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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Augenblicksbilder aus einem eingeschneiten Eisenbahnzug.0 Originalzeichnung von Arthur Lewin.

Dort hinten, am Ende des Ganges, zitterte ein mattes Licht durch die geschlossenen Vorhänge; mit leisem Finger hob sie der Bischof in die Höhe. Auf ihrem Bette, die Hände gefaltet, die Haare über die Schultern aufgelöst, den fieberglänzenden Blick hinaufgerichtet zu einem Bilde der Madonna, lag Blandina. Sie hatte die Nahenden nicht gehört; halblaut betete sie vor sich hin:

„Heilige Jungfrau! Um ein Zeichen flehte ich Dich an, als ich auf den Stufen Deines Altars lag, um ein Zeichen, ob Du mir erlaubtest, gegen den Willen meines Vaters glücklich zu werden, und das Zeichen, Hochgebenedeite, du gabst es mir! Eine Sühne aber hast Du mir auferlegt, daß ich durch Leiden und Gram wieder erkämpfen müsse die Liebe und Verzeihung des von seinem Kinde gekränkten Vaters, und die Sühne, ich habe sie, als von Dir kommend, willig hingenommen. Nun aber, Madonna, erweiche auch meines Vaters gestrengen Sinn; führe ihn her zu des Kindes Lager, daß er die Arme um meinen Leib schlinge wie damals, als ich ein kleines Kindlein war, und daß er mir den vergebenden Vaterkuß auf die Stirn drücke, und daß seine Stimme, ach! seine liebe, so lang vermißte Stimme zu mir sage: Kind, ich habe verziehen!“

Aus dem Halbdunkel beugte sich leise eine Gestalt über die Betende:

„Ich bin es, Blandina, fürchte Dich nicht! Breite Deine Arme aus, meine Tochter – der Vater hat verziehen!“

„Vater! … mein Vater!“ rief Blandina, und hoch richtete sie sich auf von ihrem Lager, und die Arme breitete sie aus nach ihm; dann überflog ein Zittern ihre Glieder, und zu des Vaters Füßen lag das weinende Kind. In seinen Armen hob er sie von der Erde auf und zog sie an seine Brust. Heiße Thränen rollten über des Fürsten Wangen, als er sein Kind an das Herz drückte. Langsam und sanft – so sanft, daß es ihr schien, als sei es der längst entschlafenen Mutter Arm – legte er Blandina auf ihr Lager zurück und sprach dann die Worte zu ihr:

„Dein Gebet habe ich gehört, Blandina! Wo die heilige Madonna Dir helfend zur Seite stand, darf Dein Vater Dir nicht mehr grollen. Ja, einen Schwur hast Du gethan – in unbewachter Stunde – aber ein Schwur war es, und Du bist ihm treu geblieben – bis zur Schwelle des Todes! Mein Geschlecht erkenne ich wieder in Dir; denn wie Du dem Deinigen, so werde ich meinem Schwur getreu bleiben – bis zum Tode! Dir, Blandina, hab’ ich verziehen!“ –

Sie genas. Jede Nacht kam, in Begleitung des Bischofs, durch die leeren, stillen Gänge ihr Vater zu ihr; des Herzogs Name aber berührte seine Zunge nicht und mit keiner Silbe gedachte er des Feindes seines Volkes.

In ernsteren Falten lag sein Antliz, als er eines Abends zu seiner wiedergenesenen, in blühendem Leben strahlenden Tochter sprach:

„Morgen, Blandina, soll im Dome das Fest Deiner Genesung gefeiert werden – und ein anderes Fest noch wird sich daran schließen: der Segen, den Du in einer verlorenen Waldkapelle empfingst, soll morgen der Fürstentochter, wie es ihr gebührt, vor dem versammelten Volke ertheilt werden. Der alten Sitte unserer Vorfahren werde ich mich nicht entziehen; an der Pforte des Domes werde ich Dir die Hand reichen und den Händen der Kirche werde ich Dich übergeben; bis zum Altar führt Dich Dein Vater; – meinen Segen lege ich dann auf meines Kindes Haupt! Aus dem Dome führt Dich ein Anderer hinaus!“

Wie er es gesagt, so geschah es. Als der Brautzug des Herzogs von Gonzaga in den weiten Hofraum des Domes einzog, erblickten die spanischen Edelleute einen andern Zug, der vor dem Portale ihrer schon wartete. Um den Fürsten von Roccaguelfonia hatte sich der sicilische Adel geschart; nicht im Hochzeitsgewande aber waren die Grafen und Barone erschienen; gepanzert und gewappnet standen sie da, als ginge es zum blutigen Waffentanze, und finster schauten ihre Augen zu den im Festkleide, mit wehenden Federn auf dem Sammtbarette, leichten Fußes den rauschenden Klängen ihres Musikkorps folgenden Spaniern. Lächelnd bemerkten diese die seltsame Hochzeitstracht; lächelnd – denn unter ihren seidenen Gewändern trugen auch sie Panzer und Waffenhemd, und an ihrer Seite hing das breite Streitschwert; ohne Verlaß war ja dies Volk und unberechenbar die Leidenschaft, die in diesen haßerfüllten Herzen wohnte.

Milchkarren im Schnee.
Originalzeichnung von H. Heubner.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_064.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)