Seite:Die Gartenlaube (1886) 913.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Der erste Grad dieser Entzündung macht die Glieder blauroth, violett, geschwollen und glänzend gespannt.

Erfrorene Glieder sind anfangs kalt und schwer beweglich, machen stechende Schmerzen, gerade wie ein eingeschlafenes Glied, namentlich Abends bei naßkaltem Wetter. Im Frühjahr und Sommer verschwindet oft das ganze Uebel, manchmal tritt es aber auch mitten im Sommer wieder auf. Im ersten Winter sind die Schmerzen heftiger als in den folgenden.

Ein zweiter und höherer Grad der örtlichen Erfrierung entsteht, wenn höhere Kältegrade eingewirkt haben oder die Erwärmung noch ungeschickt rascher geschah.

Alle Symptome sind dann heftiger. Die Oberhaut der Finger berstet, und es entstehen schmerzhafte Risse, Blasen und Geschwüre.

Als dritten Grad bezeichnet man jene Erfrierungen, wo das erfrorne Glied entweder sofort brandig wird oder, wenn es sich vorher heftig entzündet hat, in Brand übergeht. Jedoch geht der Brand selten tief, sondern er beschränkt sich meist nur auf die Oberhaut, welche grau, schwarz und trocken wird. Unter diesem oberflächlichen Brand findet man gewöhnlich ein gutartiges heilbares Geschwür.

Thaut ein erfrorenes Glied auf und wird das gefrorene Blut wieder flüssig, so kann das Blut eine Zeit lang in die offenen Gefäße hinein, und es kommt darauf an, ob die Gefäße und Gewebe den Stoffwechsel bewerkstelligen können, oder ob, wie bereits weiter oben angedeutet wurde, das aufgethaute lackartige Blut wie Gift wirkt, Blutgerinsel und Blutstauung begünstigt und durch diesen lokalen Schaden eine mangelhafte Ernährung oder eine Art allgemeiner lebensgefährlicher Vergiftung bringt. Das ist zweifellos der Hauptgrund, warum sich eine rasche Erwärmung erfrorener Individuen wie erfrorener Glieder so gefährlich erweist.

Vor Allem dürfte der beste Rath sein, sich vor Erfrierungen zu bewahren. Wenn man das bisher Erwähnte überblickt, so ist das beste Präservativmittel ein kräftiger, gesunder, gutgenährter Körper mit einem gesunden Herzen.

Ferner wird bei großer Kälte eine vernünftige warme Kleidung zu empfehlen sein, welche nirgends enge ist und die Blutcirkulation nicht beschränkt.

Hellgefärbte Kleider sind wärmer als dunkelgefärbte.

Weiße Kleider sind bekanntlich im Winter am wärmsten und im Sommer am kühlsten; schwarze Kleider hingegen im Winter am kühlsten, im Sommer am heißesten.

Ansicht von Merseburg mit einem Blick auf den Dom.
Nach einer photographischen Aufnahme.

Wollkleider sind natürlich wärmer als Leinen und Seide, welch’ letztere viel bessere Wärmeleiter sind.

Bei recht großer Kälte, namentlich, wenn trockner Wind geht, dürften wollene Handschuhe nicht ganz werthlos sein.

Eine gewisse Abhärtung und das Vermeiden jeder Verweichlichung ist recht zu empfehlen. Gesunde Kinder soll man bei jedem Wetter ausgehen lassen und die Haut derselben durch tägliche kalte Waschungen abhärten.

Werden Kleider und Schuhe bei naßkalter Witterung feucht, so soll man sich, sobald man nach Hause gekommen, umkleiden.

Hat man aber thatsächlich das Unglück gehabt, sich ein Glied zu erfrieren, so daß es blaß, steif, kalt, gefühl- und bewegungslos wird, so vergesse man ja den Hauptgrundsatz nicht und erwärme den erfrornen Theil nicht zu rasch; man reibe das erfrorne Glied in einem ungeheizten Zimmer mit Schnee oder Eis, bis einige Empfindung zurückkehrt; dann reibe man dasselbe mit kaltem Wasser und wickle es zuletzt in feine Leinwandläppchen, welche mit einer Mischung von fünf Theilen Goulardischem Wasser und einem Theil Kamphergeist befeuchtet sind und mit Guttaperchapapier oder Wachstaffet umwickelt und eingebunden werden.

Recht nützlich erweist sich auch, wenn einmal wieder etwas Empfindung zurückgekehrt ist, ein Handbad oder Fußbad mit Chlorkalk, wobei etwa in einem Waschbecken kalten Wassers ein gehäufter Eßlöffel Chlorkalk aufgelöst wird.

Will man die Sache recht gründlich machen, so lege man sich Abends in das Bett, hülle die erfrornen Glieder in Flanell und trinke etwas Schweißtreibendes: ein paar Tassen warmen Flieder-, Minzenthee oder Punsch.

Wird eine Hand oder ein Fuß, der Nachmittags ganz erfroren und pelzig war und bald nachher bis zur Rückkehr der Empfindung mit Schnee tüchtig gerieben wurde, Abends im Bette in Schweiß gebracht, so ist die Erfrierung meist gründlich kurirt und kaum ein Rückfall zu befürchten.

Manche Frau bereut es nach zwei und drei Jahren, wenn sie oft im Jahre ihr dicker, krebsrother Finger recht juckt, daß sie nicht gleich bei den ersten Erfrierungssymptomen recht gründlich zu Werke gegangen ist.

Das wenige hier Gesagte reicht bei sorgfältiger Anwendung aus. Es giebt aber ein ungeheures Heer von Heilverfahren und Heilmitteln, welche gegen erfrorene Glieder empfohlen sind. Diese passen aber alle erst dann, wenn durch unvorsichtige Behandlung Schäden zurückblieben, Frostbeulen und Geschwüre entstanden sind. Das häufige Vorkommen solcher Leiden beweist in der That, wie selten es ist, daß ein erfrorenes Glied sofort gut und energisch behandelt und wieder ganz gesund gemacht wird.

Selbst Aerzte giebt es, welche meinen, es sei unmöglich, Frostbeulen zu verhindern, wenn ein Glied erfroren sei. Allerdings giebt es ausgedehnte und hochgradige Erfrierungen, wo die beste Behandlung nicht mehr im Stande ist, einen Frostschaden, ja sogar das Absterben eines kleinen Theiles der erfrorenen Glieder zu hindern.

Im Allgemeinen aber kann man sagen, daß sich Frostschäden durch sorgfältige Behandlung gleich nach der Erfrierung vermeiden lassen und daß auch jene Frostschäden, welche durch zu rasches Erwärmen und unpassende Behandlung erzeugt wurden, durch eine fleißige und zweckmäßige Pflege sehr gebessert werden können.

Zur Beseitigung der rothen Flecke, welche besonders auf den Nasen sich einstellen und oft recht häßlich werden können, gebrauchte man bis jetzt heiße Wasserdämpfe und darauffolgende Waschungen mit sechsfach verdünnter Salzsäure oder Chlorkalklösung von einem gehäuften Kaffeelöffel Chlorkalk in einem halben Schoppen reinen Wassers.

In neuester Zeit lasse ich aber mit viel besserem Erfolge täglich mehrmals heiße Wasserdämpfe anwenden und Nachts eine Salbe einpinseln, in welcher 1 Theil Ichthyol auf 8 Theile Vaselin enthalten ist.

Leider hat das Ichthyol eine braune Farbe, läßt sich aber Morgens mit warmem Seifenwasser sehr leicht wegwaschen. Mag sich Jemand seiner rothen Nase wegen den Augen der Welt

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 913. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_913.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2023)