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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

ihm durch Sprachrohre zuriefen: Latréaumont ist todt und hat nichts ausgesagt! Doch er verstand sie nicht und ließ sich durch einen der Untersuchungsrichter bestimmen, unter dem Versprechen, der König werde ihn begnadigen, das Geheimniß auszuplaudern. Doch der König erfüllte das Versprechen nicht, das Bezons in seinem Namen gegeben: Rohan wurde hingerichtet, mit ihm mehrere Mitschuldige, auch eine Frau de Villars, die Tochter eines Pariser Parlamentsrathes.

Ein bedauernswerthes Opfer der Kriminaljustiz, das ebenfalls aus der Bastille auf das Schafott stieg, war Graf Arthur de Lally, Generallieutenant, am 1. November 1762 zu Fontainebleau verhaftet: er wurde der Regierung als die einzige Ursache des Verlustes sämmtlicher französischer Niederlassungen in Ostindien geschildert. Lally war gegen die Habsucht der französischen Beamten in Ostindien mit Energie eingeschritten, ein edler Mann, der in Folge schändlicher Kabalen gestürzt wurde. Die Scenen, die seiner Hinrichtung im Jahre 1766 vorausgingen, gaben ein Vorspiel der Grausamkeiten, deren sich später die französische Revolution schuldig machte: sie zeigten, daß die Monarchie den Schreckensmännern vorgearbeitet hatte. Lally mußte niederknieen, als ihm der Gerichtssekretär das Todesurtheil las. Gleich darauf versuchte er sich zu tödten, indem er einen unter seinem Rockärmel versteckten eisernen Zirkel hervorzog und sich denselben unterhalb des Herzens in die Seite stieß. Die Anwesenden stürzten herbei und hielten ihm den Arm fest, den er bereits zu einem zweiten Stoße erhoben hatte. Er wurde dann auf einem Schubkarren auf den Richtplatz gefahren, und da man verhüten wollte, daß er sich, wie die Neger, mit der Zunge erwürgte, legte man ihm einen Knebel an. Bei der Hinrichtung verfehlte der junge Samson den Hals und hieb dem Delinquenten bloß den Schädel ab. Der geschicktere Vater des Sohnes stieß diesen bei Seite und trennte mit einen wuchtigen Hiebe das Haupt vom Rumpfe. Die englische Presse sprach ihre Entrüstung über diese Rohheiten und Grausamkeiten unverhohlen aus; das Beispiel aber, welches das Königthum durch die Hinrichtung unglücklicher Generale gegeben, war für die Republik nicht verloren: wie viele derselben traf später das Messer der Guillotine!

Lange Zeit bewohnte die Bastille auch Fouqnet, Generalintendant der Finanzen und Staatsminister, der am 5. September 1661 in Nantes von d’Artignan und einer großen Zahl von Musketieren verhaftet worden war. Diese begleiteten ihn 1663 auch in die Bastille und bezogen täglich die Wachen des Schlosses. Fouquet gehörte nicht zu denen, die ohne Grund und Recht eingekerkert wurden: er hatte jahrelange Verhöre zu bestehen, die sich auf die großartige Veruntreuung anvertrauter Staatsgelder bezogen. Binnen zwei Jahren hatte er achtzehn Millionen für seinen Haushalt bezahlt: er war ein galanter Herr und unter seinen Briefschaften fanden sich Billets-doux sehr angesehener Damen, unter denen selbst Frau Scarron, die spätere fromme Madame Maintenon, nicht fehlte.

Studirt man das Verzeichniß der Gefangenen der Bastille, so sieht man, daß die große Mehrzahl derselben wie Voltaire wegen der Beleidigung hochgestellter Personen, wegen unverschämter Reden, Abfassung oder Verbreitung staats- und sittengefährlicher Bücher, besonders aber der Religion wegen dort eingesperrt worden war: man brauchte nicht gerade sich frivoler Angriffe auf den Glauben schuldig gemacht zu haben; es genügte, wenn man Jansenist oder des Jansenismus verdächtig war. Wegen des Antheils am Druck, ja selbst wegen der Broschirung ketzerischer oder unsittlicher Schriften wurden Männer und Mädchen in die Bastille gesteckt. Neben den meist harmlosen Kolporteusen und Broschirerinnen wurden dort freilich auch recht boshafte Pasquillschreiberinnen eine Zeit lang unschädlich gemacht: eine der verrufensten war Madame Gotteville, die im Jahre 1780 dort gefangen saß. Sie war die Frau eines Marineofficiers, wegen ihres Geistes und Wissens sehr gesucht in den Kreisen der Hauptstadt und eine Vertraute des Polizeidirektors Le Noir, der von ihr Manches erfuhr, was ihm für sein Amt von Wichtigkeit war. Doch Frau Gotteville war von einer unglaublichen Sorglosigkeit in ihren Angelegenheiten. Heute bewohnte sie ein prächtiges Hôtel, morgen eine elende Spelunke; heute hatte sie vier Bediente zu ihrer Verfügung, morgen nicht einmal eine Kammerfrau. Wenn die Gläubiger ihr auf den Fersen waren, machte ihr Arzt für sie als Bettelbruder eine Runde bei der Polizei und ihren Freunden und kam in der Regel mit einigen fünfzig Louisd’or zurück. Als alle diese Hilfsquellen erschöpft waren, zog sie Beaumarchais, einen ihrer Freunde, ins Geheimniß und entfloh mit seiner Hilfe nach Holland. Madame Gotteville ließ sich im Haag nieder, nachdem ihr Beaumarchais von Seiten ihrer Verwandten eine Pension ausgewirkt hatte. Sie schaffte sich dort eine Druckerpresse an, um ungenirt boshafte Pasquille veröffentlichen zu können. Alle Unterstützungen reichten nicht aus für ihre Bedürfnisse und Le Noir mußte ihr sechstausend Livres schicken, die er aus der Polizeikasse nahm. Nochmals konnte sie sich an diesen freigebigen Beschützer nicht wenden; so schrieb sie an einen anderen Freund, den Herzog von Richelieu: ihr fehle es an Existenzmitteln und es bliebe ihr nichts mehr übrig, als die „neunundsiebzig Abenteuer Methusalem’s“ zu drucken, ein Werk, das sehr geeignet sei, das Publikum zu ergötzen und ihr Geld einzutragen. Der Herzog wußte sehr wohl, daß er selbst dieser Methusalem sei, und ließ der Dame durch Beaumarchais fünfundzwanzig Louisd’or schenken; sie schrieb ihm dafür eine Quittung, in welcher sie ihm den richtigen Empfang der fünfundzwanzig Louisd’or meldete und zugleich die ganze Verachtung, mit der sie seine ergebene Dienerin sei. Madame Gotteville ist also eine Vorgängerin jener verwerflichen Revolverlitteraten, welche noch heutigen Tages durch Skandalartikel, mit denen sie Privatpersonen bedrohen, schmähliche Erpressungen ausüben. Beaumarchais wollte sie entführen lassen, da sie im Haag zu viele Händel erregte; doch die französische Regierung kam ihm zuvor. Madame Gotteville hatte sich mit einer Frau entzweit, die bei dem französischen Gesandten in Gunst stand, und ein besonderes Pamphlet auf dieselbe veröffentlicht. Der Gesandte beklagte sich in Paris, und mit Zustimmung der holländischen Generalstaaten wurde sie aus dem Haag nach der Bastille geschleppt. Sie hatte gleich eine Zusammenkunft mit Le Noir, und der Polizeidirektor und sein Opfer amüsirten sich aufs Beste durch das munterste Witzgeplänkel. Als aber am nächsten Tage der Polizeisekretär Boucher ihre Papiere und Briefe durchsehen wollte, widersetzte sie sich diesem Vorhaben und verbot ihm, die Korrespondenzen, die sie mit großen Herren geführt, anzurühren. Es kam zu einem lebhaften Streit; Boucher griff trotz ihres Widerspruchs nach einem Briefe: da springt Madame Gotteville von ihrem Sitze auf, stürzt blitzschnell auf ihn los, schlägt ihm die Perücke vom Kopf, versetzt ihm einige zwanzig Fußtritte und eben so viele Faustschläge, rafft ihre Briefe zusammen und wirft sie ins Feuer.

Ein ähnliches Attentat auf die Beamten des Gefängnisses übte Dumouriez aus, der spätere ruhmvolle General der Republik, der Sieger bei Jemappes, der in seinen Memoiren die in der Bastille erlebten Abenteuer erzählt. Sein Schließer war ein riesiger, brutaler Mensch, der keine Gelegenheit versäumte, dem Gefangenen Grobheiten zu sagen. Der kommandirende Major hatte ihm versprochen, die beiden oberen Felder des hohen Fensters mit Papier verkleben zu lassen, da das Zimmer in der regnerischen kalten Jahreszeit ein wahrer Eiskeller war; doch der Glaser kam nicht. Dumouriez fragte den Schließer ganz bescheiden, warum jener ausbleibe. „Ei zum Henker,“ antwortete der Gefragte im brutalsten Ton, „man ist hier noch viel zu milde gegen Dich.“ Dumouriez sieht ihn an, ob er betrunken sei; er überzeugt sich, daß er das nicht ist, und erklärt ihm, er werde sich beklagen. Darauf entgegnet ihm dieser mit Rohheiten und geht auf ihn los; Dumouriez war jenem Koloß nicht gewachsen; doch in seinem Zorn stürzt er nach dem Feuer, ergreift ein brennendes Scheit und versetzt dem Schließer damit einen Schlag vor die Brust. Geschrei und Ringen; die Wache eilt herbei; der Vorfall wird untersucht; der thörichte Schließer gesteht ein, daß er den Gefangenen mit Du angeredet, und soll dafür kassirt werden, wird aber auf Dumouriez’ Fürsprache begnadigt. Ein anderes Mal demolirte dieser seine Zelle, weil er derselben überdrüssig geworden war und man sich weigerte, ihm eine andere zu geben. Die Mauern waren zu dick, um sie einzureißen; die Thüren mit eisernen Bändern und Platten beschlagen; überdies wollte er den Anschein erwecken, als habe er einen Fluchtversuch gemacht. Nun hatte er bemerkt, daß der Boden seines Kamins, auf dem das Feuer ruhte, ein wenig eingesunken war. Dieser Boden bestand aus zwei dicken Steinplatten, die sich in der Mitte des Kamins über einem in Folge der großen Hitze verkohlten Balken zusammenschlossen; er nahm an, daß in dem eingesunkenen

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