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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Es ist Zeit nach Hause zu gehen, und morgen früh,“ sprach sie mit absichtlicher Betonung, „wenn ich Herrn Schaumlöffel meine Zeichnungen zeige, nehme ich Dich zur Strafe nicht mit, weil Du Dich nicht über den ‚Boden‘ erheben kannst. Hörst Du das, alter Papa?“

Dunby fühlt sich schuldig und streichelt Lucie’s Hand. Auch Oskar stammelt ein paar höfliche Worte zu demselben Zweck. Lucie meint, daß der Künstler sich nur aus Rücksicht für ihren Vater in dieses Gespräch eingelassen hat, und ist ihm dankbar. Sie ist trotz allen Muthwillens eine zärtliche Tochter und freut sich, wenn man Papa respektirt.

Oskar fühlt sich, nachdem er die beiden Fremden verlassen hat, etwas beklommen, ohne indeß zu muthmaßen, worauf das Interesse beruht, das er Lucie eingeflößt hat. Der einfache, ehrliche Mensch würde schaudern, wenn er ahnte, was Paul sich erlaubt hat. Paul, denkt er, mag schön von meinem Lehrtalent aufgeschnitten haben, daß das arme Kind so darauf besteht, mir Zeichnungen vorzulegen! Aber ich will ihr morgen reinen Wein über mich einschenken! Hätte ich es nur heut schon gethan!

Er mag sich’s nicht gestehen, daß der Gedanke, sie werde ihn morgen besuchen, ihm gar so angenehm war. Wenn er nur die dumme Schüchternheit ablegen könnte!

Es ist bereits eine Karte von Paul angelangt. Ein Kamerad, den Paul in Tutzing traf, hat sie nach München mitgenommen. Es versteht sich, daß Fritz sie dreimal überlesen, ehe er sie abgiebt. Sie enthält die folgenden Worte:

„Stellung genommen – es läßt sich gut an. Erhalte Verbindung mit Amerika auf erwünschtem Fuß. Ziehe Fritz an den Ohren, wenn er nicht parirt.“

Oskar antwortete:

„Gelesen und begriffen. Amerika nach Vorschrift in Beschlag genommen. Fritz macht Deiner Erziehung noch Ehre.“

*  *  *

Die Amerikaner bewohnen ein paar hübsche, nach dem Promenadenplatz gelegene Zimmer in der zweiten Etage des „Bayerischen Hofs“.

In einfacher, aber eleganter Toilette, zwischen zwei Fauteuils ausgestreckt, ruht Frau Dunby und bewegt ihren riesigen Fächer langsam hin und her. Zuweilen greift sie in eine neben ihr stehende Bonbonnière, die mit überzuckerten Veilchen angefüllt ist, um eins zwischen die Lippen zu stecken.

Mrs. Dunby ist eine vortreffliche, etwas originelle und noch recht wohlkonservirte Frau von ungefähr vierzig Jahren. Sie ist groß, hat klare Augen, eine etwas gebogene Nase, einen stolzen Mund und hübsche Zähne, die ihr noch nichts gekostet haben. Das etwas graue Haar paßt zu ihrer blühenden Gesichtsfarbe. Manchmal, wenn sie en beauté sein will (obgleich sie eben so wenig kokett ist wie ihre Tochter), streut sie etwas Puder darauf. Sie ist nicht gerade mißtrauisch, aber mitunter etwas skeptisch; vielleicht in Folge einer starken Dosis gesunden Menschenverstandes. Auf ihren Gatten, den sie mit Vorliebe auch im engern Kreis mit: Mister Dunby anredet, hält sie große Stücke, obwohl sie bemüht ist, ihm dies nicht zu zeigen. An Lucie hat sie Manches auszusetzen, besonders, daß sie nicht „respektvoll“ genug ist. Da der Vater sie „unsinnig verwöhnt“, hält sie es für ihre Pflicht, das „Kind“ mitunter strenger als nothwendig zu tadeln.

Die kleine Lucie ist eben beschäftigt, auf einem Spiritusapparat ein Brenneisen zu hitzen und ihre Haare zu kräuseln. Der Papa erscheint von Zeit zu Zeit an der offnen Thür, um an der Unterhaltung teilzunehmen, die ihn mehr zu interessiren scheint, als der „New-York-Herald“, den er in der Hand hält!

Die Unterhaltung dreht sich um den berühmten Schaumlöffel. Frau Dunby war gestern bereits eingeschlafen, als ihr Gatte und Lucie vom Löwenbräu zurückkehrten, und so holen sie das Versäumte nach.

„Ich bin enttäuscht,“ ruft Mrs. Dunby, „ich hatte ihn mir anders vorgestellt!“

„Aber Mama, Du hast ihn noch nicht einmal gesehen!“

„Es ist aber leicht, ihn nach Eurer Beschreibung zu beurtheilen: er ist nicht elegant, nicht extravagant, nicht einmal arrogant – also ein ganz gewöhnlicher Mensch und kein Künstler!“

„Er ist aber kein gewöhnlicher Mensch!“ ruft Lucie sehr erregt, indem sie die Flamme heraufschraubt.

„Du wirst ungewöhnliche Locken haben, wenn Du auf das Eisen nicht Acht giebst!“

„Stelle Dir vor, Karolinchen,“ berichtet Dunby, indem er mit dem zusammengerollten „Herald“ spielt, „daß dieser Schaumlöffel mich die ganze Zeit von einer neuen Diät des Bodens unterhalten hat. Ich sage Dir, der Mensch hat Kenntnisse – Kenntnisse!“

„Dann ist er kein Maler.“

„Ach, liebes Kind, diese Deutschen machen eben Alles möglich!“

„Das bildest Du Dir ein! Wo wird denn Einer, der solche Bilder malt, sich mit Dünger abgeben! Oder wo wird denn Einer, der sich mit Dünger abgiebt, diese Bilder malen!“

„Bitte, Mama, mache mich nicht nervös! Die Bilder sind doch da!“

„Vielleicht hat er sie von seinen Schülern malen lassen.“

„Aber um Schüler zu haben, muß man doch erst berühmt sein!“

„Das besorgen die Zeitungen, wenn man sie bezahlt – Du wirst Dich entschieden verbrennen, wenn Du nicht aufpaßt.“

„Man braucht nur seine Augen anzusehen, so weiß man, daß er ein Künstler ist!“ ruft Lucie, während sie das Eisen in einiger Entfernung von der Backe probirt, ehe sie es an die Haare bringt.

Frau Dunby, die Lucie jetzt ganz mit ihrer Frisur beschäftigt glaubt, winkt ihren Gatten neben sich:

„Wie findest Du das?“ flüstert sie.

„Schaumlöffel ist kein Kourmacher,“ beruhigt er.

„Sobald er ihre Mitgift kennt, kann er’s werden!“

Lucie hat selbstverständlich Alles gehört.

„Bist Du wenigstens sicher, Dunby, Dein Bild von ihm zu erhalten,“ fragt Frau Dunby jetzt laut, „oder wirst Du Dich mit Anweisungen begnügen, wie Du düngen mußt?“

„Ich sagte Dir doch, Karolinchen, daß ich vom Malen noch gar nicht mit ihm gesprochen habe. Sein Vetter machte mich glücklicher Weise vorher aufmerksam, daß er im Augenblick vom Malen nichts wissen wolle – eine Künstlerlaune.“

„Kennt man. Wahrscheinlich ein Manöver, um den Preis zu verdoppeln, wenn er sich doch dazu herbeiläßt. Du wirst mit diesem Schaumlöffel hereinfallen, Mr. Dunby!“

„Mama, bitte, willst Du mir den Gefallen thun, nichts mehr gegen Herrn Schaumlöffel zu sagen, bis Du ihn gesehen hast? Willst Du?“

„Da ich ihn in einer halben Stunde sehen werde …“

Lucie ist trotz der Abschweifung mit ihrer Frisur zu Stande gekommen; ihr Papa hat den „Herald“ fallen lassen, den Klemmer eingesteckt und betrachtet sie mit Bewunderung. Sie eilt auf ihn zu und umarmt ihn, um ihn als Verbündeten sich zu sichern, da sie im voraus weiß, daß die Wahl ihres Anzugs bei der Mama auf Widerspruch stoßen wird. Dann ruft sie durch eine kleine silberne Klingel ihre Jungfer herbei.

„Meinen Anzug von weißem Peking, Julie!“

„Lucie, was fällt Dir ein!“

„Du hast selbst gesagt, daß er mir am besten steht!“

„Aber doch nicht, um am Morgen durch die Stadt zu gehen!“

„Ich kann ja fahren.“

„Was wird der Maler denken, wenn er Dich so sieht!“

„Wahrscheinlich, daß ich mich mit Geschmack zu kleiden verstehe … Du weißt doch, daß ich ihm gefallen will, daß ich ihn gern erobern möchte.“

„Ich will aber nicht, daß Du mit ihm kokettirst!“

„Mama!“ ruft Lucie streng.

Julie breitet unterdeß den fraglichen Anzug auf dem Bett aus; sie weiß, wessen Wille schließlich durchgesetzt wird.

„Du machst mich wirklich ärgerlich, Lucie – ich will nicht.“

Die Ungehorsame stürzt auf ihre Mama zu und verschließt den zürnenden Mund mit einem Kuß.

„Du sollst Dich nicht aufregen, Mama!“ predigt sie. „Du weißt, es schadet Deinem Teint, und ich will heut Staat mit Dir machen! Auch den weißen Hut, Julie!“

„Nie hätte ich in Deinem Alter gewagt, meiner Mutter so entgegen zu handeln!“

„Ja, Mama, ich weiß, Du warst immer eine Heilige; ich bin leider mehr nach Papa gerathen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_839.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2023)