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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

anderen Felde. Der Name Wehlau kann sich getrost neben den der Eberstein stellen, der seine ganze Bedeutung nur einer alten verrotteten Institution verdankt, die heut zu Tage gar keine Berechtigung mehr hat.“

Das traf den Freiherrn an seiner empfindlichsten Seite; er erhob sich in voller Empörung.

„Verrottete Institution? Keine Berechtignng mehr? Herr Wehlau, ich kan von Ihnen kein Verständniß für Dinge verlangen, die einem Bürgerlichen offenbar zu hoch sind, aber ich fordere Ehrfurcht vor –“

„Fällt mir gar nicht ein!“ schrie der Professor, der jetzt auch in Zorn gerieth. „Ich bin ein Mann der Wissenschaft, der Aufklärung und habe nicht die mindeste Ehrfurcht vor dem Staub und Moder des zehnten Jahrhunderts und vor den Udo’s und Kuno’s und Kunrad’s und wie die Kerle alle heißen, die nichts weiter verstanden, als sich zu betrinken und unter einander todtzuschlagen. Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei, und wenn das alte Eulennest, die Ebersburg, erst ganz in Trümmer gefallen ist, weiß kein Mensch mehr etwas davon!“

„Mein Herr –“ schrie Eberstein, zitternd und kirschroth im ganzen Gesichte; weiter kam er nicht, denn die Aufregung zog ihm einen fürchterlichen Hustenanfall zu. Er rang nach Athem und bot einen so jammervollen Anblick, daß sich in Wehlau denn doch der Arzt zu regen begann. Er sprang hinzu, drückte seinen Gegner auf den Stuhl nieder, stützte ihm den Kopf und bemühte sich, ihm Luft zu schaffen, alles in voller Wuth, aber der alte Herr wehrte sich dagegen.

„Lassen Sie mich!“ keuchte er. „Ich will keine Hilfe von einem Umstürzler – einem Gottesleugner – einem –“

Er stand mit einem Aufflammen seiner einstigen Kraft plötzlich wieder auf den Füßen, griff nach seinem Stock und hinkte energisch zur Thür hinaus.

„Eisumschläge auf den Kopf – vierundzwanzig Stunden lang – vergessen Sie das nicht!“ rief ihm der Professor nach und warf sich in einen Stuhl, um seinen Aerger verrauchen zu lassen. Der Freiherr aber wollte im Gegentheil den seinigen erst austoben und hinkte schleunigst nach dem Empfangzimmer, um seiner Tochter die unerhörte Geschichte mitzutheilen. Sie kannte ja auch diesen „jungen Menschen ohne Namen und Familie“, der sich als ritterbürtig auf der Ebersburg eingeschlichen hatte; sie theilte zweifellos die Empörung darüber.

(Fortsetzung folgt.)

Beerenwein.

Es liegt etwas Gährendes, Treibendes in unserer Zeit, das Alle drängt, ihre Kräfte aufs Aeußerste anzuspannen und Zielen nachzustreben, die zwar nicht immer hoch, aber doch immer weit gesteckt sind. Vielleicht ist dieser Geist auch in die Einsamkeit der Wälder gedrungen und hat dort die fortgeschrittensten Köpfe aus den bisher nur bei der Jugend besonderes Ansehen genießenden Geschlechtern der Heidel- und Brombeere rebellisch gemacht, so daß sie sich kühn aufrichteten und drohend hinüber sahen nach den stolzen Höhen, auf denen sich die Rebe sonnt; vielleicht sind es auch weniger poetische Vorgänge, die sich im Hintergrund der Ereignisse abgespielt haben; aber die Revolution ist da und die schwarze Heidelbeere stellt sich bereits trotzig neben die goldene Traube und sagt: „Auch ich bin – Wein!“

Ja, so kühn ist sie schon geworden, daß sie sich auf der kürzlich in Frankfurt am Main in Scene gesetzten „Ersten deutschen Wein-Ausstellung“ mitten uuter die Wein-Aristokraten gemengt hat und ihr herausforderndes: „Auch ich bin Wein!“ hören ließ. Manchmal geht sie sogar noch weiter und sagt: „Auch ich bin – Champagner!“, und sie hat die Genugthuung, zu sehen, wie das ironische Lächeln der Leute, die den schäumenden Kelch an die Lippen setzen, gar bald einem andern Ausdruck weicht – dem eines wohlgefälligen Erstaunens. In der That ist es den rastlosen Bemühungen eines unternehmungslustigen Frankfurters gelungen, der bisher nur wenig beachteten Frucht Wein, wirklichen Wein abzugewinnen. „Beerenweine“ erzeugt man ja schon seit längerer Zeit; aber alle diese Johannisbeer- und Stachelbeerweine hielten sich nicht lange und konnten sich ihrer ganzen Art nach nicht als Genußmittel einbürgern.

Die erste Anregung zu einer wirklichen Weinfabrikation aus den Waldbeeren gab der bayerische Landtagsabgeordnete Pfarrer Dr. Frank, den die im Spessart herrschende Noth veranlaßte, unter Anderem auch der dort sehr stark verbreiteten Heidelbeere seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Dieser Anregung folgte J. Fromm in Frankfurt a. M., dem es in einem Zeitraume von nicht ganz fünf Jahren gelang, einen haltbaren, in seinen Eigenschaften dem Traubenwein sich stark nähernden „Heidelbeerwein“ zu erzeugen und demselben so bedeutende Absatzgebiete zu verschaffen, daß es jetzt auch möglich ist, die Fabrikation im Großen durchzuführen. Der Witz der Sache war, den Heidelbeersaft einem vollständigen Gährungsprocesse zu unterwerfen, ihn in ähnlicher, nur dem andern Stoffe angepaßter Weise zu behandeln, wie man den Traubenmost behandelt. Die Beeren werden ausgelesen, gekeltert, und dann bleibt der Saft mindestens drei Jahre im Keller, aus dem er erst als vollständig fertiger, klarer Wein wieder hervorkommt. Im vergangenen Jahre wurden bereits 70000 Liter Wein gekeltert – eine Zahl, die deutlich genug für den Anklang spricht, den das neue Getränk gefunden hat. Bei dem Vorurtheil, das man natürlich allen solchen neu auftauchenden Produkten entgegen bringt, wäre ein solch rascher Sieg übrigens nicht möglich gewesen, hätte die Heidelbeere nicht medicinische Eigenschaften, die ja längst bekannt sind und die dem Heidelbeerwein sofort das Interesse der Aerzte zuwendeten. In denselben Fällen, in denen sich die Verabreichung von Bordeaux empfahl, also besonders bei Darm- und Magenkatarrh, Dyssenterie, Brechdurchfällen u. dergl. verordnete man nun den neuen Heidelbeerwein, der in der Wirkung dem Bordeaux vollkommen gleichkommt und gegenüber diesem noch wesentliche Vorzüge hat wie die garantirte Reinheit und den milden Geschmack.

Was den Heidelbeerwein dem rothen Traubenwein so nahe bringt, das ist der Gehalt an Gerbsäure. Der Alkoholgehalt ist etwas geringer als der der Tranbenweine, der Zucker-, Extrakt- und Säuregehalt größer. Geheimrath Dr. von Pettenkofer sagt über das neue Getränk: es sei ein glücklicher Gedanke gewesen, aus den Heidelbeeren diesen Wein zu bereiten, denn man habe damit der leidenden Menschheit in der That einen großen Dienst erwiesen. Der Heidelbeerwein wird in der Regel sehr gut, meist besser und länger ertragen als andere Rothweine.

Nicht weniger günstig über den Heilwerth dieses Getränkes sprachen sich andere Autoritäten aus, und gegenwärtig ist der Wein bereits in zahlreichen Spitälern, namentlich auch in den Garnisonslazarethen eingeführt. Aber auch als Genußmittel bürgert er sich immer mehr und mehr ein. Unseren deutschen Traubenweinen kann er freilich um so weniger Konkurrenz machen, als wir ja zumeist Weißweine produciren. Aber überall dort, wo man bisher den gepanschten französischen Bordeaux trank, wird man bald zu dem neuen Beerenwein greifen, der ja auch bisher schon sehr stark – zur Fälschung der Rothweine benutzt wurde.

Zur Zeit trinkt man das Produkt der Heidelbeere bereits in zahlreichen Privatkreisen als Tischwein, ferner in den Kurhäusern mehrerer unserer ersten Badeorte, und endlich ist er neuerdings auf den Schiffen der Kaiserlichen Marine eingeführt worden. Außerdem wird der neue Wein bereits nach England, Rußland und der Türkei exportirt. Die letztere dürfte sich als besonders günstiges Absatzgebiet erweisen, denn Mohammed hat – seine Prophetenschaft in allen Ehren – doch nicht die Karriere dieses Nordlandgewächses vorausgesehen, und so dürfen die Muselmänner zwar keinen Traubenwein trinken, aber am „Fürst Bismarck-Sekt“, wie der Heidelbeer-Champagner genannt wird, können sie sich ohne Versündigung erlaben. Die neue Industrie verdient um so mehr unsere Aufmerksamkeit, als die nationalökonomische Seite der Sache nicht die unbedeutendste ist. Man denke nur an die kolossalen Mengen von Heidelbeeren, die in unseren Wäldern ohne jede Pflege heranreifen und die zum weitaus größten Theile nicht benutzt werden. Und dann denke man ferner, wie vielen Bewohnern armer Waldgegenden durch das Einsammeln der Beeren Unterstützung geboten werden kann, wie viel Noth und Elend wieder gelindert wird, wenn man den „deutschen Bordeaux“ allgemein so ernst nimmt, wie er es verdient und wie ihn Kenner bereits nehmen. Hoffentlich findet Fromm’s Beispiel Nachahmer auch in anderen Gegenden Deutschlands, wo die Heidelbeere im Schutz der Wälder gedeiht und die Beerenwein-Fabrikation zu einer neuen Quelle des Erwerbes werden kann. Emil Peschkau. 


Blätter und Blüthen.

Adolf Menzel’s Illustrationen zu den Werken Friedrich’s des Großen. Adolf Menzel ist unter allen Künstlern der Gegenwart ohne Zweifel der beste Kenner und der treueste Darsteller der denkwürdigen Zeit Friedrich’s des Großen. Diesem unübertrefflichen Meister wurde schon zu Anfang der vierziger Jahre der ehrenvolle Auftrag zu Theil, etwa 200 Vignetten als Illustrationen zu den Werken Friedrich’s des Großen zu zeichnen; denn König Friedrich Wilhelm IV. wünschte damals seinem großen Ahnen durch eine Prachtausgabe der gesammten Schriften desselben ein litterarisches Denkmal zu setzen. Menzel übernahm die schwierige Arbeit, welche im September 1843 begonnen und um Weihnachten 1849 beendet wurde. Leider waren bis jetzt diese Meisterwerke der Zeichnung und Holzschneidekunst nur einem geringen Kreise bekannt geworden; denn König Friedrich Wilhelm IV. behielt es sich vor, daß die Prachtausgabe in den Buchhandel uicht kommen durfte, und beschloß, die abgezogenen Exemplare als Geschenke an fürstliche Persönlichkeiten, hoch verdiente Staatsbeamte etc. zu vergeben.

Erst vor einigen Jahren gestattete auf wiederholtes Bitten Kaiser Wilhelm, daß die 200 Menzel’schen Illustrationen vom Texte losgelöst als besonderes Prachtwerk herausgegeben würden. Dieses Prachtwerk erschien zuerst im Jahre 1882, aber nur in 300 Exemplaren. Da diese

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_818.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2022)