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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

im Rollen bleibt, sondern zum Besitz sich sammelt, . . . Jemand, den er fast ebenso gern hat wie die Malerei, wird ihn lehren sparsam sein!

Er ist kein Frauenverächter gewesen, Gott bewahre! Aber bis vor Kurzem hat weder Braun noch Blond noch Schwarz einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, daß er am nächsten Tage die Farben auf der Palette verwechselt hätte. Erst seit er die blonde Mietze kennt, ist ihm manchmal so schauerlich süß und auch wieder so gruselig und flau zu Muthe … Meint’s die Mietze denn ehrlich, wenn sie ihn so freundlich – so ganz verwirrend nett anlächelt? Da hängt sie übrigens in einem Rahmen mit altem, kostbarem Stoff bezogen, wie’s jetzt modern ist. Wie der bläuliche Ton der verblichenen Seide zu dem aschblonden Kraushaar stimmt! Himmel! – wenn sie’s wüßte, daß Paul sie aus dem Gedächtniß gemalt! . . . In ein paar Tagen muß sich’s entscheiden, wie er mit ihr dran ist. Er fährt dann nach Tutzing hinaus, wo Mietze bei der Tante zum Besuch ist. Er soll die Tante, – die Frau Banquier Delfin, inmitten ihrer japanischen Brimborien malen. Dabei muß sich die Geschichte entscheiden. Man wird ihn doch nicht hinausgelockt haben, um ihn auf die Probe zu stellen und sich an seinen Liebesseufzern zu ergötzen? Liebesseufzer? Ha – da kennt man ihn schlecht!

Auf jeden Fall aber ist’s gut, die Taschen voll Geld zu haben, wenn man auf Freiersfüßen geht. Und da liegen Fünftausend Mark, die ihm ein amerikanischer Kunsthändler eben für das kleine Bild – „Scenen aus der Auer Dult“[1] – gegeben hat. Es ist flott gemalt in kaum acht Tagen … Das Pendant wird er beginnen, wenn er von Tutzing zurückkommt. Es schwebt ihm schon eine Idee dazu vor.

Er hört die Thür gehen. Fritz, das erzogene Dienstgenie, verfällt manchmal noch in die unelegante Gewohnheit, einzutreten, ohne anzuklopfen. Aber die Gewohnheit, seinen Herrn mit einem Schlage auf die Schulter aus Träumereien zu wecken, hat er allerdings nicht.

Rasch wendet Paul sich um. Ein junger Mann von etwa achtundzwanzig Jahren steht hinter ihm. Eine Physiognomie, aus welcher ernstes Studium und Entbehrungen die Jugend verwischt haben.

Paul begegnet dem Blick des Fremden. Plötzlich fährt er sich mit der Hand über die Stirn, als suche er da etwas; dann schreit, er laut auf:

„Oskar! Alter Junge – endlich!“

Und er zieht diesen mit seinen kräftigen Armen so stürmisch an sich, daß er ihn beinahe vom Boden aufhebt.

„Das ist hübsch von Dir, Paul, daß Du mich noch erkennst!“

„Werd’ ich nicht! Wie lange ist’s her?“

„Zehn Jahre.“

„Gott! Die Zeit ... die Zeit!“

„Du hast sie gut benützt – Du bist berühmt geworden.“

„Das heißt, ich verdiene Geld – ja! Aber laß Dich ’mal ansehen, lieber Junge ...“

Und sich zwei Schritt vor ihm aufstellend, fixirt ihn der Maler, während der Andere etwas unbehilflich dasteht. Eine schmächtige Gestalt, die Arme etwas zu lang, die Schultern etwas zu hoch, das Haar für den Teint etwas zu hell und die Züge zu spitz – entscheidet der Künstler. Nur an den Augen findet, er nichts auszusetzen. Es sind große, kluge, forschende Augen; Augen, aus denen Sehnsucht spricht, eine grübelnde, unruhige, verzehrende Sehnsucht. Menschen, die einem Problem nachjagen, haben solche Augen.

„Das sind noch dieselben lieben, prächtigen Augen!“ sagt Paul endlich; er findet, daß er nach dem langen Examen doch einen Ausspruch thun muß. „Du hast doch Deinen Koffer mitgebracht?“ setzt er schnell hinzu.

„Er ist noch auf der Bahn.“

„Wird besorgt werden. Vorläufig bleibst Du hier.“

„Aber Paul ...“

„Keine Einrede. Wo kommst Du her?“

„Vom Rhein.“

„Ich frage nicht erst, was Du dort getrieben ...“

„Wenn ich Dir sage –“ unterbricht Oskar ihn erregt, daß ich das Mittel gegen die Phylloxera wirklich in der Hand habe, daß ich nach allen Seiten hin experimentirt, alle Einreden vorgesehen, und daß ein Kind zu überzeugen wäre!“

„Ja, weißt Du – wer nicht überzeugt sein will, mit dem streitet man vergeblich. Mach’ Dir’s indeß erst bequem! Wir seufzen dann gemeinschaftlich über die menschliche Thorheit.“

Aber der Andere ist noch im Zuge:

„Sie bilden sich ein, man könne die Phylloxera aufhalten wie die Straßenräuber mit Polizei; aber daß es am Boden liegt, daß unser überkultivirter Boden anämisch ist, wie der Körper eines bleichsüchtigen Mädchens, daß man diesen Boden erst widerstandsfähig machen muß – das können sie nicht begreifen! … Ach, verzeih! Da haben wir uns seit zehn Jahren nicht gesehen, und ich schwatze Dir von solchen Dingen!“

„Mach’ Deinem Herzen Luft, lieber Schatz, bis das Frühstück kommt und Dir den Mund stopft!“ ruft Paul, ergreift den Arm Oskar’s und führt ihn in sein Zimmer. An der Thür ruft er seinem Dienstgenie : „He Fritz – ein Gabelfrühstück – etwas ganz Großartiges; zeig’, was Du gelernt hast!“

Und während Fritz, der in dieser Beziehung wirklich Anlage verräth, dem Verlangen nachkommt, strecken sich die Zwei auf einem bequemen Divan und schwatzen von den vergangenen Jahren, die wie eine Unendlichkeit einst vor ihnen lagen und die im Rückblick sich so schnell durchmessen lassen. Sie hatten sich nicht oft geschrieben.

„Warum hast Du eigentlich gar nichts von Dir hören lassen, Oskar?“

„Konnte ich denn – wenn von Dir auf die ersten Briefe keine Antwort erfolgte?“

„Aber Du wußtest doch, wie’s bei mir mit dem Schreiben bestellt ist!“

Der arme Oskar, feinfühlend wie Naturen seiner Art sind, mochte nicht eingestehen, daß er seinem Wunsch, von Paul zu hören – ja ihm wenigstens selbst zu schreiben, nur deßhalb nicht nachgekommen war, damit jener nicht an seine Noth erinnert werde. Paul hatte seinen treuen Kindheits- und Jugendgefährten zuerst zwar schmerzlich vermißt, sich aber bald mit dem Egoismus des Talentes in die Trennung gefunden und damit getröstet, es gehe Oskar gut, und er bedürfe seiner nicht mehr.

Sie waren Vettern und beide Münchener Kinder. Während Paul aber eine leidenschaftliche Neigung zur Kunst trieb, war es bei Oskar nur des strengen Vaters Wille – der Vater war ein geschickter Porcellanmaler – der den Sohn beim Zeichnen festhielt. Oskar’s Sinn stand danach, zu studiren; er hatte eine angeborene Neigung für Alles, was mit den Naturwissenschaften zusammenhing. Jede freie Stunde war dieser Leidenschaft gewidmet, der er entsagen sollte. Freilich fehlte es an den nöthigen Mitteln, sie zum Beruf zu wählen; dem Knaben aber wollte das nicht einleuchten. Er hoffte immer, den Vater durch irgend einen Erfolg auf diesem Gebiet für seine Pläne zu gewinnen. Bald versuchte er Farben für ihn zu bereiten, die beim Brennen unverändert blieben; bald beschäftigte er sich mit dem Erfinden einer neuen Lasur, oder er baute Modelle. Da starb der Vater, als Oskar im achtzehnten Jahre stand. Der Wittwe, welche außer dem Sohne noch drei Töchter besaß und die ganz mittellos war, kam das Anerbieten eines nach Amerika ausgewanderten Bruders, der ihr rieth – ihm mit der Familie nachzuziehen, sehr gelegen. Für Oskar war’s ein harter Schlag. Er war nicht von der Art, die in Amerika ihr Glück macht; er hatte den grübelnden Sinn der Erfinder, die säen, was praktischere Naturen ernten. Als ob er’s ahnte, daß er in der neuen Welt nichts erreichen werde, sträubte er sich, die Mutter zu begleiten. Auch von Paul wollte er sich nicht trennen. Vielleicht war die Ungleichheit der Vettern ein Band, das sie besonders fest an einander kettete: sie ergänzten sich. Paul aber hatte damals Mühe, sich selbst über Wasser zu halten. Er versuchte wohl, seinem geliebten Oskar Schüler zu verschaffen, aber was sollte Oskar auch lehren – das Erfinden? Da er körperlich nicht kräftig war, blieb ihm schließlich nichts übrig, als die Mutter zu begleiten.

„Du hast doch damals auf der Akademie schon recht nett gezeichnet – ja es sogar mit ein paar Portraits in Stiften versucht – konntest Du denn damit drüben nichts anfangen?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_822.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2023)
  1. Dult – Jahrmarkt