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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Uhr Herrn Schaumlöffel abholen solle. Die Amerikaner sind im „Bayrischen Hof“ abgestiegen und müssen des Malers Wohnung auf dem Weg nach dem Löwenbräu passiren.

„Da hast Du mir etwas Schönes eingebrockt!“ klagt Oskar.

„Wenn Du sie los sein willst, so wirfst Du sie über Bord, aber mit Grazie, damit ich sie bei der Rückkehr wiederfinde,“ sagt Paul, während er des Vetters Anzug einer sorgfältigen Prüfung unterwirft. Im Koffer hat sich ein leidlicher Rock und außer ihm das Unentbehrlichste gefunden. Alles Andere, was äußerlich den Gentleman vervollständigt, muß Oskar sich gefallen lassen, aus seines Vetters Garderobe ergänzt zu sehen.

„Bilde Dir nur nicht ein, mein lieber Junge,“ ruft dieser ein über das andere Mal bei Oskar’s Weigerungen, „daß ich in Deinem Interesse handle! Du vertrittst mich – das sagt Alles!“

Nachdem er dann dem gewandten Diener unter vier Augen so viel von seines Vetters Beruf zum Malen anvertraut, als er für gut findet – Fritz ergänzt aus eigenem Scharfsinne das Fehlende – und ihm klar gemacht, daß für die Zukunft viel von dem Zeugniß abhängen werde, das Oskar bei seiner Rückkehr ausstellen würde, nimmt er Abschied. Er war ohnedies mit seinem bessern Theil bereits in Tutzing. (Fortsetzung folgt.)     


Trinker-Behandlung.

Von A. Lammers.

Adolf Wilbrandt hat seinen berühmten und unglücklichen Landsmann, den uns Allen ans Herz gewachsenen vortrefflichen Fritz Reuter, wegen der krankhaften Trunksucht, die ihn von Zeit zu Zeit befiel, damit in Schutz genommen, daß er sie auf ihren Ursprung in einer höchst unschuldig erlittenen peinlichen Festungshaft zurückführte. Man darf glauben, daß es sich mit vielen Gewohnheitstrinkern ähnlich verhält. Nicht sowohl eine ganz maßlose Genußsucht, als seelische Leiden und übermächtige Versuchung hat sie dem Gifte wie Sklaven einem gefühllosen Despoten überliefert; dem Gifte, welches ihnen den klaren Sinn je länger desto mehr verhängnißvoll umnebelt, den Willen lähmt, alle edleren Empfindungen abstumpft und zuletzt völlig ertödtet. Der beständig erneuerte derbe oder gelinde Rausch nimmt dem Gehirn, möchte man sagen, mit der Zeit die Beseelung.

Auf diesen Standpunkt müssen wir uns stellen, wenn wir die Trinker gerecht und vernünftig beurtheilen – wenn wir die Trunksucht richtig behandeln wollen. Arzneien und rein körperliche Kuren schlagen gegen sie nicht an[1]; denn sie ist eben weit mehr eine geistige als eine körperliche Krankheit und steht auf der Stufe der allgemeinen Nerven- und der Geisteskrankheiten, nur daß sie sich von diesen doch hinlänglich unterscheidet, um eine Behandlung in besonderen Anstalten zu erheischen. Auch ist dieselbe nach der ärztlichen Seite hin verhältnißmäßig einfacher, so daß wir diese Heilstätten meistens unter anderer Leitung als derjenigen von Aerzten finden.

In Deutschland verdient vor Allem die Trinkerheilanstalt zu Lintorf bei Duisburg hervorgehoben zu werden. Sie wird von Pastor Hirsch geleitet und umfaßt eine billigere und eine theurere Abtheilung. Einigermaßen nach ihrem Muster hat ein norwegischer Theolog, Direktor Flood, zuerst auf einer Insel im Christiania-Fjord bei Moß, jetzt bei Tönsberg auf der andern Seite dieses schönen großen Meerbusens sein „Heimdal“ errichtet, eine Trinkerheilanstalt, die in letzter Zeit auch in Deutschland bekannt geworden ist.

Obwohl in Lintorf das Unternehmen hauptsächlich aus religiösen Beweggründen (in seiner älteren Abtheilung schon vor einem Menschenalter) begründet worden ist und unter der Leitung altgläubiger Pastoren steht, wird es doch nicht einseitig geleitet. In seinem neuesten Bericht warnt Pfarrer Hirsch davor, „daß man den Trunk zu ausschließlich von der sittlich-religiösen Seite ansehe und die Enthaltung eines Trinkers von geistigen Getränken geradezu als seine Bekehrung bezeichnet;“ er verwirft als in unsere Gewohnheiten nicht passend die förmlichen Enthaltsamkeitsgelübde und stellt sich ganz auf den Boden der heutigen deutschen Mäßigkeitsarbeit.

Zweierlei, sagt er, muß man zur Heilung von Trinkern erstreben: körperliche Entwöhnung vom Alkohol durch länger fortgesetzten Nichtgenuß, wodurch sie von ihrem verderblichen Hange soweit geheilt werden, daß sie Widerstand leisten können – und gleichzeitige sittliche Einwirkung, daß der erschlaffte Wille sich kräftige und auf die Niederhaltung des Triebes zum Alkoholtrinken richte. Beides müsse zu vollständiger und bleibender Genesung zusammenwirken.

„Daß die bloße körperliche Entwöhnung ohne den festen Vorsatz, der Leidenschaft zu widerstehen, nicht von der Trunksucht heilt, beweisen die zahlreichen, oft lange Zeit ihrer Freiheit beraubten Trinker, deren erster freier Gang ins Wirthshaus führt, um sich den lange entbehrten Genuß bis zur Bewußtlosigkeit zu verschaffen; und daß der feste gute Vorsatz des Trinkers ohne körperliche Entwöhnung nur in den seltensten Ausnahmefällen zur Genesung von dem Uebel führt, zeigen die gebrochenen Gelübde und kläglich endenden Kämpfe der Unglücklichen, die im ganz besonderen Sinne sich vorwerfen müssen: das Gute, das ich will, thue ich nicht, und das Böse, das ich hasse, thue ich!“

Beides erfordert Zeit. Die sittliche Hebung kann erst beginnen, wenn der Leidende durch anhaltende Entziehung des Giftes „wieder die Fähigkeit klaren und richtigen Denkens gewonnen hat und ohne Dusel sein Leben und Thun im nüchternen, wahren Lichte sieht“. Diese Klärung der Gedanken aber, die man mit dem Erwachen aus einem wüsten Traume vergleichen kann, tritt nach Pastor Hirsch meist erst nach zwei bis drei Monaten ein. Nur dann auch, wenn sie mit einigem sittlichen Ernste sich verbindet, macht sie den Entschluß möglich, in Geduld bis zur völligen Heilung auszuharren; bei der Mehrzahl äußert sich diese Klärung des Geistes in der Ungeduld, das angerichtete Unheil durch neue Thätigkeit wieder gut zu machen, wobei dann die Pfleglinge fest überzeugt sind, in das alte Elend nie wieder zurückzufallen. Fühlt der einstige Trunksüchtige sich doch jetzt kräftig und gesund, frei von den schlimmen Folgen seiner lange betriebenen Selbstvergiftung mit Alkohol, unter denen er früher seufzte; empfindet er doch gar keine besondere Lust mehr zu dem schlimmen Getränk. Kurz, er muß und will nun weg – die Anstalt hat an ihm ihren oder wenigstens seinen Zweck erfüllt. Kommen noch dringliche Anlässe hinzu, welche sein Wiedereintreten ins Geschäft oder in den Beruf fordern, oder wird es den Seinigen nicht ganz leicht, das Kostgeld zu bezahlen, so läßt er sich durch keine Vorstellungen halten und kehrt heim. Hier aber verfällt er meist wieder dem alten Jammer, über den er sich so glücklich erhaben glaubte, sei es, daß der Sorgenbrecher für den Augenblick wieder einmal sein stilles Amt verrichten soll, sei es, daß Bekannte oder thörichte Freunde die Standhaftigkeit des Geheilten mit allerhand Herausforderungen auf die Probe setzen.

In drei Ländern hochentwickelter und befestigter Volksfreiheit, den Vereinigten Staaten von Nordamerika, England und den Niederlanden, hat diese Wahrnehmung zu rechtlichen Einschränkungen der Selbstbestimmung erklärter Trinker geführt. Jenseit des Atlantischen Oceans kann ein Gewohnheitstrinker auf bestimmte Zeit zum Aufenthalt in einer Trinkerheilstätte verurtheilt werden, deren Umgegend von Schenken freigehalten wird, während es Schenkwirthen überhaupt bei strenger Strafe untersagt ist, solchen Leuten berauschende Getränke zu verabreichen. In England ist vom 1. Januar 1880 ab, zunächst probeweis auf zehn Jahre, die Bestimmung eingeführt, daß ein Gewohnheitstrinker in Gegenwart von zwei Zeugen sich vor einem Friedensrichter durch seine eigene Erklärung für bestimmte Zeit in eine Trinkerheilanstalt einsperren kann; und als Gewohnheitstrinker bezeichnet das Gesetz Jemand, der, ohne wegen Irrsinns entmündigt werden zu


  1. Vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1886, S. 554: „Die Geheimmittel gegen Trunksucht“.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_826.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2023)