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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Nun schaute er wieder nach dem Kinde hin, dessen Aeuglein jetzt geschlossen waren, obwohl es noch immer nicht schlief. Denn gar zu lebendig lächelte das hübsche liebe Gesichtchen. Leise fuhr Weber fort:

„Engel vom Himmel, so lieblich wie du,
Schweben ums Bettchen und lächeln dir zu.
Später zwar steigen sie auch noch herab,
Aber sie trocknen nur Thränen dir ab!“ –

„Er schläft,“ murmelte er, sich nach den Augen fahrend, denn bei der letzten Verszeile war es ihm ganz sonderbar zu Muthe geworden. Er hatte im Geiste die eigene, ahnungsvoll ersehnte Gattin an der Wiege seines Kindchens gesehen, das sie mit dem Liede in Schlummer sang und wiegte! Und er sang leise die Schlußstrophe:

„Schlaf’, Herzenssöhnchen, und kommt gleich die Nacht,
Sitzt deine Mutter am Bettchen und wacht,
Sei es so spät auch und sei es so früh,
Mutterlieb’, Herzchen, entschlummert doch nie.“

„Doch nun rasch die Melodie festgehalten,“ rief der Tondichter in ihm, und in wenigen Augenblicken war die glückliche und gar liebliche Melodie notirt. Unter die flüchtigen Noten schrieb Weber noch hastig:

Erhalten und komponirt 1810, 13. September in
Frankfurt am Main
.“

Da schlug es fünf Uhr, und zugleich stapfte die Wärterin die Treppe herauf und athemlos ins Zimmer hinein: sie habe die Madame weder auf dem Klapper- noch auf dem Galgenfelde gefunden, keuchte sie, sich entschuldigend. Doch Weber hörte sie bereits nicht mehr, er war mit einem Abschiedsblick auf den hübschen Kleinen davongelaufen und eilte dem Theater und der Generalprobe zu.

„Und müssen auch für Sonntag meine Silvana-Arien fallen,“ sagte er sich, „so habe ich dadurch doch ein Lied für das Volk – und die Meinigen – gewonnen, das vielleicht mehr werth ist als die prunk- und kunstvollste Opern-Arie.“

*  *  *

Am folgenden Sonntag, den 16. September, stieg Nachmittags drei Uhr, wie angekündigt, Madame Blanchard mit ihrem Ballon in die Lüfte, und „ganz Frankfurt“ wohnte dem seltenen, damals unerhörten Schauspiel bei; um sieben Uhr Abends fand die erste Aufführung von Karl Maria von Weber’s Oper „Silvana“ vor leerem Hause statt und, wie Musikdirektor Schmitt angedroht hatte, mit Hinweglassung sämmtlicher Arien! Dennoch gefiel Weber’s Werk und machte von Frankfurt aus die Runde über die meisten deutschen Bühnen – um dann der Vergessenheit zu verfallen und nach 75 Jahren in erneuerter Form wieder aufzuleben.

Madame Blanchard wagte mit ihrem Ballon noch manchen kühnen Flug in die Lüfte, bis sie endlich denn doch allzuviel und das Allergefährlichste wagte. Am 17. Juli 1819 machte sie in Paris ihre 67. Auffahrt und brannte hoch oben in der Luft ein Feuerwerk ab. Das kostete ihr das Leben. Ihr Ballon verbrannte, und sie selbst stürzte aus furchtbarer Höhe auf die Dächer von Paris, dann zerschmettert auf das Straßenpflaster nieder. – Auf dem Père-Lachaise erhebt sich, mitten unter den letzten Ruhestätten der berühmtesten Komponisten Frankreichs, ihr prunkvolles Grabmal: eine Säule, gekrönt mit einem die Erdkugel darstellenden Ballon, aus dem eine Flamme emporsteigt, die Art und Weise ihres entsetzlichen Todes andeutend.

Und Karl Maria von Weber’s Wiegenlied? Es ist eines der volksthümlichsten Lieder unseres herrlichen Meisters geworden und geblieben! Die geträumte Gattin, welche er, wie er damals noch nicht ahnte, in der Frankfurter Darstellerin seiner „Silvana“ finden sollte, sang es den eigenen Kindern vor. Und welche deutsche Mutter hat es in früheren Jahren nicht ihren Kleinen an der Wiege gesungen? – Noch nach fast sechzig Jahren erinnere ich mich lebhaft des Eindrucks, den das sinnige, liebliche Lied auf mich machte, wenn meine theuere, unvergeßliche Mutter es den jüngeren Geschwistern an deren Bettchen sang, und später sang es meinen eigenen Kindern die Mutter. Es wird mit den andern Liedern und Weisen unseres unsterblichen Meisters in seiner Einfachheit fortleben und tönen – mindestens so lange wie die Weisen derjenigen Werke, welche die Jetztzeit als unübertreffliche preist!


Blätter und Blüthen.

Vom Weihnachtsbüchertisch. Eine Zahl von Prachtalbums und elegant eingebundenen Dichtwerken hat sich wieder auf unserem Büchertisch eingefunden und harrt der Beleuchtung durch die Kerzen des Christbaums. Zum ersten Male ist eine Berliner „Bunte Mappe“ (München 1886, Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft“) erschienen, welche den bisher so beliebten Münchener „Bunten Mappen“ Konkurrenz macht. Da sehen wir die Berliner Künstler im Verein thätig, in Genre- und Stimmungsbildern, in Portraits und Studienköpfen, in Erinnerungsblättern jeder Art die künstlerische Leistungsfähigkeit der Reichshauptstadt zu bewähren. Da fehlt weder Ludwig Knaus, der uns einen genügsamen Weltbürger mit köstlichem Humor zeichnet, noch Adolf Menzel, der in „Der Stickkünstler“ ein mit großer Feinheit ausgeführtes Erinnerungsblatt an die japanische Gesandtschaft giebt, noch August von Heyden („Im Frühling“) und Paul Thumann („Frühlingsblumen“) mit ihren stimmungs- und deutungsvollen Gestalten und Gruppen. Von Hermann Prell’s Fresken im Rathhaussaale zu Worms erhalten wir eine charakteristische Probe; Anton von Werner führt uns militärische Gestalten aus der Zeit des alten Fritz und der Gegenwart vor: wir können nicht alle die originellen und anziehenden, oft mit vielem Humor ausgeführten Bilder namhafter Meister und strebender Talente hier erwähnen. Auch der Berliner Parnaß ist in den Texten ziemlich vollzählig vertreten; es wechseln Gedichte, Humoresken, Novellen; da fehlt kein Name von Spielhagen und Lindau, Rodenberg und Ring, Elisabeth Werner und Julius Wolff, Hans Hopfen und Hermann Heiberg, bis zu den Jüngeren, die strebend sich bemühen, wie Karl Bleibtreu.

In einer illustrirten Prachtausgabe ist Rudolph Baumbach’s „Truggold“, eine Erzählung aus dem 17. Jahrhundert, erschienen (Berlin, Albert Goldschmidt). Diese Erzählung ist in Prosa geschrieben: man vermißt ungern die schalkhaften Verse des Dichters; doch dem Illustrator giebt sie in Genrebildern und Liebesscenen und durch charakteristische Gestalten reichlichen Stoff, welchen Philipp Grot Johann mit Geschick verwerthet hat.

Auch ein älterer Dichter, Freiherr von Eichendorff, der einige unvergängliche Lieder gedichtet, die mit ihrem stimmungsvollen Reiz sich im Herzen unseres Volkes eingebürgert haben, erscheint auf dem Weihnachtsbüchermarkte mit einem größeren Werke: „Aus dem Leben eines Taugenichts“, von welchem die Amelang’sche Verlagsbuchhandlung in Leipzig eine illustrirte Prachtausgabe erscheinen läßt. Die Ausgabe ist mit 38 Heliogravüren nach Originalen von Philipp Grot Johann und Professor Edmund Kanoldt ausgestattet. In dieser Novelle überwiegt das lyrische Element; sie enthält einige der schönsten Eichendorff’schen Lieder; es ist natürlicb, daß auch die Illustrationen diesen Charakter tragen, und wenn es auch nicht an einigen genrehaften Situationsbildern fehlt, so sind doch die überwiegende Mehrzahl der Zeichnungen landschaftliche Stimmungsbilder, auf denen der träumende Taugenichts bisweilen nur Staffage ist. Die Zeichnungen haben zum Theil einen sonst nur durch den Pinsel zu erreichenden lyrischen Reiz.

Zu dem deutschen Roman, welcher maßgebend geworden ist für deutschhistorische Romandichtung aus älterer Zeit: Scheffel’s „Ekkehard“, jedenfalls der werthvollsten Dichtung, welche der Autor hinterlassen, sind Bilder mit erklärendem Text erschienen (München, Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft). Die Bilder, die sich durch anmuthige Auffassung der Hauptfiguren auszeichnen, bisweilen wie „die Hunnenschlacht“ größere Tableaus bieten, bisweilen einen schalkhaften Humor athmen, wie Rudimann und Kerhildis, sind von den Malern J. Benczur, W. Dietz, C. Grützner, J. C. Herterich, L. Hofmann-Zeitz, von A. Liezen-Mayer und G. Max, die Textillustrationen von O. Seitz gezeichnet, während Ludwig Fulda den Text und die theils biographische, theils die Dichtung erläuternde Einleitung mit gewandter Feder verfaßt hat.

Im Verlage von F. Cavael in Leipzig ist ein duftiger, aus Liedern und Bildern gebundener Blüthenstrauß neuer Lyrik erschienen unter dem Titel „Ein Frauenherz“. Frida Schanz, welche durch anmuthige Verse einst die Preisrichter so bestochen hat, daß sie dieser Musenjüngerin den ersten Preis für das beste Studentenlied zuertheilten, hat ein sehr hübsches einleitendes Gedicht zu diesem Album verfaßt. Die biographischen Notizen, welche den einzelnen Gedichten vorausgeschickt sind, zeichnen sich durch knappe und doch bezeichnende Form im Lebensabriß und im kritischen Urtheil aus. Die Zeichnungen von Richard Gutschmidt schließen sich mit Bezug auf Weichheit des Tons an die Thumann’sche Richtung an; die Auswahl der illustrirten Gedichte wurde durch die Tendenz der Sammlung und die Eigenart des illustrirenden Künstlers bestimmt.

Mächtig treten uns „Richard Wagner’s Heldengestalten“ in 18 Portraitbildern entgegen, welche im Verlage von Edwin Schloemp in Leipzig erschienen sind. Den erläuternden Kommentar zu den einzelnen Bildern hat Hans von Wolzogen geschrieben, einer der eifrigsten und kundigsten Wagnerianer; die Bilder, nach Originalphotographien in Autotypie von Angerer und Göschl in Wien sind nach den Masken der namhaftesten Wagner-Sänger entworfen und sind, wie das von solchen Künstlern zu erwarten ist, durchaus charakteristisch für die von ihnen ins Leben gerufenen Gestalten. Da sehen wir den „Rienzi“ des Tichatschek, den „Fliegenden Holländer“ des Max Staegemann, den „Tannhäuser“ des Ant. Schott, den „Lohengrin“ des Emil Goetze, den „Siegmund“ Albert Niemann’s, den „Tristan“ Heinrich Vogl’s, den „Parcival“ von Heinrich Gudehus, den „Gurnemanz“ von Emil Scaria etc. Das „Vorwort und die Erklärungen“ von Hans von Wolzogen sind in dem bekannten schwunghaften Stil dieses Autors gehalten, der auch den einzelnen Sängern gerecht wird.

Daß der Berliner Humor nicht bloß von neuem Datum ist, daß er schon zur Zeit des Eckenstehers Nante und vor derselben blühte: das beweist die mit 23 Tafeln in kolorirtem Lichtdruck ausgeführte Mappe „Berliner Humor vor 50 Jahren“. Nach Zeichnungen von B. Dürbek (Berlin, Mitscher und Röstel): man wird sich an manchen dieser drolligen Bilder ergötzen. Der Berliner Witz war damals harmloser, aber nicht minder schlagend.

Die „Worte der Weisen aus allen Völkern und Zeiten“, welche K. Hertz im Verlage von Gebrüder Kröner in Stuttgart herausgegeben hat, verfolgen den Zweck, „dem gebildeten Publikum eine gedrängte Auswahl aus den schönsten und tiefsinnigsten Gedanken der Weltlitteratur, soweit dieselben in spruchartig abgeschlossener Form gefaßt sind, vorzuführen“. Dieser Aufgabe ist der Verfasser vorzüglich gerecht geworden. Aus der reichen Fülle des Spruch- und Sentenzenschatzes aller Völker und Zeiten hat er mit kundiger Hand das Beste und Prägnanteste ausgewählt, die deutschen Sprüche und Sentenzen nach den verläßlichsten Quellen. Die fremdländischen Citate sind nach anerkannt guten Uebertragungen oder, wo solche nicht vorhanden, in trefflicher, eigener Verdeutschung gegeben. Insbesondere aber unterscheidet sich die vorliegende Sammlung von anderen ähnlichen durch genaue Angabe der Quelle bei jedem einzelnen Spruche, und das ist ein Vorzug, der sicher allgemeine Anerkennung finden wird.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 883. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_883.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2023)