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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

der Schule vereinbar, stets befürworte und jenen Nachlaß der leiblichen wie geistigen Entwickelung des Kindes angemessen finde. Vielleicht genügen auch diese Bemerkungen in einem so viel gelesenen Blatte, um jenem Uebelstand an maßgebender Stelle Abhilfe zu schaffen, deren Dringlichkeit vielfach lebhaft empfunden wird.

Von großer Bedeutung ist auch die Wahl der Zeit zum Schlaf. Der Tag mit seiner Fülle von Licht, auch oft von Wärme, Lärm und Getöse übt einen mächtigen Reiz auf den Körper aus, welcher, hierdurch in eine große Spannung der Kräfte versetzt, das starke Bedürfniß ihrer Bethätigung empfindet und demselben durchaus genügen muß. Die Dunkelheit, Ruhe und Kühle der Nacht entziehen dagegen dem Körper jene Reize, spannen dadurch seine Kräfte ab und laden zur Ruhe ein. Wenn viele Menschen gerade in unserem Zeitalter eine diesem natürlichen Verhältniß entgegengesetzte Gewohnheit angenommen haben und sich eine Reihe von Jahren hindurch scheinbar wohl dabei befinden, so übersieht man, daß Verstöße gegen wichtige Lebensregeln sich oft erst spät mit Heftigkeit äußern und daß nichts trügerischer ist, als zeitweiliges Wohlbefinden, hinter welchem sich oft die Keime schwerer Krankheiten, die Ursachen eines frühen Todes unmerklich verbergen. Wie viel auf die Wahl der Zeit zum Schlaf ankommt, erhellt aus den von zwei englischen Kavallerie-Officieren angestellten Versuchen, um auszumitteln, ob militärische Märsche zweckmäßiger bei Tage oder bei Nacht zu unternehmen seien. Beide legten mit ihren Truppen eine gleichlange Tour unter gleichen Bedingungen, aber zu verschiedenen Tageszeiten zurück. Derjenige, welcher den Tag zum Marsch benutzte, kam ohne Verlust an Mannschaft und Pferden an das bestimmte Ziel, während der Andere, obwohl ihm keine besonderen Unfälle zugestoßen waren, auf seinen nächtlichen Märschen einige Soldaten und mehrere Pferde durch den Tod verlor.

Aus dem, was wir über die Kräftigung des Muskel- und Nervensystems, die Erneuerung der organischen Stoffe durch den Schlaf gesagt, geht aber hervor, daß ein kurzer Schlaf bei Tag und gerade nach Tisch, eine Gewohnheit, die man Mittagsschläfchen bezeichnet, namentlich Solchen anzuempfehlen ist, die stark körperlich oder geistig thätig waren, überhaupt Solchen, die einen schwachen Körper haben, Rekonvalescenten, insbesondere im[WS 1] höheren Alter, bei dem der nächtliche Schlaf oftmals kurz oder unterbrochen ist. Nur für Solche, die überhaupt zu viel schlafen, eignet sich die Warnung, daß der Schlaf, der am Tag genossen wird, nachtheilig ist, da er den Nachtschlaf verkürze.

Ueberschreitet der Schlaf bei Tag oder Nacht eine den vorhergegangenen Anstrengungen angemessene Dauer, so werden die geistigen und körperlichen Kräfte, die nur durch ihren vollen und harmonischen Gebrauch in ihrer gedeihlichen Entwickelung fortschreiten können, abgespannt, ermattet, anstatt erfrischt; an Stelle geistiger und körperlicher Erholung, der Munterkeit und des Frohsinns, treten Gesühle von Trägheit, Unbehaglichkeit und Verdrossenheit; ein solcher Schlaf wirkt nicht heilsam, sondern störend für geistiges und körperliches Wohl.

Schlaflosigkeit ist eine häufige Theilerscheinung schwerer, namentlich fieberhafter Allgemeinleiden, verschiedener mit Schmerz, Aufregung etc. einhergehender örtlicher Erkrankungen, sowie eine oftmalige Folge gewisser Gehirn- und Nervenkrankheiten überhaupt. Alle diese durch krankhafte Störungen bedingten Abweichungen des Schlafes schließen wir von unserer Betrachtung aus. Wir handeln hier vielmehr von dem Mangel oder der Unvollkommenheit des Schlafes, welche bei sonst gesunden Menschen einen nicht nur sehr häufigen, sondern zugleich meist recht lästigen Zustand bildet und sich bald als sehr spätes Einschlafen, als verfrühtes Erwachen, als leiser, durch ungewöhnliche Erregung der Sinne und der Seelenthätigkeit gestörter Schlaf äußert. Es sind dies Zustände, die man gewohnt ist, gemeinhin als Schlaflosigkeit zu bezeichnen, wenn auch der Schlaf fast nie gänzlich unterbrochen und aufgehoben, sondern meist nur auf wenige Stunden, selbst auf noch kürzere Zeit beschränkt bleibt. Daß auch hier eine Grenze schwer zu ziehen, ist leicht begreiflich, wenn man bedenkt, daß schädliche Folgen, krankhafte Störungen, schwere Zufälle aus diesen verschiedenen Abweichungen des Schlafes beim Gesunden hervorgehen können, und zwar um so rascher und in um so höherem Grade, je mehr die Schlaflosigkeit eine vollkommene ist.

Schlaflosigkeit, selbst bei sonstiger Gesundheit, ist ein großes Unheil. Kant konnte mit Recht sagen: „Nimm von dem Menschen die Hoffnung und den Schlaf, und er wird das unglücklichste Wesen auf Erden werden.“ Um diesem lästigen Zustand erfolgreich zu begegnen, wird es zunächst unser Bestreben sein, alle jene schädlichen Einflüsse möglichst zu entfernen, durch welche im Einzelfall die Schlaflosigkeit hervorgerufen wird. Da, wie wir dargelegt, die nächste Ursache des Schlafes eine Unterbrechung der Thätigkeit der Sinnesorgane und vor Allem des Gehirns bildet, so wird Alles, was diese Thätigkeit über die Maßen steigert oder herabsetzt, sowie Alles, was die gleichmäßige, harmonische Entwicklung geistiger und körperlicher Kräfte stört, geeignet sein, Schlaflosigkeit zu verursachen. Die Schlaflosigkeit aus dieser Veranlassung ist um so bedeutungsvoller und hartnäckiger, als sie ihrerseits jenen ungewöhnlichen Erregungszustand des Gehirns unterhält und steigert, durch welchen sie ursprünglich entstanden ist, so daß der Schlaf unter diesen Umständen oft Diejenigen am eigensinnigsten flieht, welche seiner am dringendsten bedürfen. Zu diesen Ursachen einer mehr oder weniger hochgradigen Schlaflosigkeit gehören: große erschöpfende Anstrengungen geistiger und auch körperlicher Art, namentlich wenn die Anspannung der Kräfte noch bis zu später Abendstunde fortgesetzt wird; psychische Einflüsse, sowohl aufregender als deprimirender Art, namentlich quälende Gemüthsbewegungen, Kummer, Sorge, heftige Affekte und Leidenschaften, gewisse Genußmittel (Thee, Kaffee), welche die Erregbarkeit des Gehirns steigern. Auf der andern Seite ist die Schlaflosigkeit eine sehr häufige Klage solcher Personen, welche eine sitzende Lebensweise führen und denen es an Muskelarbeit fehlt, besonders wenn dieselben gleichzeitig durch die oben genannten erregenden Genußmittel ein weiteres schädigendes Moment einführen. Fachgelehrte, hochgestellte Beamte, Geschäftsleute, Kanzlisten, Schreiber leiden in Folge von einseitiger Ueberanstrengung recht häufig zeitweise oder dauernd an Störungen des Schlafs. Die Schlaflosigkeit bildet insbesondere eine oftmalige und lästige Beschwerde von Personen, welche ihr bis dahin thätiges und angestrengtes Leben mit einem beschaulichen und der Ruhe gewidmeten vertauschen, wie dies geschieht bei pensionirten Civil- und Militärbeamten, bei Landwirthen, Seeleuten, welche ihren Beruf aufgegeben und Rentner geworden sind, im Allgemeinen um so mehr, je frühzeitiger in noch verhältnißmäßig jungen Jahren dies geschehen.

Schlechte Gewöhnung steigert alle diese Zustände. Schon wenige Tage Schlafverkürzung reichen hin, die Fähigkeit zu einem dauernden und genügenden Schlaf zu vermindern; eine länger fortgesetzte Gewöhnung, eine sehr späte Nachtruhe, häufige Störung und Unterbrechung des Schlafs läßt oft eine Unfähigkeit zu genügendem Schlaf zu Stande kommen, welche nur schwierig überwunden werden kann.

Wir haben Eingangs unserer Darstellung betont, daß, während das geistige Leben im Schlaf gänzlich oder theilweise ruht, gewisse Lebensverrichtungen, welche den Stoffwechsel bethätigen, vorherrschen. Auch in dieser Beziehung muß eine gleichmäßige, harmonische Vertheilung von geistiger und vegetativer Thätigkeit im Körper herrschen, um einen gesunden Schlaf zu erzeugen. Wird die Verdauungsthätigkeit zu sehr angeregt durch reichliche und späte Aufnahme schwer verdaulicher Speisen, wird der Blutumlauf durch äußere Wärme, durch den Genuß aufregender Getränke, durch körperliche Bewegung insbesondere am späten Abend zu sehr bethätigt, so wird der Schlaf nicht selten gestört.

Hieraus geht hervor, daß Schlaflosigkeit fast immer einen Verstoß gegen gewisse Bedingungen und Anforderungen der Gesundheitspflege bedeutet, etwa wie wir Appetitlosigkeit leicht in Folge ungeeigneter Ernährung, eine Menge von Erkrankungen in Folge unpassenden Verhaltens entstehen sehen. Im Einzelnen können hier die verschiedenartigsten Ursachen zu Grunde liegen, so daß Das, was in dem einen Fall den Schlaf erzeugt, in einem andern dazu beiträgt, durch etwas zu viel oder zu wenig, durch Abweichungen von dem gewohnten gesunden Verhalten den Schlaf zu verscheuchen. Es wird darum oft einer ganz ins Einzelne gehenden, die verschiedenen ursächlichen Momente aus einander haltenden Selbstprüfung oder fremder Beurtheilung bedürfen, um jene zahlreichen Schädlichkeiten aufzusuchen und durch deren zeit- und naturgemäße Entfernung die Schlaflosigkeit zu beseitigen.

(Schluß folgt.)




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dem
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_076.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)