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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

ich bin Dir nicht böse; ich habe Dein Kind lieb, wenn Du mich auch schlecht behandelst.“ Indeß, das Unglück schläft nicht, sagt ein Sprichwort. Die Thür öffnete sich weit, und auf der Schwelle stand mit großen verwunderten Augen – Mama Gretchen.

„Ich dachte es mir schon,“ sagte meine Frau; „wenn ich nicht im Hause bin, passirt immer etwas. Fort!“ rief sie zornig, und der kleine vierbeinige Eindringling fuhr scheu mit eingezogener Ruthe an ihr vorüber und hinaus.

Aber siehe da! Das Fräulein Tochter brach im nämlichen Augenblicke in ein ohrenzerreißendes Geschrei aus und rutschte zur Thür hin. Mama hob sie vom Boden auf, aber sie brüllte weiter; zuletzt drohte sie gar auszubleiben und wurde blau im Gesichte. Mama und Wärterin klopften sie auf den Rücken.

„Elschen! Elschen! Ei, ei – sieh’ mal hier!“ – Das Schreikindchen wurde ans Fenster getragen; es wurde an die Scheiben geklopft, daß ich glaubte, sie würden zerspringen, die Puppe wurde ihr vorgehalten – umsonst, umsonst.

Ich flüchtete eilends hinaus, öffnete Männe, der wie ein armer Sünder im Entrée saß, die Treppenthür, und wie ein Pfeil schoß er hinunter. Armer Kerl!

Mama und Tochter blieben verstimmt den Rest des Tages; die Wärterin ging mit rothgeweinten Augen umher; sie war als eine unzuverlässige Person bezeichnet worden.

„Warum kamst Du denn so früh zurück, Grete?“ fragte ich beim Abendessen.

„Mich hatte eine sonderbare Unruhe erfaßt,“ erwiderte sie und sah an mir vorüber.

„Du ahmmgsvoller Engel, Du!“

„Spotte nur, ich habe nicht Lust, das Kind an Hundewürmern zu Grunde gehen zu sehen.“

„Wie viel tausend Kinder spielen mit Hunden, übertreibe doch nicht,“ sagte ich ärgerlich. „Mit demselben Rechte darfst Du das Kind niemals spazieren tragen lassen aus Furcht, es fällt ihm ein Dachziegel auf den Kopf.“

„Vorläufig liegt der Mutter die Pflege des Kindes ob, und Du verstehst davon nichts,“ erwiderte sie hoheitsvoll. „Ich weiß noch sehr wohl, wie Du den Doktor fragtest, als nicht gleich eine Amme da war, ob wir das Kind nicht mit altem gutem Rheinwein einstweilen aufziehen könnten? Wenn ich es Dir überließe, wäre es in acht Tagen unglücklich oder todt.“

„Bum!“ sagte ich, als sie mit dem letzten grausigen Ausspruche aus der Thür rauschte, und aß allein weiter, und dabei fiel mir ein Vers ein, den ich kürzlich irgendwo gelesen hatte:

„Wer die zarte Myrtenblüthe an dem schwanken Zweige schaut,
Wie sie sanft zum Kranz sich windet um das Haupt der sanften Braut,
Sollte der es möglich glauben, daß sie reift zu harter Frucht,
Als Pantoffel, ungenießbar, bitter, herb und schwer an Wucht?“

Ach, Grete, wo sind die Zeiten geblieben, als Du Männe „ein allerliebstes Thierchen“ nanntest und ihm Halsbänder sticktest?

Und die Zeit ging dahin, es wollte Weihnacht werden. Im Hause war es noch nie so lebendig, so geheimnißvoll, so traut gewesen.

(Schluß folgt.) 


Erfrieren.

Von Geheimrath von Nußbaum in München.

Recht häßliche und unangenehme Zustände, ja sogar schwere Schäden mancher Art entstehen nur deßhalb nach Erfrierungen, weil viele Menschen nicht wissen, wie sie sich davor schützen können. Zarte, weiße Gesichtchen werden jährlich ein paar Mal, gewöhnlich beim ersten Schneefall und vielleicht auch im Hochsommer von einer rothen, glänzenden Nase verunstaltet; manche nette Hand weist zu diesen Zeiten blaurothe geschwollene Finger auf – Alles nur, weil man sich in frühester Jugend bei Erfrierungen recht unzweckmäßig benommen hat und Niemand bessere Rathschläge zu geben wußte. Bei falscher Behandlung werden Frostbeulen sehr unangenehm und führen zum Verlust einer oder mehrerer Zehen durch Brand, und ein solcher Vorgang kann sogar das Leben in Gefahr bringen, wie wohl mancher Jagdfreund weiß.

Wenn uns bei großer Kälte schwächende Einflüsse treffen, so können wir auch scheintodt einschlummern, um vielleicht nie mehr zu erwachen.

Kein Mensch weiß, in welche Verhältnisse er kommen kann. Die muthigen Soldaten, welche mit Napoleon I. das brennende Moskau verließen, hatten wohl, so lange sie in dem sonnigen Frankreich waren, nie daran gedacht, daß sie auf russischen Schneebänken ausruhen und in einen Schlaf verfallen würden, der nie mehr endet. Gar Mancher von ihnen hätte vielleicht sein Leben gerettet, wenn er jemals von einigen nützlichen Vorsichtsmaßregeln für solche Zufälle gehört hätte.

Viele meinen, wenn sie recht kräftige Spirituosen trinken würden, könnten sie der Kälte leichter Widerstand leisten; allein dieser Rath ist nicht sehr vertrauenerweckend. Erhöhen wir auch durch einen erhitzenden Trunk die Thätigkeit mancher Organe, so ist nicht zu vergessen, daß das Trinken der Spirituosen Blutandrang nach dem Gehirn verursacht und daß auch die Kälte das Blut von der Haut nach den inneren Organen und vorzüglich nach dem Gehirn hintreibt. Starkes Trinken muß also die Hirnkongestionen, welche in großer Kälte entstehen, erst recht begünstigen.

Gute Ernährung, eine gewisse Abhärtung, ein energischer Charakter und ein gesundes Herz sind die besten Schutzmittel gegen das Unglück des Erfrierens.

Enge anschließende Kleider, welche den Kreislauf des Blutes beeinträchtigen, und naßkaltes, windiges Wetter soll man, wenn möglich, ängstlich vermeiden.

Es existirt bei vielen Menschen und sogar bei einigen Aerzten der Glaube, daß man sich nur dann die Glieder erfriert und nur dann in Lebensgefahr kommt, wenn man zu rasch vom Kalten in die Wärme gebracht wird. Die Meisten meinen, wenn man mit dem Erwärmen recht vorsichtig und langsam zu Werke geht, ließe die Kälte nie einen bleibenden Schaden für unsern Körper zurück.

Es ist auch ganz zweifellos, daß das rasche Erwärmen recht gefährlich und daß an der richtigen Pflege der Erfrorenen sehr viel gelegen ist; denn die Erfahrung zeigt, daß die Einen ihre erfrorenen Glieder bald zur Heilung bringen und nie wieder davon geplagt werden, während Andere alle Jahre ein paar Mal daran zu leiden haben. Allein man muß doch zugeben, daß sehr große Kälte schon allein, ohne nachfolgende verderbliche rasche Erwärmung, auch genügt, um schwere Leiden hervorzurufen.

Einen großen Einfluß übt hierbei die Individualität aus. Werden grelle, rasche Uebergänge vom Warmen ins Kalte und vom Kalten ins Warme vermieden, so kann ein gesunder Mensch allerdings sehr hohe Kältegrade ohne Schaden aushalten, namentlich wenn er geistig erregt, energisch, thätig, muskelkräftig ist und einen gesunden Herzmuskel, das heißt einen regelmäßigen, kräftigen Puls, hat.

Temperaturen, bei welchen Weingeist und Quecksilber gefrieren, erträgt noch der gesunde Mensch. So ist es z. B. bekannt, daß Theilnehmer einer Nordpolexpedition 50 Grad unter Null schadlos ertrugen. Bei noch höheren Kältegraden würde aber wohl jeder Mensch Schaden erleiden.

Hingegen kommt es oft vor, daß schon bei ganz mäßiger Kälte, wenn der Thermometer nur einige Grade unter dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 892. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_892.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)