brach der Sturm los, und von allen Seiten zog das Gewölk heran. Die Gräfin hatte befohlen, die Pferde zurückzuholen, die sie nicht allzuweit an einem Abhange zurückgelassen hatten. Es war ihr letzter Rettungsversuch, sich dem Instinkt der Thiere anzuvertrauen, und der Diener hatte das auch ausführen wollen, aber plötzlich sah er sich von dichtem, eisigem Nebel umgeben, der selbst das Nächste verhüllte. Er fand weder die Pferde, noch fand er sich zu seiner Herrin zurück. Sein angstvolles Rufen verhallte im Toben des Sturmes, und wahrscheinlich entfernte er sich immer weiter von ihr, während er sie suchte. Wie er schließlich hierher gerathen war, wußte er nicht zu sagen.

„Das ist nun noch das Tollste von Allem!“ brach der Förster aus. „Jetzt ist die Gräfin gar allein und möglicherweise ist sie wirklich nach der Adlerwand zu, wie Hauptmann Rodenberg es sich in den Kopf gesetzt hat. Wenn ich nur wüßte, was sie ihn eigentlich angeht, daß er wie toll und blind sein Leben für sie einsetzt! Aber nun vorwärts! Zurück zur Bergkapelle! Auf dem Wege rufen wir noch ununterbrochen, vielleicht hilft es doch!“

Das Unwetter tobt noch immer mit unverminderter Gewalt. Jagendes Sturmgewölk am Himmel, jagendes Sturmgewölk an den Bergen, ein wildes Heer von Nebel- und Schattengestalten! Dazu ein Brausen, Tosen, Heulen, das durch die Lüfte zieht und aus den Klüften emporzusteigen scheint, wie tausend Stimmen der Nacht und des Verderbens.

Am Fuße einer mächtigen Wettertanne, deren Wipfel kahl und abgestorben in die Luft hinausragt, ist eine Frauengestalt zusammengesunken, zu Tode erschöpft von dem stundenlangen Umherirren, erstarrt von dem eisigen Nebel, an jeder Rettung verzweifelnd. Das zarte, verwöhnte Grafenkind, das nur von Glanz und Pracht umgeben, sorgfältig vor jeder Anstrengung, jeder Unbequemlichkeit behütet wurde, hat sich doch tapfer und unerschrocken gezeigt der wirklichen Gefahr gegenüber, hat dem zagenden Begleiter Muth zugesprochen und ihn und sich aufrecht erhalten, so lange sie beisammen waren. Der alte zitternde Diener konnte seine junge Herrin nicht schützen und berathen, aber es war doch wenigstens ein Mensch an ihrer Seite; jetzt ist auch der verschwunden; kein Rufen, kein Suchen bringt ihn zurück, und jetzt ist sie allein, umgeben von allen Schrecken dieser wilden Sturmnacht, ganz allein!

Seitdem ist mehr als eine Stunde verflossen, und Hertha hat nur eine traumartige Erinnerung von dieser Zeit: finstere, brausende Wälder, dunkle Felshäupter, die gespenstig aufragen, Wildwasser, deren schäumender Gischt matt aufblinkt in der Mondesdämmeruug – das Alles ist wie Schatten an ihr vorübergezogen, und sie ist weiter geirrt, immer weiter, immer in der Hoffnung, noch einen Ausweg zu finden. Wie eine Nachtwandlerin ist sie an Klüften und Abgründen vorübergegangen, ohne die Furchtbarkeit ihres Weges zu ahnen, den sie nun und nimmermehr im hellen Tageslicht gemacht hätte. Aber jetzt endet der Pfad, der sie immer weiter aufwärts geführt hat, und sie kann auch nicht mehr, sie bricht zusammen.

Der Sturm scheint auf eine Minute den Athem anzuhalten; der Himmel ist heller geworden, und jetzt tritt der Mond hervor und beleuchtet klar und scharf die Umgebung. Hertha sieht, daß sie auf einen schmalen, felsigen Abhang gerathen ist und daß ihr unmittelbar zur Seite die Tiefe gähnt – rings umher ein wild zerklüftetes Meer von Felsen und Klippen, tiefer unten die nachtschwarzen Wälder und oben, in schwindelnder Höhe aufragend, die Adlerwand, an deren Felsenschroffen die Wolken dahinjagen und deren Gipfel geisterhaft leuchten in ihrem blendenden Schneegewände. Dumpf, aber deutlich vernehmbar dringt das Rauschen der stürzenden Gletscherbäche herüber, doch das Alles dauert nur Minuten. Dann beginnt von Neuem das Toben, das jeden anderen Laut verschlingt; der Mond verschwindet, und wieder verschwimmt Alles in dem fahlen unheimlichen Dämmerschein.

Die alte Tanne schwankt und ächzt und senkt sich immer tiefer; es ist, als wolle der Sturm sie losreißen von ihrem Felsengrunde. Hertha hält mit beiden Armen den Stamm umklammert; sie weint nicht, jammert nicht, aber ihr ganzer Körper bebt in Todesangst, und ein schwerer, eisiger Druck legt sich auf ihre Schläfe. Ihre Augen hängen noch immer an jenen weißleuchtenden Gipfeln, die allein noch deutlich niederschimmern, und die alte Michaelssage steigt wieder in ihrer Erinnerung auf. Von dort fährt ja Sankt Michael nieder, beim Anbruch des nächsten Tages! Kann der mächtige Schutzpatron ihres Geschlechtes, der siegreiche Heerführer des Himmels, zu dem morgen Tausende flehen: kann er nicht auch ein armes Menschenkind erretten, dessen junges warmes Leben zurückschaudert vor der eisigen Umarmung des Todes? Aber sein Reich beginnt ja erst mit dem aufsteigenden Lichte; erst mit dem Morgenstrahle zuckt sein Flammenschwert segnend und heilbringend über die Erde hin, und jetzt herrscht noch die Nacht und das Verderben!

Ein heißes, flehendes Gebet ringt sich empor aus der Brust der Verirrten. Vor ihren Blicken steht ja noch so deutlich das Bild des Erzengels mit den Adlerflügeln und den Flammenaugen, wie er über dem Hochaltare thront, von der Gluth der Abendsonne wie von einem Glorienschein umwoben, und neben ihr an jener Stätte hat ein Anderer gestanden, der die Züge jenes Bildes trägt und der ihr einst zurief: „Stände mir mein Glück auch so hoch und unerreichbar wie die Adlerwand, ich würde hinaufdringen, und brächte mir jeder Schritt Verderben!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_813.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2022)