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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

dem Forschungstein amüsirte ihn sogar höchlich, aber er beschloß trotzdem seinem übermüthigen Sprößling den Text zu lesen, und fand auch bald Gelegenheit dazu, denn soeben trat Hans bei ihm ein.

„Ich habe wieder einmal schöne Streiche von Dir hören müssen!“ empfing ihn der Vater. „Was hast Du wieder für Tollheiten auf der Ebersburg getrieben? Du – Ritter vom Forschungstein!“

„War das nicht ein guter Einfall, Papa?“ fragte der junge Mann lachend. „Ich habe soeben erfahren, daß die Sache zwischen Dir und dem Freiherrn zur Sprache gekommen ist. Er wollte Dich vermuthlich wegen seines Gichtleidens konsultiren?“

„Möglich, ich habe die Diagnose auf Verrücktheit gestellt!“ sagte Wehlau trocken. „Ich habe ihm Eisumschläge verordnet, es wird zwar nicht viel helfen, die Krankheit ist schon zu weit vorgeschritten, aber es beruhigt doch wenigstens, und das thut noth.“

„Wie so? Seid Ihr etwa an einander gerathen?“

„Gewiß sind wir das! Ich bin nicht dafür, fixe Ideen zu schonen, wie die meisten meiner Kollegen. Ich habe den Grundsatz, die Kranken aufzurütteln aus ihrem Wahne, und als dieser Udo von Eberstein anfing, mir ganze Chronikbücher herunter zu beten, habe ich ihm in der nachdrücklichsten Weise klar gemacht, was ich von diesem mittelalterlichen Unsinn halte.“

„O weh!“ seufzte Hans, „da hast Du ihn an seiner empfindlichsten Stelle getroffen, das verzeiht er Dir und mir niemals.“

„Meinetwegen! Was haben ich und Du denn mit diesem alten Uhu von der Ebersburg zu thun?“

„Sehr viel – da ich mich mit seiner Tochter verlobt habe!“

Der Professor sah seinen Sohn einen Augenblick lang starr an, dann runzelte er die Stirn und sagte ärgerlich:

„Treibst Du schon wieder Narrenspossen? Ich dächte, das wäre nun nachgerade genug!“

„Du irrst, Papa, ich spreche im vollen Ernste. Ich habe mich soeben mit Gerlinde von Eberstein verlobt. Du hast sie ja am Krankenbette der Gräfin kennen gelernt und wirst Dich sicher freuen, wenn ich Dir ein so liebes, holdes Geschöpf als Tochter zuführe.“

„Junge, bist Du toll geworden?“ brach Wehlau aus. „Die Tochter eines notorisch Wahnsinnigen? Das kann ja erblich sein in der Familie! Das Mädchen hat so schon etwas Scheues, Seltsames in seinem Wesen, und der Vater ist bereits vollständig übergeschnappt.“

„Bewahre!“ sagte Hans. „Er stammt nur aus dem zehnten Jahrhundert, und darauf hin mußt Du ihm einige abnorme Gehirnerscheinungen zu Gute halten. Sonst ist mein Schwiegervater ganz vernünftig.“

„Schwiegervater?“ wiederholte der Professor gereizt. „Da habe ich doch auch noch ein Wort mitzureden, sollt’ ich meinen! Wenn Du Dir wirklich diese unsinnige Idee in den Kopf gesetzt hast, so erkläre ich Dir kurz und bündig: daraus wird nichts! Ich verbiete es Dir!“

„Das kannst Du nicht, Papa. Der Freiherr hat es Gerlinde auch verboten; er bekam sogar Krämpfe, als ich meine Werbung vorbrachte, aber das hilft Euch Beiden nichts – wir heirathen uns doch.“

Wehlau, der jetzt endlich merkte, daß die Sache Ernst war, hob verzweiflungsvoll die Hände empor.

„Aber hast Du denn auch schon den Verstand verloren? Der Alte ist verrückt, daran ist gar kein Zweifel, und ich sage Dir als Arzt, daß der Wahnsinnskeim erblich ist. Willst Du Unheil in unsere Familie bringen? Willst Du eine ganze Generation unglücklich machen? So nimm doch Vernunft an!“

Das düstere Zukunftsbild machte leider gar keinen Eindruck auf den jungen Mann, er entgegnete kaltblütig:

„Es ist doch eigentlich merkwürdig, Papa, daß wir uns immer zanken müssen! – Jetzt standen wir gerade so vortrefflich mit einander! Du hast Dich mit meiner ,Farbenkleckserei‘ ausgesöhnt und bist auf dem besten Wege, stolz darauf zu werden; nun ist Dir wieder meine Verlobung nicht recht, und sie müßte Dir doch eigentlich schmeichelhaft sein. Zu Dir kommt die alte Aristokratie nur, wenn sie Rheumatismus hat; ich verbinde mich mit der jungen Aristokratie, indem ich sie eheliche; das ist doch ein offenbarer Fortschritt.“

„Es ist der unsinnigste von all Deinen unsinnigen Streichen!“ rief der Professor wüthend. „Ein für allemal –“

Er wurde unterbrochen, ein Diener erschien, um ihn zu der Gräfin zu rufen, da er befohlen hatte, ihn sofort zu benachrichtigen, wenn die Kranke aus ihrem Schlafe erwacht sei. Wehlau folgte als gewissenhafter Arzt auch jetzt diesem Rufe, befahl aber seinem Sohne zu bleiben, er werde in einer Viertelstunde zurück sein.

(Fortsetzung folgt.)

Blätter und Blüthen.

Eine „Bibliothek deutscher Geschichte“. Unter diesem Titel erscheint im J. G. Cotta’schen Verlag in Stuttgart ein Unternehmen, welches auf die allgemeinste Theilnahme rechnen darf. Der Zweck desselben ist, eine Geschichte der Deutschen von ihrem ersten Auftreten bis zur Aufrichtung ihres neuen Kaiserreichs zu geben und zwar in einer zusammenhängenden Reihe einzelner Werke. Dem Verleger und dem Herausgeber, H. von Zwiedineck-Südenhorst, schwebte offenbar das Vorbild der Oncken’schen Weltgeschichte vor, die ebenfalls aus einer Sammlung selbständiger Einzelwerke besteht, vor welcher das Cotta’sche Unternehmen indessen den Vorzug hat, daß es nicht einzelne Epochen aus der deutschen Geschichte behandelt, die sich nicht ganz lückenlos an einander schließen, sondern die einzelnen Theile so organisch verbindet, daß schließlich eine zusammenhängende deutsche Geschichte entsteht. Was an der einheitlichen Fassung und Haltung dabei verloren gehen könnte, wird reichlich aufgewogen durch die Sicherheit und Vertrautheit, welche sich aus der anhaltenden Beschäftigung mit einem bestimmten Zeitraum ergiebt und welche eine anschauliche Darstellung ermöglicht, deren Bilder sich dem Geist und der Phantasie des Lesers einprägen. Daß derartige Werke jetzt von den Schriftstellern, den Buchhändlern und dem Publikum bevorzugt werden, hängt mit der ganzen Richtung unserer Zeit auf die Specialforschnng zusammen. Wenige Historiker der Gegenwart wären im Stande, wie Altmeister Ranke, eine von großen Gesichtspunkten ausgehende Weltgeschichte zu schreiben.

Sehr erfreulich ist es, daß auch im Prospekt dieser neuen Geschichtsbibliothek, welcher bereits früher unserem Blatte beigelegen hat, die Absicht hervorgehoben wird, die früher in Deutschland übliche Darstellungsweise zu vermeiden, welche durch den in den Bibliotheken aufgewirbelten Staub der Forschung und Untersuchung die Klarheit und Durchsichtigkeit einer in künstlerisch abgeschlossener Form sich gebenden Geschichtserzählung verdunkelt. Das Werk will nicht zu Fachgelehrten und Kritikern sprechen, sondern zur deutschen Nation, die ein Recht hat zu verlangen, daß sie von den Leistungen der gelehrten Welt in einer allgemein faßbaren, nicht ermüdenden Form unterrichtet werde.

Den Zeitpunkt für das Erscheinen eines solchen Geschichtswerkes erklären die Herausgeber als besonders günstig, da heute eine wahrhaft nationale Geschichtschreibung möglich geworden ist. „Die entscheidende Wandlung, welche die Geschicke des deutschen Volkes in unseren Tagen erfahren haben, die Vereinignng der Mehrheit seiner Stämme in dem neuen Kaiserreiche und der enge Anschluß der aus dem alten Reichsgefüge losgelösten, aber von deutschen Bürgern und einer deutschen Dynastie gegründeten und erhaltenen österreichisch-ungarischen Monarchie an dieses neue Deutsche Reich geben der Beurtheilung der historisch gewordenen Verhältnisse eine Sicherheit und Bestimmtheit, wie sie vordem niemals gedacht werden konnte.“

So sind es auch österreichische und deutsche Historiker im Verein, welche die dreizehn selbständigen Werke verfassen werden, aus denen die Sammlung bestehen soll: der Herausgeber von Zwiedineck-Südenhorst in Graz, Engelbert Mühlbacher in Wien, Viktor von Kraus in Wien, August Fournier in Prag, Jastrow in Berlin, Oskar Gutsche in Danzig, K. Th. Heigel in München u. A. Das erste Werk ist eine deutsche Geschichte von der Urzeit bis zu den Karolingern; das letzte: der deutsche Bund und das neue Reich. Die Gliederung des Werkes in einzelne Abtheilungen ist eine durchsichtige und geschichtlichen scharf abgeschlossenen Zeiträumen entsprechende. Die erste vorliegende Lieferung beginnt mit der Schrift: „Die deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges von Moritz Ritter.“ So sei das neue, von patriotischem Geist eingegebene Unternehmen von vornherein der Gunst des Publikums warm empfohlen.  

Ludwig Uhland in Frankfurt. Karl Biedermann hat als Ergänzung zu den „dreißig Jahren deutscher Geschichte“, die jetzt in zweiter Auflage vorliegen, eine Selbstbiographie herausgegeben unter dem Titel: „Mein Leben und ein Stück Zeitgeschichte“ (Breslau, Schottländer). Hier geht der Verfasser auf manche mehr persönliche und intime Seite der Zeitereignisse in den letzten dreißig Jahren ein, die er in jenem Werke geschichtlich in ihrem innern Zusammenhang dargestellt hat. Karl Biedermann, ein alter Gothaer und späterer Nationalliberaler, gehört zu den Politikern, die in ihrem Leben keine Wandlung durchgemacht haben, die nach keiner Seite hin eingeschwenkt sind, sondern deren politische Wirksamkeit sich in einer geraden Linie konsequent fortbewegte. Es ist daher selbstverständlich, daß er die Dinge seit fünfzig Jahren vom Standpunkte seiner Partei aus, mit welcher er selbst so eng verwachsen ist, ansieht und darstellt; doch ist sein Urtheil dabei stets milde und unbefangen. Seine Lebensbeschreibung enthält eine Menge interessanter


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 835. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_835.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)