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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

springt auf. Halb unbewußt hat sie dabei den Druck seiner Hand leicht erwidert.

Ich muß mich sehr zusammennehmen – Mama wird ohnedies an der Zeichnung merken, wie die Sache steht! denkt Lucie, während sie den Eltern entgegenläuft. Etwas langsamer folgt Oskar.

„Nun – wie ist das Portrait ausgefallen?“ fragt der Papa.

„Ich habe schlecht gesessen,“ berichtet Lucie und bemüht sich, so unbefangen wie möglich zu scheinen. „Die Herren dort haben mich durch die Lorgnette betrachtet, da wollte ich nicht länger still sitzen und habe mich bewegt … Herr Schaumlöffel wird die Zeichnung im Atelier fertig machen.“

Papa ist trotzdem entzückt. Mama, Kunstwerken gegenüber von Natur etwas skeptisch, zeigt sich mäßiger im Lobe, obwohl sie – entgegen der Befürchtung Luciens – aus den Mängeln des Machwerks nicht auf die Liebe des Malers schließt.

Man promenirt noch etwas und nimmt dann das vorherbestellte Abendbrot beim „Kalkulator“ ein, ehe man zur Heimfahrt in den Wagen steigt.

Oskar ist sehr niedergeschlagen Das Glück ist heut dicht an ihm vorübergegangen, und er hat nicht verstanden, es festzuhalten. Es giebt solche Ungeschickte! Es wird nicht wiederkehren! Er hat die einzige Gelegenheit versäumt, Lucie zu gestehen, daß er sie liebt … Ach, diese Aussprache schon wäre für seine starke Leidenschaft eine Erleichterung geworden. Sie sieht, daß ich sie liebe, merkt es an jedem Athemzuge – und ich bleibe stumm! … Was muß sie denken? Sie kann doch nicht anfangen!

Bei dieser Gemüthsverfassung ist er natürlich als Gesellschafter wenig interessant, und selbst die Phylloxera und Hygiene des Feldes vermögen ihn nicht fortzureißen.

Lucie dagegen wird immer ruhiger, immer zuversichtlicher. Sie ist seiner tiefen Liebe diesen Nachmittag sicher geworden, wenn er auch die Worte nicht gefunden, sie auszusprechen, die langweiligen Worte, von denen die Lippen der unbedeutenden Anbeter, die sie zu Dutzenden kennen gelernt hat, so schnell überflossen. Die Ahnung von einem großen Glück, das in der Hingabe des eigenen Selbst an einen Andern besteht, fängt an ihr klar zu werden. Es ist ihr auf einmal ganz fromm zu Muthe, als jetzt der Mond aufgeht, und es stört sie, daß Vater und Mutter so laut von gleichgültigen Dingen mit dem Maler reden, der ihr gehört … ja ihr! Denn er wird sich doch endlich überzeugen, daß man nicht nur ohne Worte liebt! Er wird doch endlich einsehen, daß ich ihn glücklich machen möchte … und daß, wenn ich’s auch noch nicht verstehe, ich’s doch lernen kann, wenn er mich unterweist!

*  *  *

Den nächsten Morgen hat Mr. Dunby zu einem Besuch beim amerikanischen Konsul bestimmt. Lucie soll bei der Mutter im Hôtel bleiben, welche Briefe zu schreiben hat. Sie, Lucie, hätte gern, wie Schaumlöffel vorschlug, mit diesem und der Mutter einen Gang durch die Kirchen Münchens gemacht. Diesmal aber hat Mr. Dunby, unterstützt von seiner Frau, Luciens Wunsch nicht nachgegeben. Er fand, daß das junge Ding vor Allem sich auch sammeln müsse. Sie sollte den Maler nicht jeden Tag sehen, sondern dazwischen Athem schöpfen. Unterdeß wollte er weitere Erkundigungen über ihn einziehen: man konnte wirklich nicht bedachtsam genug in der Sache vorgehen.

Der Konsul, von dem er über Schaumlöffel nur Gutes hört und daß er auf Freiersfüßen gehe (was tausend denkt Dunby, sind die Spürnasen auch schon hinterher!) – ladet ihn und seine Damen für den Nachmittag in seine reizende Besitzung in der Vorstadt ein. Einmal in der Woche sammelt sich während der schönen Jahreszeit die amerikanische Kolonie, in seinen Parkanlagen zum Lawn-Tennis-Spiel. Es trifft sich, daß Dunby seinen Besuch gerade an diesem Tage gemacht hat. Mr. Dunby nimmt die Einladung für Frau und Tochter an, lehnt aber für sich selber ab. Er hat am Morgen im Hôtel unerwartet einen Bekannten aus New-York getroffen, mit dem er sich vorgenommen, die Münchener Bierkeller – namentlich den des Schaumlöffel’schen Bildes – in Augenschein zu nehmen.

Lucie fügt sich allen Anordnungen recht geduldig. Sie kommt der Mama – unerhört! – bei der Wahl des Anzugs entgegen. Mama muß ihn bestimmen. Sie hat auch ein paar Briefe an unliebsame Verwandte geschrieben, was sie vorgestern noch verweigerte.

„Das Kind ist überhaupt ein Engel, wenn man sie richtig zu nehmen weiß! Und vielleicht ist Schaumlöffel gerade der Mann, der das versteht!“ ruft der entzückte Papa.

„Sie hat sich in ihn verliebt, weil er ihr keine Artigkeiten sagt, wie die Andern, was sie langweilt,“ bemerkt Mama. „Wer weiß, ob er sie nicht sitzen läßt! Ehe der einmal zum Aussprechen kommt, hat’s gute Weile … Er wird sich auf den Anfang besinnen, bis wir uns wieder eingeschifft haben!“

„Was doch nur ein Beweis für die Ehrenhaftigkeit seines Charakters ist.“

„Was mir nur ein Beweis ist, daß er sich vielleicht für zu vornehm hält, Lucie zur Frau zu nehmen … Still! Hier giebt’s nichts zu entschuldigen! Ich meine, einem Mädchen wie Lucie gegenüber braucht man nicht den Herablassenden zu spielen. Bei Lucie kann’s Einer wohl darauf ankommen lassen, ob sie ihn will, und nicht umgekehrt thun, als sei es eine besondere Gnade, wenn er sie auserwählt.“

Mr. Dunby greift nach seinem Hut; er hatte in dieser Sache gethan, was er für seine Pflicht hielt – er wollte sie heut ruhen lassen; morgen war wieder ein Tag, wo man zusehen konnte.

Die Inspicirung der Keller von München erfordert – bei den Männern wenigstens – meist mehr Zeit, als der Besuch der Münchener Kirchen. Dunby kam ziemlich spät vom Hofbräu zurück und war erstaunt, seine Frau noch auf zu finden, was bei ähnlichen Gelegenheiten sonst nicht der Fall war. Sie schien in einem Zustand höchster Erregung. Seine erste Frage war deßhalb nach Lucie. Was konnte Vater oder Mutter Dunby auf dieser Welt auch aus dem gewohnten Geleise bringen, außer einer Sorge, die mit diesem lieben Kinde zusammenhing!

„Lucie ist auf ihrem Zimmer.“

„Leidend?“

„Wahrscheinlich – obwohl …“

„Um Himmelswillen, hast Du nach dem Arzt geschickt? Du bist nicht bei ihr? …“ Er wollte nach der Thür …

„Geh’ nicht! Sie hat kein Fieber …“

„So sprich nur endlich, Karoline! Es ist um rasend zu werden! – Was giebt’s denn, Du hast ja eine Jammermiene?“

„Schaumlöffel hat sich verlobt …“

„Mit Lucie? heimlich …“

„Mit einem Fräulein – was weiß ich oder wird sich morgen verloben … diese Schmach!“

Dunby sinkt auf einen Stuhl. „Und Lucie?“ stöhnte er – „Lucie?“

„Sie glaubt es einfach nicht! Sobald wir nach Hause kamen, nahm ich sie natürlich vor: hat er sich gegen Dich erklärt? – Nein! – Nun, so kann er sich gegen die Andere ja erklärt haben … Nein! – Ach, diese unselige Reise – es ist um schwarz zu werden!“

„Karoline – wenn Lucie nun aber Recht hätte …“

„Bringe mich nicht noch mehr auf! Du hast Dich ja auch hinters Licht führen lassen. Schöne ‚erste Liebe‘! Wahrscheinlich ist er ein Don Juan wie alle Maler. Um Eine hält er an, während er der Zweiten die Kour macht – wer weiß, was mit der Dritten passirt!“

„Unmöglich! Er hing ja gestern nur an ihren Blicken …“

„Vielleicht that’s ihm gestern leid, wo Lucie so besonders hübsch aussah, daß er sich mit der Andern schon so weit eingelassen hatte. Aus den Augen, aus dem Sinn!“

„Verzeih, Karoline – Du bist sehr klug, aber Du bist doch nicht unfehlbar … Wenn es nun bloßes Geschwätz wäre? Man hat vielleicht gehört, Lucie gefiele ihm. Nun will man sie eifersüchtig machen – Neid. vielleicht.“

„Liebes Kind – Mrs. Cartwright, welche die Geschichte erzählte, hat keine Tochter; also war sie nicht interessirt. Sie sprach ganz positiv. ‚Wenn Schaumlöffel nicht schon früher nach‘ … ich vergesse, wie der Ort heißt, in der Nähe hier … ‚gegangen ist,‘ sagte sie, ‚so geht er sicher heut hin. Dort ist die Betreffende bei Verwandten; da wird die Verlobung gefeiert.‘ Natürlich ließ ich mir nichts merken und fragte dann nur so unter der Hand, ob’s außer dem berühmten Schaumlöffel vielleicht noch einen andern Schaumlöffel gebe – einen Bruder? – Nein.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 871. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_871.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2023)