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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Vorstellung macht! Darüber hat mir Mrs. Colver, die in Paris gelebt hat, schon eine Kerze aufgesteckt“

„Sei unbesorgt! Ich weiß, was Lucie werth ist und was ich ihrer Ehre schuldig bin! Aber ehe ich … sie vielleicht unglücklich sehe … nein – eher reisen wir ab, bis es so weit kommt. Jetzt wird sie es noch verschmerzen. Man konnte mit ihr nach Spanien gehen oder …“

„Warum nicht gar nach der Wüste Sahara! Jetzt nach Spanien, wo man in Deutschland schon schmilzt!“

„Wie Du denkst, Karoline, nach Norwegen meinetwegen! Ach, mir ist Alles Eins! Ich wollte, ich wäre erst im Klaren über den Maler, und was zu thun …“

„Die Nacht wird Rath bringen – übereilen darf man nichts!“

*  *  *

Die Nacht hat sich gleich einer schweren Wolke herabgesenkt, in der die Baumgruppen wie unbestimmte, schwärzliche Schatten ruhen. Dann und wann fährt ein Windstoß dazwischen, daß sie mit leisem Stöhnen durch einander zu fließen scheinen. In einem Nachbarhause schlägt ein schlecht verwahrter Fensterladen auf und zu; der ferne Pfiff einer Lokomotive klingt manchmal dazwischen – sonst Alles still.

Oskar hatte sich angezogen aufs Bett geworfen und eine Weile vor sich hingebrütet. Dann ist er aufgesprungen und ans offene Feuster getreten. Die Arme verschränkt, starrt er hinaus, ohne nur zu versuchen, einen Gegenstand vom andern zu unterscheiden. In seinem Innern wirbeln sonderbare Bilder durch einander, bald verworren, bald klarer – immer aber sieht er Lucie an seiner Seite.

„Es darf nicht sein,“ stöhnt er leise, „es darf nicht sein!“ Und als ob er fliehen müsse, stürzt er noch einmal zum Hause hinaus; weiter und immer weiter durch die stillen Straßen. Erst gegen Morgen kehrt er zurück und sucht sein Lager auf. Aber lange noch kann er kein Auge schließen. – Beim Erwachen fühlt er sich matt, beinahe krank. So kann das nicht fortgehen!

Er kommt zu dem Entschluß, ein oder zwei Tage zu verreisen, eine Fußwanderung zu machen, gleichviel wohin, und sich brieflich von den Amerikanern zu verabschieden. Er ist Paul sehr verpflichtet, aber er kann ihm seinen inneren Frieden nicht zum Opfer bringen und durch weiteren Verkehr mit den Amerikanern sich zum Sklaven einer thörichten Leidenschaft machen.

Fritz, der sich gestern Abend überzeugt hat, daß sein Kitt nichts taugt und daß der kostbare Pfirsichzweig dahin sei, hat das böse Gewissen nicht schlafen lassen. Sobald Oskar das Haus, verließ, ist er aufgesprungen, sich zu versichern, ob die Thür auch verschlossen sei: einmal aus Dienertreue, dann weil er sich vor Einbrechern fürchtet. Fritz ist kein Held. Darauf ist er in Oskar’s Zimmer geschlichen, hat die Unordnung, welche unglückliche Liebe angerichtet, mit verständnißvoller Gewandtheit beseitigt und dabei Betrachtungen über die Verschiedenheit seiner zwei Herren – des echten und des unechten – angestellt.

„Geriethe mein wirklicher Herr jedesmal in einen solchen Zustand, wenn ein hübsches Mädchen ihm gefällt, so hätten wir ihn längst auf den Kirchhof legen müssen!“ argumentirt er. „Und das wäre schade, denn wir malen wirklich charmant und werden auch charmant bezahlt. Wie der Andere sich nur anstellt! Da wollte ich zehntausendmal lieber (hier seufzt Fritz) – ich hätte mich verschossen, als daß mir der Unglücksfall mit dem Pfirsichzweig passiren mußte! Das Malheur kann mich die sichere Lebensstellung kosten. Aber ich ertrage es mit Ergebung … Vor allen Dingen muß ich diesen unechten Maler mir als Freund erhalten, damit er sich meiner annimmt, wenn’s bei meinem echten Maler losgeht!“

Nach dieser Schlußbetrachtung richtet Fritz sein Betragen ein. Er nimmt sich vor, Oskar den Tag über mit angenehmen Nachrichten über die junge Amerikanerin zu „verwöhnen“. Die Jungfer konnte ihm ja anvertraut haben, was das gnädige Fräulein über ihn geäußert hätte.

In Anbetracht, daß Oskar heute noch weniger als gestern zur Bewunderung eines Stilllebens aufgelegt sein würde, herrscht auf dem Frühstückstisch eine bequeme Behaglichkeit vor. Alles ist leicht erreichbar und mundrecht: etwas ausgeschälte Hühnerbrust steht ein paar Spiegeleiern mit gehacktem Schinken gegen über. Eine Art Rekonvalescententisch, wie eine liebende Mutter ihn dem Sohne zurecht gestellt haben würde. Fritz beobachtet hinter einer Portiere den Eindruck. Oskar sieht ernst vor sich hin, fängt aber doch, angeregt durch das bequeme Arrangement, allmählich zu essen an.

Es wird sich Alles machen! Er kommt schon wieder zur Vernunft! Wahrscheinlich noch nicht viel Uebung auf dieser Linie.

Der Brief an den Amerikaner, den er beim Decken erspäht hat, beunruhigt ihn. Was hat Oskar an Mister Dunby zu schreiben? Zum Anhalten kommt’s hier kaum! Wenigstens hat das noch gute Weile … Wenn der Brief an die kleine Miß gerichtet wäre?

Es klingelt.

Leise schleicht Fritz rückwärts aus seinem Versteck. Es hat zweimal – das zweite Mal etwas heftig – geklingelt, ehe er geht, um zu öffnen.

Der Amerikaner steht vor der Thür. Heiliger Antoni – was hat das zu bedeuten!

Mister Dunby grüßt Fritz in ähnlicher Weise wie das erste Mal.

„Wenn Herr Schaumlöffel jetzt noch nicht auf ist oder mich noch nicht empfangen will, wollen Sie fragen, um welche Zeit ich meinen Besuch wiederholen darf?“

Fritz würde Oskar sofort wecken, wenn dieser sich einfallen ließe, noch zu schlafen. Glücklicherweise ist das nicht nöthig.

„Es wird Herrn Schaumlöffel gewiß sehr angenehm sein,“ sagt Fritz laut genug, daß Oskar es hört. „Er ist hier im Speisezimmer.“

Oskar hat sich erhoben. Er hat die Stimme erkannt.

„Kein Rückfall,“ denkt er, „nur kein Rückfall!“ – aber er zittert dabei wie ein Knabe.

Fritz öffnet die Thür.

„Ich komme zu früher Stunde –“

Oskar verbeugt sich.

„Und ohne Vorwissen meiner Damen. Notiren Sie das Wohl, ich bitte!“

Auch der Amerikaner kann eine gewisse Unruhe nicht verbergen, welche ihn die Aufregung Oskar’s nicht bemerken läßt.

„Wollen Sie nicht Platz nehmen?“

„Danke!“

Beide setzen sich.

„Auf die Gefahr hin, von Ihnen falsch beurtheilt zu werden … Es hört uns doch Niemand?“ Er hat eine Bewegung hinter der Thür gehört.

Fritz ist bei diesen Worten von der nur angelehnten Thür pfeilschnell verschwunden. Oskar verschließt sie und zieht noch einen schweren Vorhang sorgfältig darüber, ehe er sich dem Amerikaner gegenüber setzt. Dann macht er eine Bewegung mit der Hand, um anzudeuten, daß er bereit sei zu hören.

„Ich halte Sie für einen Ehrenmann, Herr Schanmlöffel. Trotzdem … glauben Sie mir … ist es mir peinlich … Nehmen Sie an, daß ich ein sehr vorsichtiger Mann bin … vor Allem, daß mir nichts mehr auf der Seele liegt, als das Schicksal meiner einzigen Tochter … Sie begreifen –“

„Ja – o ja!“

„Gesetzt den Fall – ich bin kein Diplomat, mein bester Herr Schaumlöffel – gesetzt, Lucie gefiele Ihnen bei näherer Bekanntschaft – sagen Sie mir ehrlich – läge irgend ein Hinderniß auf Ihrer Seite vor?“

Oskar ist noch bleicher geworden.

„Weiß Ihre Tochter –?“

„Selbstverständlich keine Silbe! Aber ich bin ein vorsichtiger Mann … sie ist etwas enthusiastisch – da wäre es nicht unmöglich. Sie werden etwa zehn Jahre älter sein als Lucie – Ihr Charakter scheint mir verträglich und – ich setze nur den Fall, daß mein Kind Ihnen ein tieferes Interesse einflößte – aber um Gotteswillen – was ist Ihnen – lieben Sie Lucie?“

Oskar ist aufgesprungen. Er hat an seine Stirn gegriffen. Das ist zu viel!

„Sie spotten meiner, Mister Dunby. Nicht weiter, ich –“

„Natürlich ist das Liebe! und welche tiefe Liebe – ach, diese deutschen Künstler!“ denkt der erstaunte Amerikaner nicht ohne Befriedigung.

„Ihr Charakter hat mir, so weit ich Sie bis jetzt kennen lernte, zugesagt. Sie haben einen Beruf, der Sie ernährt –“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 855. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_855.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)