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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

spazieren gehen oder den Rundgang auf den Thürmen machen. Diese Vergünstigungen wurden später gänzlich aufgehoben. Jeder Gefangene durfte nur eine Stunde auf dem Hofe verweilen, bis er von einem anderen abgelöst wurde. Und dabei war er, wenn es sich gerade so traf, der größten Hitze und Kälte ausgesetzt. Düstere fensterlose Mauern umgaben ihn; sein Blick fiel auf die Schloßuhr, deren Zifferblatt ihn an sein trauriges Schicksal erinnerte; denn als Zierat waren an ihm zwei am Halse, um den Leib, an den Händen und an den Füßen mit Ketten belastete Figuren angebracht, Ketten, welche guirlandenförmig um das Gehäuse herumliefen. Wenn irgend ein Fremder, ein Beamter, ein Arbeiter über den Hof kam, so mußte der spazierengehende Gefangene in dem sogenannten „Kabinet“ verschwinden, einem engen Gang in einer der Verbindungsmauern zwischen den Thürmen. Der Posten rief ihm zu: „Ins Kabinet“, und dieser Ruf ertönte oft genug; ja wenn der Gouverneur ein Essen gab und die Bedienten über den Hof hin und her laufen mußten, um die Gerichte aus der Küche zu holen, so wurden diese Spaziergänge im Hofe überhaupt untersagt. Die Hausordnung war immer strenger geworden, besonders im 18. Jahrhundert. Früher lud der Gouverneur oft die vornehmen Gäste in der Bastille zu Tisch; die Gefangenen durften sich gegenseitig besuchen und empfingen von außen Besuche mit größter Leichtigkeit. Die Liebesabenteuer, die in der Bastille spielten, gehören nicht bloß dem Bereiche romanhafter Erfindung an; dagegen hat sich Vieles nicht bestätigt, was von den schauerlichen Geheimnissen der Bastille berichtet wurde: so die Angabe, es hätten sich Käfige aus eisenbeschlagenen Balken dort befunden, die acht Fuß lang und sechs Fuß breit waren; ebenso gab es dort nicht die „Oublietten“, Gefängnißräume, in denen die Opfer gänzlich der Vergessenheit anheimfielen. Vielleicht hatte Ludwig XI., einer der grausamsten Despoten aller Zeiten, sie in der Bastille wie in seinem Schlosse Duplessis-les-Tours eingerichtet; denn von ihm erzählen allerdings die Geschichtschreiber, daß er die Prinzen von Armagnac in den Verließen der Bastille vergraben, daß er in der Mitte der letzteren einen umgekehrten Kegel oder Zuckerhut hatte aushöhlen und ausmauern lassen, so daß das unglückliche in die Tiefe herabgleitende Opfer keinen Stützpunkt und keine Ruhe finden konnte. Zur Erholung wurde es dann zweimal in der Woche ans Licht hervorgezogen, in Gegenwart des Gouverneurs ausgepeitscht, wobei man ihm nach jedem Monat ein oder zwei Zähne ausriß. In späterer Zeit gab es solche Oublietten aber nicht mehr; bei der Einnahme, der Durchsuchung, dem Abbruche der Bastille fand sich keine Spur davon.

Doch wenn auch diese Käfige und Oublietten der geschichtlichen Forschung nicht Stand halten, so gab es doch noch genug des Schrecklichen, was die düstern Mauern und Thürme in sich verbargen. Da waren zunächst die Verließe, die 19 Fuß unter dem Niveau des Hofes und fünf Fuß unter dem Wasserspiegel des Wallgrabens lagen: sie hatten keine andere Oeffnung, als eine schmale Schießscharte, die auf diesen Graben hinausging. Ohne Luft und Licht, in Schlamm gebettet, in dem sich Ratten, Kröten und Spinnen tummelten, waren die zu längerer Haft verurtheilten Opfer hier unrettbar dem Untergange verfallen. Doch in der Regel wurden dort nur Gefangene untergebracht, die man schrecken wollte: es waren Folterkammern; um aus ihnen erlöst zu werden, pflegten Diejenigen, die bis dahin am hartnäckigsten schwiegen, ihre Mitschuldigen zu nennen. Lange Zeit hindurch bestand auch eine wirkliche Folterkammer in der Bastille: man zeigte hier denen, die, weil sie die erwünschten Aussagen weigerten, zur Folter verurtheilt wurden, zunächst der Reihe nach alle Instrumente, erklärte ihnen umständlich den Gebrauch der Kette, der Schienen, der Stricke und schilderte ihnen die kaum erträglichen Schmerzen, die sie hervorriefen, das Zerreißen der Sehnen, das Knacken der Knochen, um die Halsstarrigen willfährig zu machen. Neben den „Verließen“, cachots genannt, waren die „Mützen“ (calottes), die Zimmer im obersten, fünften Stockwerke, die an die venetianischen Bleikammern erinnerten: so unerträglich war die Hitze im Sommer. Als Fenster dienten ehemalige Schießscharten in den sechs Fuß dicken Mauern; natürlich ließen sie nur wenig Licht herein, weil sie nach außen zu sich immer mehr verengerten. Dasselbe war auch bei den Fenstern der Fall, mit denen die Gefängnisse in den andern Stockwerken ausgestattet waren; diese, meist unregelmäßige Vielecke, hatten 15 bis 16 Fuß Durchmesser und 15 bis 20 Fuß Höhe. Jede Zelle war mit zwei starken dicken Thüren verschlossen, deren schwere Riegel und gewaltige Schlösser beim Oeffnen und Schließen einen durch den ganzen Thurm dröhnenden Lärm machten. Solche Thüren waren auch bei den Eingängen zu den Thürmen und auf den Treppen angebracht. Nach zuverlässiger Angabe waren sechs Schlüssel für jedes Gefängniß und jeden Thurmeingang und einer zu jedem Verließ erforderlich: das macht für zwei Thüren zu je fünf Gefängnissen, einem Eingang und einem Verließ 80 Schlüssel. Man kann sich denken, welchen gewaltigen Schlüsselbund jeder dieser Schließer mit sich herumzuschleppen hatte. Es waren übrigens die einzigen mitleidigen Wesen in der Bastille: sie kamen mit den Gefangenen in nähere Berührung, waren auch in der Regel deren Vertraute und hörten ihre Klagen mit an. Da sie schlecht besoldet und von ihren Oberen schlecht behandelt wurden, von den Gefangenen aber eine Belohnung erwarten durften, weil sie nie wußten, ob die Haft derselben auf dem Blutgerüste oder im Ministerium endete, erwiesen sie sich bei Gelegenheiten gern gefällig; auch hatten sie etwas mehr Herz als die gemeinen Soldaten, die blindlings den Befehlen ihrer Vorgesetzten gehorchten, oder als der Stab der Officiere, die sich meistens hartherzig und grob zeigten. Da den Schließern der Abhub der Tafel zukam, so hatten sie dasselbe Interesse wie die Gefangenen daran, daß die Kost derselben nahrhaft und reichlich bereitet wurde. So untergeordnet ihr Amt war, so mußten sie doch auch, um es zu erhalten, dieser oder jener einflußreichen Person ein Geschenk machen. Ohne Geschenke und Bestechungen gab es überhaupt kein Amt in der Bastille. Der letzte Gouverneur derselben, de Launay, hatte seine Stelle für einen ziemlich hohen Preis erkauft; freilich war mit derselben ein Gehalt von 60 000 Livres verbunden.

Wir haben aus der reichen Fundgrube von Mittheilungen, welche das Werk von Linguet über die Einrichtungen der Bastille bringt, einige hervorgehoben, die besonders geeignet sind, uns ein Bild dieser verhaßten Zwingburg zu geben. Linguet selbst erklärt, es habe in der ganzen Welt nie etwas gegeben, was der Einrichtung der Bastille gleichkomme; es existire keine Nation, die gebrandmarkt wäre durch die Schmach und Ungeheuerlichkeit eines stets geöffneten Abgrundes, der Menschen verschlinge, nicht um sie zu strafen, sondern um sie zu quälen, eines politischen Fegefeuers, wo wegen der geringfügigsten Vergehen und oft sogar über die Unschuld nach Willkür die Strafen der Hölle verhängt wurden. Er betrachtet die schlimmsten Staatsgefängnisse des Alterthums, das Ohr des Dionysius, diejenigen der Neuzeit, wie das Schloß der sieben Thürme in Konstantinopel: überall hier waltete eine Art von Justiz; nur in die Bastille wurden die Opfer durch einen willkürlich ausgestellten Verhaftsbefehl, eine lettre-de-cachet geworfen und mußten oft Monate lang auf Untersuchung warten; oft kam es überhaupt nicht zu einer solchen. Ein großer Theil dieser Staatsgefangenen wurde verhaftet, um sie dem Richterspruch eines ordentlichen Gerichts zu entziehen; die Dauer der Haft hing vom Belieben des Königs und seiner Minister ab. Andere allerdings sperrte man in die Bastille, um ihnen den Proceß zu machen: einige wurden vor einen regelmäßigen Gerichtshof verwiesen, viele ganz plötzlich aus Untersuchungsgefangenen ohne Recht und Urtheil in Strafgefangene verwandelt.

Die Bastille fiel am 14. Juli 1789 in die Hände der Aufrührer, im ersten Freiheitsrausch, der die Nation ergriffen; es waren nicht bloß die Männer und Frauen des Volks, unter ihnen die verwegene Amazone, Théroigne von Mericourt, welche in ihre Höfe eindrangen: es waren die französischen Garden, in Paris stehende Regimenter, welche unter dem Befehl ihrer Sergeanten und Korporale sich an dem Angriff auf die alte Zwingburg betheiligten. Eigentlich erstürmt wurde dieselbe nicht: nachdem die erste Brücke genommen, der erste und zweite Hof von den Aufständischen besetzt worden war, nachdem hier das Musketenfeuer der Angreifer und Vertheidiger gewüthet und auch das eine Geschütz der Bastille einen Kartätschenhagel auf die Andringenden ausgeschüttet, während die französischen Garden aus mehreren Geschützen die Feste beschossen, wurde zuletzt die weiße Fahne herausgesteckt, und als diese von den Angreifern wenig beachtet wurde, durch eine Schießscharte von einem Offieier der Entwurf einer Kapitulation herausgereicht, die von den Führern der Bewegung angenommen wurde. Darauf öffnete sich das Thor zum inneren Hof der Bastille: das Volk stürzte sich auf die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 876. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_876.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2023)