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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Mauern ihr stolzes Haupt; noch ruhte in festen Angeln die schwere, eisenbeschlagene Thür; noch fiel durch die in feurigem Farbenspiel leuchtenden Fenster die Sonne auf den im Dämmerschein der himmelanstrebenden Spitzbogen ruhenden, reichverzierten Altar: – schon züngelte aber der kletternde Epheu an den von manchen Rissen klaffenden Mauern empor; schon sproßte der duftende Thymian aus den Spalten des flachen Daches, und durch die in früheren Zeiten so sorgsam gepflegten Platanenanlagen und in reichem Blumenflor prangenden Gärten rieselten schon die Waldbäche und rankten nach allen Seiten hin, Wege und Pfade überziehend, die gelben Ginsterstauden und das weiße Heidekraut, vermischt mit Rosen und Veilchen, ein traurig liebliches Zeugniß der vergessenen Herrlichkeit vergangener Jahrzehnte.

Als Speranza, langsamen Schrittes durch den verwilderten Klostergarten schreitend, den Fuß des alten Gemäuers erreichte, wo, an der Kirche angebaut, sich die engen Wohnräume der Nonnen befanden, öffnete sich, im Abendwind klirrend, ein Fensterchen im einzigen Stockwerke des halb schon wie eine Ruine auf seinem niederen Hügel liegenden Klosters.

„Was treibst Du Dich wieder so lange in den Bergen herum, Speranza?“ rief eine schrille Stimme herunter, „kaum kommst Du noch zur rechten Zeit, um zum Ave Maria zu läuten – und die Glocke, das weißt Du doch, soll von keiner andern Hand, als von der Deinigen geläütet werden! Gedenke der Buße, welche die Oberin Dir auferlegte, und spute Dich!“

Speranza erhob das Haupt. Wundersam spielte die untergehende Sonne auf ihrem Antlitz und übergoß die feinen, edlen Züge wie mit einem goldenen Märchenschimmer.

„Schwester Josefa!“ antwortete das Mädchen der älteren, aus dem Fenster zu ihm herunter schauenden Schwester, „meine Schuld ist es nicht! Nicht weiter in den Bergen war ich, als bis zu dem Quell, wie Du es mir erlaubtest – und siehe! ich zittere noch, und kaum vermochten meine Glieder mich bis hierher zu tragen. Von einem wilden Wolfe wurde ich dort überfallen, und wenn ich noch zu den Lebenden zähle, Schwester Josefa, so verdanke ich es nur dem kleinen Nino, dem Sohne Letterio’s, des Klosterbauern, der noch zur rechten Zeit ...“

Aber die mageren Arme wie zur Abwehr gegen sie ausstreckend, unterbrach sie die Schwester Josefa:

„Willst Du Dich an dem Himmel versündigen, Du unbußfertige, sündenbefleckte Magd? Der heiligen Jungfrau danke für Deine wunderbare Errettung, nicht aber jenem Hirtenknaben! – Ja, nur Nino heißt es seit einiger Zeit, und immer und überall nur Nino! – Am Quell findest Du diesen Nino jeden Morgen, und von den Bergen steigt er herunter, um Dir Blumen zu bringen, und im Klostergarten wartet er jeden Abend, daß Du Dich von Deinem Fenster herunter mit ihm unterhaltest! – So vergiltst Du meine Nachsicht und die Milde, mit der ich Dich, dem Willen der Oberin entgegen, behandle? Nun ist es aber auch genug; im Kloster werde ich Dich einschließen, daß Dir weder reißende Wölfe, noch lebensrettende Hirtenbuben über den Weg laufen! Heilige Madonna! wie schlimm sieht es in Deinem Herzen aus! Dem gleißnerischen, frechen Spanier hast Du noch nicht entsagt, und nun bethört schon dieser Hirtenknabe Dein sündiges Herz!“

Bei diesen letzten Worten Josefa’s war es aber, als zucke ein Beben durch alle Glieder des jungen Mädchens. Hoch richtete sich Speranza auf und mit anderem Klange als bisher tönte ihre Stimme, fest und herrisch, als sie der Schwester Josefa antwortete:

„Meinen Händen darfst Du gebieten, Schwester Josefa, so lange die heilige Madonna mir die Pflicht des Gehorsams auferlegt; meine Füße darfst Du in Sandalen schnüren; eine härene Kutte darfst Du über meine Schultern werfen; – über mein Herz aber hast Du keine Gewalt. Hier steht der Grenzstein für Deine Macht und für die Macht von Euch Allen! Und hier, vergiß es nicht, hier bin ich allein die Gebieterin und werde die einzige Herrin bleiben, heute und morgen und auf immerdar! – Und nun ... weil es die Madonna gebietet ... öffne mir die Thür und reiche mir die Glockenstränge, daß die Fürstentochter ihres Amtes walte!“

„Ha! zeigst Du wieder Dein wahres Gesicht, und bricht der alte Stolz und sündige Trotz wieder hervor aus Deinem nur scheinbar in Demuth ergebenen Herzen?“ rief es mit heiser kreischender Stimme aus Schwester Josefa’s zahnlosem Munde zurück. „Ja! walte Deines Amtes, Fürstentochter! Verrichte Deinen Dienst, Du stolzes Fürstenkind! Ziehe am Glockenstrange, bis Deiner weißen Hände Fürstenblut auf des Altars Stufen tröpfle, ja, bis Dein trotziges Herz, gedemüthigt und gebrochen, der Hoffahrt der Welt entsage! Ziehe am Glockenstrang, Du Fürstentochter, wie die niedrigste Magd!“

Länger als gewöhnlich und wie mit scharfem, hartem Klingen tönte an diesem Abende das Glöcklein des Ave Maria durch das einsame Thal. Zur Erde gebückt, mit gefalteten Händen, hörten es die Bauern und Hirten und murmelten andächtig ihre Gebete, und leise fragend sprachen sie zu einander: „Wie ein Weinen tönt die Glocke durch die Dämmerung, dort büßt wohl eine fromme Schwester ihre Sünden ab? Die heilige Madonna beschütze und befreie sie vom Bösen!“

Am Fuße des Hochaltars in der stillen Klosterkirche sank Schwester Speranza zur Erde, blutige Striemen zogen sich über ihre weichen Hände.

„Nun bete! bete für Dich und für die Anderen!“ rief ihr beim Scheiden Schwester Josefa zu. „thue Buße in Staub und Asche vor der barmherzigen Mutter Gottes für die Sünden Deines Herzens und Deiner Gedanken!“

Barmherziger als die Menschen aber war die gnädige Mutter Gottes, denn leise träufelte sie himmlische Ruhe in des Mädchens Seele und dem linden Schlummer erlaubte sie die Sinne der flehenden Magd zu umfangen, daß sie entrückt wurde aus der nachtumhüllten Kirche in die Erinnerung an ihr früheres, sonniges Leben voll Glückverheißungen und wonniger Liebe.

Sie sah sich wieder im Fürstenschloß zu Palermo in dem in blauer Mondesnacht schimmernden Garten, wo unter leise rauschenden Bäumen die Marmortreppe zum Meere hinunterzog und plätschernd auf den weißen, leuchtenden Steinen die Wellen ihr einig kosendes Liebes- und Lebenslied sangen. Fast bespülten die Wellen den kleinen Fuß der über die flimmernde Meeresfläche hingebeugten Jungfrau, den Arm hatte sie um eine Säule geschlungen und den Blick, den suchenden, liebenden, sandte sie hinaus, weit hinaus in die Mondesnacht, ob er wohl noch lange säume, der herrliche Ritter, der ihr ewige Liebe geschworen, dem sie ewige Liehe wiedergeschworen hatte? Und siehe! dort blitzte kräuselnder Silberschaum um einen leise schwebenden Nachen, und dem Ufer nahte das Boot – und wie herrlich und edel und männlich schön trat er herauf zu ihr, der Einziggeliebte! und wie erbebte ihr Herz, als sein Arm sich um ihre Hüfte legte und als sie seine Stimme vernahm:

„Blandina!“ flüsterte er leise zu ihr, „was zitterst und was zagest Du? Wenn Du es willst, Deine Hand in die meinige zu legen, wird Dein Vater sich nicht weigern: zu der Tochter der sicilischen Fürsten von Roccaguelfonia darf der Sohn und einzige Erbe des spanischen Herzogs von Gonzaga seine Blicke erheben!“ –

Und von seiner Brust nahm er jetzt ein blinkendes Kleinod – ein Kreuz war es, mit Perlen besäet, mit einer in Gold gearbeiteten Herzogskrone über seinem Wappen – und um ihren Hals flocht er die Kette und flocht er seine Arme. „Nimm das Kreuz, Blandina, als Zeichen und Pfand unserer ewigen Liebe!“ Und im Schlafe suchte ihre Hand nach dem Kreuz, aber jäh wachte sie auf, mit einem Aufschrei von Angst und Schrecken, als ihre Finger das Kreuz nicht mehr fanden! Düster brannte das ewige Lämpchen in seiner Kupferkapsel über dem Altar, und die tanzende Flamme warf unheimlich wehende Schatten auf die alten Normannengewölbe und auf die grinsenden Steingesichter der massigen Säulenkapitäle.

„Hilf, Maria, Madonna!“ entfuhr es den Lippen des Mädchens. Oben an der Steintreppe, die aus der Kirche zu den Klosterzellen führte, knarrte eine Thür, und, mit der Hand ihr welkes Gesicht gegen den Schein der dampfenden Oellampe beschirmend, trat die alte Josefa an das wurmstichige Holzgeländer, und dumpf hallte der Kirchenraum nach, als es von dort zu der Jungfrau herunterrief:

„Ja, rufe sie an! denn ihrer Barmherzigkeit thut es Noth! Und nun kehre zurück in Dein Kämmerlein, Fürstentochter! Den Riegel schiebe ich vor; – Du aber schiebe einen andern Riegel vor Deines Herzens sündige Gedanken! – und daß Du mir nicht von jenem Hirtenknaben träumst! Auf den Bergen warst Du mir heute zum letzten Male! Zu viel Wölfe hausen dort oben!“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_015.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)