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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

geringe Freude, dem deutschen Publikum den so lange gesuchten Namen des Dichters nennen und dem mir aus vielen speciellen Gründen überaus theuern Württemberg zur Einreihung in seinen ohnehin so reichen Sängerkreis übergeben zu können.

     Bonn, 11. August 1870.

Dr. K. Hundeshagen 
Professor an der ev. theol. Fakultät.“     

Während Hundeshagen diese Zeilen schrieb, befand sich das Original-Manuskript der „Wacht am Rhein“, das an jenem denkwürdigen „Samstagsabende“ meinem Vater gedient und von da ab in seinen Besitz gekommen war, in unserer damaligen Wohnung in Paris. Es hatte sich unter den Papieren meines Vaters im Verein mit einer Anzahl anderer Schneckenburger’scher Dichtungen vorgefunden, die sämmtlich von des Dichters Hand geschrieben sind und von denen einzelne als Unterschrift die Buchstaben M. Sch. tragen. Mir waren die Papiere wohl bekannt, nur glaubte ich, sie rührten von Max von Schenkendorff her, und diesem Umstande ist es denn zu danken, daß sie trotz vieler Hin- und Herzüge unseres Hauses dennoch erhalten blieben. Bei Ausbruch des Krieges bewohnten wir mit unserer Mutter ein Logis am Boulevard Montparnasse im südlichen Theile der Stadt. Bis August waren wir, als Schweizer Bürger, obgleich unsere Sympathien für die „Prussiens“ keineswegs unbekannt geblieben waren, doch in keiner Weise angefochten worden. Am 31. August jedoch wurden wir durch einen sergent de ville persönlich aufgefordert, als zu den „bouches inutiles“ gehörend, Paris sofort zu verlassen; so reisten wir, Alles im Stiche lassend, am 1. September über Dijon nach der Schweiz. In Bern erfuhren wir zum ersten Male von den Kriegsereignissen; gleichzeitig hörten wir auch das Lied, das in Aller Munde war. Erst in Burgdorf, der Heimat meiner Mutter, wurde mir klar, daß das M. Sch. meiner Schriften Max Schneckenburger bedeute; hier erkannte ich in einigen Geschäftsbüchern der Firma Schnell u. Komp., der Schneckenberger als Theilhaber angehört hatte, dieselben charakteristischen langgestreckten Züge wieder, wie sie auch meine Schriften trugen; es war also kein Zweifel mehr, das Originalmanuskript der „Wacht am Rhein“ war gefunden, nur freilich einstweilen nicht zugänglich, weil es sich noch in Paris befand. Dort hat es denn auch die Zeit der Belagerung und der Kommune zugebracht, nicht ohne Gefahr zwar, am Schlusse der letzteren noch zu Grunde zu gehen. Als wir im Frühjahr 1871 nach Paris zurückkehrten, um unsere Sachen zu holen, da erzählte man uns, wie nahe unserem Hause Verderben gedroht hatte. Denn als die Versailler Truppen, die bekanntlich durch die Avenue du Maine in Paris ihren Einzug hielten, aus dieser in den durch eine Barrikade versperrten Boulevard Montparnasse einbogen, fiel ein Schuß und tödtete einen Officier. Der Verrath sollte durch Zerstörung des Hauses, aus welchem gefeuert worden, geahndet werden, falls der Thäter nicht erscheine. Schon war eine Kanone aufgefahren, da fand man den Schuldigen im Keller eines benachbarten Hauses; derselbe wurde sofort standrechtlich erschossen; unser Haus war gerettet.

Das Manuskript fand sich unversehrt vor. Völlig veränderte neue Lebensverhältnisse jedoch lenkten bald meine Gedanken von diesem Gegenstande ab, und da es auch an einer äußeren Veranlassung fehlte, so unterblieb jede Veröffentlichung dieser Thatsachen.

Heute jedoch, wo die Heimat des Dichters, die Gemeinde Thalheim, die Asche ihres verehrten Bürgers vom Burgdorfer Kirchhofe auf den ihrigen übergeführt und damit einem Lieblingswunsche des früh Entschlafenen Ausdruck gegeben hat, dürfte der Moment gekommen sein, wo auch obige Zeilen einem größeren deutschen Publikum zur Kenntniß gebracht werden mögen; gleichzeitig soll damit einem Irrthume begegnet werden, der hierdurch wohl seine Erledigung gefunden haben wird. Eduard Spieß.     




Blätter und Blüthen.

Deutschland und Frankreich. Während die beiden Völker sich, die Hand am Schwertesgriff, gegenüberstehen und „die Wacht am Rhein“ keinen Augenblick die Waffe aus der Hand legt, in jüngster Zeit, wo die Gerüchte einer drohenden russisch-französischen Allianz die Luft durchschwirren, noch weniger als früher: hören die beiden Völker nicht auf, sich für einander zu interessiren und ihre geistigen Schätze mit einander auszutauschen.

Neuerdings interessirt es die Franzosen zu erfahren, wie man in Deutschland über sie denkt und urtheilt, und ein französischer Autor, Grand-Carteret, hat sich die Mühe nicht verdrießen lassen, Urtheile deutscher Politiker und Schriftsteller über Frankreich aus mehreren Jahrhunderten zusammenzustellen in einer Schrift: „Frankreich beurtheilt von Deutschland“ [1] Nun, unsere Nachbarn brauchen sich im ganzen nicht zu beklagen über diese Aussprüche, denn sie lassen auch ihren guten Eigenschaften Gerechtigkeit widerfahren. Einige dieser Urtheile werden als durchaus zutreffend von dem französischen Autor selbst bezeichnet. Neben der schwunghaften und begeisterten Kampfesmuse der Jahre 1813 und 1870 ging stets die unbefangene Würdigung der Vorzüge unseres Nachbarvolkes einher. Die Schrift führt auch die Urtheile unserer großen Regenten und Staatsmänner, Friedrich’s II. und Bismarck’s über Frankreich an. Bekannt ist, daß Heine und Börne begeisterte Franzosenfreunde waren und das junge Deutschland ebenfalls von Paris aus sehr viele Anregungen empfing, während Wolfgang Menzel von Börne als Franzosenfresser angegriffen wurde. Die späteren deutschen Touristen und Feuilletonisten geben ebenfalls Anlaß zu einer sehr reichen Blüthenlese von Bemerkungen über französisches Wesen, von charakteristischen Schilderungen französischer Zustände, besonders des Theaters. Frankreich setzt sich gleichsam auf den Lästerstuhl und läßt sich von Deutschland lorgnettiren und bekritteln, hält es aber doch der Mühe werth, alle diese kritischen Randglossen in einem Album zu sammeln und dem französischen Volke vorzuhalten. Man legt drüben Gewicht auf unser Urtheil: das war in früheren Zeiten nicht der Fall. Deroulède hat in seiner Zeitschrift: „Le Drapeau“ (Die Fahne) nur die deutschen Kriegslieder übersetzt, um die Franzosen zur Rache anzustacheln: Jetzt erfahren sie auch, wie viel wohlwollendes, mindestens Antheilvolles in Deutschland über sie geschrieben worden ist. Schwerlich wird dies ihren Groll über die Niederlagen von 1870 und 1871 entwaffnen; wir sind gerüstet und rüsten uns immer mehr, ihm zu begegnen: aber das geistige Zusammenstreben der so verschiedenartigen und doch sich ergänzenden Völker würde als schöner Zukunftstraum selbst einen abermaligen blutigen Kampf überleben. †     

Die Mammuthbäume Kaliforniens. (Mit Illustration Seite 12.) Eine halbe Tagereise von dem herrlichen Yosemitethal in Kalifornien entfernt, ragen aus dem Urwalddickicht zahlreiche Wunder der Pflanzenwelt auf, riesige Sequoien, welchen die Amerikaner den Namen Mammuthbäume beigelegt haben.

Wie leuchtende, zimmtfarbene Thürme, steigen die kalifornischen Baumgiganten aus dem Waldesdunkel empor, an Umfang, Höhe, Massenhaftigkeit und Alter Alles hinter sich lassend, was die Erde bisher an Pflanzenwundern kennt. Neben die Pyramiden gestellt, würden manche der noch stehenden Baumriesen mit ihren Wipfeln die Spitzen dieser Bauwerke beschatten. Und doch lassen einzelne im Dickicht modernde Baumruinen darauf schließen, daß sie dereinst noch gewaltigere Maßverhältnisse aufzuweisen hatten. In Calaveras Grove liegt, durch sein eignes Gewicht halb in die Erde gesunken, der „Vater des Waldes“, an der Basis einen Umfang von 112 Fuß aufweisend. Zweihundert Fuß hat man an dem Stamme hinzuschreiten, bis man die Stelle erreicht, wo er seinen ersten Seitenast – einen Riesenbaum für sich – entsandte. Obschon der Baum seines Wipfels längst beraubt ist, lassen doch alle Maßverhältnisse erkennen, daß er zur Zeit seiner Glorie eine Höhe von gegen 450 Fuß gehabt haben muß. Nahe diesem gefallenen Monarchen stand ein zweiter Riesenbaum, den zu Anfang der fünfziger Jahre ein spekulativer Yankee zu Falle brachte. Der Stumpf ward sauber geglättet und zu einem Tanzboden umgewandelt, auf welchem 32 Personen bequem einen Kotillon abhalten können. Eine Zeit lang befand sich hier auch eine Druckerei, aus welcher ein Wochenblatt, das „Big-tree-bulletin“ hervorging.

Gleichfalls im Calaveras-Haine erhebt sich ein anderer Mammuthbaum, grünend in voller Pracht, trotzdem ein Urwaldfeuer eine Höhlung in seinen Fuß hineingefressen hat, welche groß genug ist, um 16 Reitern auf einmal Obdach zu gewähren.

Im Mariposa-Haine sind es die kolossalen Maßverhältnisse des 93 Fuß im Umfange zählenden „Grizzly Giant“ und des „Ohio“, welche den Besucher in Erstaunen versetzen; hier auch finden wir den auf unserer Abbildung wiedergegebenen, wohl einzig dastehenden Thorweg, durch welchen der Reisende sammt seinem von sechs feurigen Pferden gezogenen Gefährt wie durch einen Triumphbogen hindurchsaust.

Einen weiteren Begriff von der Massigkeit der Mammuthbäume mag eine Berechnung des amerikanischen Professors Whitney geben, der zufolge ein einziger Baum 537 000 Fuß zolldicker Bretter liefern würde, die einem Werthe von 25 000 Dollars gleichkämen.

Zu den Taxus-Nadelhölzern gehörend, werden die Riesenbäume botanisch Sequoia gigantea genannt; man findet sie allein am westlichen

Der Reichskanzler auf dem Wege zum Reichstag.
Originalzeichnung von H. Lüders.


  1. J. Grand-Carteret. „La France jugée par l’Allemagne“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil’s Nachfolger, 1887, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_019.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2020)