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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

bestehst, so machst Du Dich und Deine Familie und Deine ganze Nachkommenschaft unglücklich. Dagegen’^ protestire ich als Arzt und Vater! Ich lasse Dich unter Kuratel stellen und verbiete es Dir im Namen der Menschheit, der man eine verrückte Generation nicht aufhalsen darf.“

„Papa, ich glaube, Du bist selbst angesteckt!“ rief Hans ärgerlich, indem er sich losmachte und zu Gerlinde eilte, um die er schützend den Arm legte. „Ich leide es nicht, daß meine Braut so gequält wird! Ich sehe es überhaupt nicht ein, was die Geschichte die Väter eigentlich angeht. Das Heirathen ist lediglich unsere Sache, und wir werden das auch allein besorgen!“


Es war Sommer geworden. Man befand sich bereits in den ersten Tagen des Juli, aber das Familienfest, welches man im Steinrück’schen Hause zu feiern gedachte, hatte auf unbestimmte Zeit verschoben werden müssen. Wenn auch Professor Wehlau bei seiner Anwesenheit im Schlosse der Tochter die trostlose Wahrheit verschwieg und ihr noch wochenlang eine trügerische Hoffnung ließ, so wußten der General und die Seinigen doch, daß der Familie ein Trauerfall bevorstand. Hertha, so sagten sie sich, würde durch den Tod der Mutter nur fester an die Familie geknüpft werden, und sobald die Trauerzeit vorüber, sollte sofort die Vermählungsfeier stattfinden.

Graf Steinrück ahnte nicht, daß das Schicksal schon längst das stolze Gebäude seiner Hoffnungen zertrümmert hatte. Er wußte nichts von jener verhängnißvollen Sturmnacht, von der Anwesenheit des Hauptmanns Rodenberg in Sankt Michael, und war hinsichtlich der Nachrichten aus Schloß Steinrück auf Hertha’s Briefe und den Bericht des Arztes angewiesen.

Michael hatte damals die junge Gräfin auf ihren dringenden Wunsch nur bis zu der Stelle geleitet, wo die Bergstraße in das Thal mündete, da auf dem weiteren Wege jede Gefahr ausgeschlossen war. Sie langte mit den Dienern allein im Schlosse an, und dort verbot der bedenkliche Zustand, in dem sie die Mutter fand, jede Erklärung des Geschehenen. Die Aerzte hatten befohlen, von der Kranken jede, auch die geringste Aufregung fern zu halten, und so mußte die Sache denn vorläufig Geheimniß bleiben, bis zur Genesung der Gräfin – wie Hertha noch immer hoffte. Michael kannte durch den Professor Wehlau allerdings die volle Wahrheit; aber er fühlte sich nur um so mehr verpflichtet, die Frau zu schonen, Von der er nur Güte und Freundlichkeit empfangen hatte. Wenn der Kampf beginnen mußte, sn mochte es nach ihrem Tode sein.

Dieser Fall war nun eingetreten. Der Arzt hatte dem General soeben die Nachricht gesandt, daß die Kranke in der letzten Nacht sanft entschlafen sei. Steinrück war, wie die ganze Familie, darauf vorbereitet. Die letzten Nachrichten hatten schon völlig hoffnungslos gelautet. Dennoch ging ihm der Tod der sanften liebenswürdigen Frau, die sich stets unbedingt seiner Leitung gefügt batte, recht nahe, und er konnte ihr nicht einmal den letzten Freundschaftsdienst erweisen und sie zu Grabe geleiten!

Es war eine verhängnißvolle, gewitterschwüle Zeit in diesen Julitagen, und wenn man auch im Publikum noch wenig davon ahnte, so waren die militärischen Kreise um so besser unterrichtet. General Steinrück wußte, daß er sich jetzt nicht entfernen durfte, selbst nicht auf wenige Tage, daß er sich jeden Augenblick zur Verfügung bereit halten mußte. Die Pflichten des Familienhauptes mußten zurückstehen hinter denen des Soldaten. Raoul sollte allerdings sofort abreisen; ihm, dem jungen, leicht entbehrlichen Beamten im Ministeriums konnte man einen kurzen Urlaub nicht versagen, am wenigsten bei dieser Gelegenheit, wo er seinen Großvater zu vertreten hatte.

Steinrück saß mit tiefernster Miene in seinem Arbeitszimmer und las noch einmal das Telegramm, als ihm ein Officier vom Generalstabe gemeldet wurde. Es blieb dem Grafen nicht viel Zeit für seine Familienangelegenheiten; sogar in diesem Augenblick wurde er gestört; die Meldungen, Depeschen und Berichte jagten sich ja jetzt. Er winkte, den Gemeldeten eintreten zu lassen, und gleich darauf stand Hauptmann Rodenberg vor ihm.

Der General war doch peinlich überrascht von dieser Begegnung, obgleich er darauf gefaßt sein mußte. Er hatte Michael seit jener Stunde, wo er zwischen ihn und Raoul getreten war, wohl einige Male bei dienstlichen Veranlassungen gesehen, aber nicht gesprochen; jetzt, zum ersten Male, waren sie gezwungen, wieder mit einander zu verkehren, und der junge Officier mußte es empfinden, es war ihm nicht verziehen worden, daß er das Entgegenkommen von jener Seite zurückgewiesen hatte. Er fand, in der That nur den Vorgesetzten, der kalt, mit völlig unbewegter Miene ihm entgegentrat.

„Sie bringen mir eine Meldung von Seiten Ihres Chefs?“

„Nein, Excellenz, ich komme diesmal in eigener Sache und bitte um ein kurzes Gehör.“

Steinrück sah betroffen auf. In eigener Sache? Das mußte etwas ganz Ungewöhnliches sein. Er winkte mit der Hand und sagte kurz:

„So sprechen Sie!“ .

„Die Gräfin Marianne Steinrück ist im Laufe dieser Nacht gestorben –“

„Das wissen Sie bereits?“ unterbrach ihn der General befremdet. „Woher? Seit wann?“

„Seit zwei Stunden.“

„Wie ist das möglich? Ich habe soeben erst die Depesche erhalten, noch kennt Niemand den Inhalt, nicht einmal mein Enkel. Wie können Sie bereits davon unterrichtet sein?“

„Mein alter Lehrer und Freund, der Pfarrer von Sankt Michael, der auf Wunsch der Gräfin an ihr Sterbebett berufen wurde, sandte mir telegraphisch die Nachricht.“

Die Auskunft schien den Grafen noch mehr zu befremden. Er sagte in scharfem Tone:

„Das ist in der That – seltsam! Welchen Grund hätte denn der Herr Pfarrer, Ihnen eine Nachsicht, die Sie doch unmöglich interessiren konnte, früher zu senden, als selbst der Familie? Die Sache ist mir so unbegreiflich, daß ich Sie schon um Erklärung ersuchen muß.“

„Eben deßhalb kam ich. Das Telegramm wurde im Auftrag der Gräfin Hertha abgesendet.“

„An Sie?“

„An mich!“

Der General erbleichte. Jetzt endlich schien ihm eine Ahnung der Wahrheit aufzusteigen. Er richtete sich drohend empor.

„Was soll das heißen? Wie kommen Sie zu einer solchen Vertraulichkeit mit der Braut des Grafen Steinrück?“

„Ich habe in ihrem Namen das Wort zurückzufordern, das sie dem Grafen gegeben hat,“ erklärte Michael, den drohenden Blick fest erwidernd. „Es wäre dies längst geschehen, wenn die schwere Erkrankung der Mutter es nicht unmöglich gemacht hätte. An ihrem Sterbebette mußte jeder Kampf und jeder persönliche Wunsch schweigen. Ich weiß, daß es herzlos erscheint, solche Dinge zur Sprache zu bringen in einer Stunde, wo Hertha noch an der Leiche ihrer Mutter weint; aber sie selbst fordert es; denn Graf Raoul wird voraussichtlich auf die Todesnachricht hin zu ihr eilen, und sie kann und will ihn nicht mehr als ihren Verlobten empfangen. Das habe ich Euer Excellenz zu melden; alle anderen Erklärungen mögen später stattfinden. Jetzt ist es wohl nicht an der Zeit –“

„Was ist nicht an der Zeit?“ fiel ihm Steinrück heftig in das Wort. „Ich dächte, Sie hätten das Aeußerste schon gesagt. Reden Sie aus!“

„Nun wohl, Hertha hat mir das Recht gegeben, sie ihrer ganzen Familie gegenüber zu vertreten. Ich spreche im Namen meiner Braut!“

Das war deutlich genug und übertraf noch die schlimmsten Befürchtungen des Generals. Er hatte an die Möglichkeit einer Gefahr geglaubt und versucht, die Beiden zu trennen, und nun hatten sie sich bereits gefunden. Sein stolzer Plan lag in Trümmern – der Preis, den er seinem Erben zugedacht hatte, sollte noch in der letzten Stunde einem Andern zufallen! Steinrück hätte doch nun aufflammen müssen in Zorn und Entrüstung über den Verwegenen; statt dessen sah er ihn an, mit einem langen, seltsam düsteren Blicke und schwieg. Erst als Michael, der sich dies Schweigen nicht zu deuten wußte, ihn befremdet anschaute, schien er sich zu besinnen, und nun allerdings hrach er in voller Gereiztheit aus:

„In der That, Sie sagen mir da mit der ruhigsten Miene die unerhörtesten Dinge! Sie scheinen es ganz selbstverständlich zu finden, daß die verlobte Braut meines Enkels die Ihrige wird, nur weil Sie tollkühn genug sind, die Hand nach ihr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 847. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_847.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2022)