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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

am Boden ist auf weite Strecken hin übertüncht und beschmutzt vom Geschmeiße der Vögel, verunziert durch zerbrochene Eier oder deren Schalen und aus den Restern herabgefallene verwesende Fische.

Der erste Schuß aus dem Gewehr unseres Jagdherrn ruft unbeschreiblichen Wirrwarr hervor. Kreischend erheben sich die erschreckten Reiher, unter sinnbethörendem Krächzen die Krähen; mutwillig knarrend verlassen auch die Scharben ihre Horste. Eine Wolke von Vögeln bildet sich über dem Walde, schwebt hierhin und dorthin, auf und nieder, überschattet, sich verdichtend, die Wipfel und löst sich in einzelne Theile auf, welche zögernd zu den eben verlassenen Horsten hernieder sinken, sie zeitweilig förmlich umhüllen und dann wiederum mit der Hauptmasse sich einigen. Jeder einzelne schreit, knarrt, krächzt und kreischt, daß die Ohren gellen, jeder flieht, und jeder wird durch die Sorge um Horst und Eier wieder herbeigezogen. Der ganze Wald geräth in Aufruhr, unbekümmert um diesen, um das wüste Gelärm aber schmettert der Fink seinen Frühlingsgruß durch den Wald, jauchzt ein Specht, schlagen Nachtigallen ihre herrlichen Weisen, offenbaren sich Dichterseelen unter Dieben und Räubern.

Reich mit Beute beladen, kehren wir nach vier- bis fünfstündiger Jagd zu dem wohnlichen Schiffe, unserem gemüthlichen Heim zurück, um während dessen Weiterfahrt unsere gewonnenen Schätze wissenschaftlich zu verwerten. Stundenlang fahren wir durch Auwaldungen, wie ich sie geschildert, dann und wann auch an größeren oder kleineren Ortschaften, Städten und Dörfern, vorüber, bis die zunehmende Dunkelheit Halt gebietet. In der Dämmerfrühe des nächsten Morgens erreichen wir Apatin. Böllerschüsse, Musik und freudige Zurufe begrüßen den geliebten Thronerben. Allerlei Volk drängt sich um das Dampfboot, eingeborene Jagdgehilfen, Horstsucher, Baumsteiger, Abbälger kommen an Bord , mehr als ein Dutzend kleiner Kähne, „Czikeln“ genannt, werden aufgeladen. Dann wendet der Dampfer, um wieder stromaufwärts zu fahren und uns in der Nähe eines breiten Stromarmes abzusetzen. Auf letzterem dringen wir zum ersten Male in die nassen Auenwälder ein. Dem größeren Boote, welches uns trägt, folgen alle die kleinen, welche wir in Apatin aufgeladen, wie Küchlein der Mutterente nachziehen. Heute gilt Aller Jagd dem Seeadler, welcher in diesen Wäldern so häufig brütet, daß im Umkreise einer Geviertmeile nicht weniger als fünf Horste erkundet werden konnten. Mit Waidmannsheil trennen wir uns, um diesen Horsten in verschiedener Richtung uns zuzuwenden.

Ich kannte den kühnen und raubfähigen, wenn auch unedlen, Raubvogel von früher her recht gut, denn ich hatte ihn in Norwegen und Lappland wie in Sibirien und in Aegypten oft gesehen, jedoch noch niemals an seinem Horste beobachtet; die jetzt sich dazu bietende Gelegenheit war mir daher hoch willkommen. Seinem Namen entsprechend, bewohnt er mit Vorliebe die Seeküsten, außerdem die Ufer größerer fischreicher Seen und Ströme. Vertreibt ihn der Winter aus seinem Gehege, so wandert er so weit nach Süden hinab, als er eben muß, um auch in den kalten Monaten sein Leben fristen zu können. In Ungarn ist er der häufigste aller größeren Raubvögel, verläßt das Land auch im Winter nicht und unternimmt nur in seinen jüngeren Jahren, vor seiner Mannbarkeit, weitere Streifzüge, gleichsam als wolle er sich in der Fremde versuchen. Während des Frühjahrs sieht man daher in unserem Jagdgebiete ausschließlich alte, ausgefärbte oder, was dasselbe sagen will, erwachsene, fortpflanzungsfähige Seeadler, wogegen im Herbste und Winter neben den wenige Monate früher ihrem Horste entflogenen Jungen auch zugewanderte Seeadler die Uferwälder der Donau beleben. So lange diese nicht mit Eis bedeckt ist, wird es ihnen nicht schwer, sich zu ernähren, denn sie jagen im Wasser nicht minder geschickt, vielleicht geschickter, als auf dem Lande, kreisen über der Fluth, bis sie einen Fisch erspähen, stürzen sich wie ein Wetterstrahl auf ihn herab, verschwinden, ihm nachtauchend, zuweilen förmlich unter den Wellen, arbeiten sich mit Hilfe ihrer mächtigen Schwingen aber rasch wieder empor, tragen die Beute, welcher sie die unwiderstehlichen Fänge durch den Schuppenpanzer schlagen, einem ruhigen Platze zu und verzehren sie hier in aller Gemächlichkeit. Ebenso finden sie sich, da man ihre Räubereien in Ungarn nicht so streng verdammt, wie bei uns zu Lande, regelmäßig in der Nähe der Fischerhütten ein und lungern hier oft in nächster Nachbarschaft derselben auf Bäumen sitzend, bis der Fischer ihnen die in seinem Hälter abgestandenen Fische zuwirft oder sonst etwas für sie abfällt. Wie der Fischer, sorgt auch der ungarische, serbische und slavonische Bauer für sie, indem er gefallene Thiere nicht verscharrt, sondern frei auf das Feld wirft und es unserem Adler und den Geiern oder Hunden und Wölfen überläßt, das Aas wegzuräumen. Entzieht die Eisdecke dem Seeadler seine gewöhnliche Beute und findet er zufällig auch kein Aas, so leidet er dennoch nicht Mangel, denn, wie der edlere und kühnere Steinadler, jagt er auf alles Wild, welches er überwältigen zu können glaubt. Er schlägt den Fuchs wie den Hasen, den Igel wie die Ratte, den Tauchvogel wie die Wildgans, nimmt der Seehundsmutter das säugende Junge weg, geht in blinder Raubgier so weit, daß er seine mächtigen Fänge in den Rücken von Delphinen oder Stören klammert und dafür von den einen wie von den anderen in die Tiefe gezogen und, bevor es ihm gelingt, die Klauen wieder zu lösen, ertränkt wird, er greift unter Umständen sogar den Menschen an. So kann es ihm kaum jemals fehlen, und, wenn er vollends nicht regelmäßig verfolgt wird, führt er ein geradezu beneidenswertes Leben.

Bis gegen die Brutzeit hin lebt der Seeadler mit seines Gleichen in Frieden; gegen Eintritt der ersteren regt sich auch in seinem Herzen, in den meisten Fällen wohl durch Eifersucht hervorgerufen, Kampflust und Streitsucht. Um des Weibchens wie um des Horstes willen ficht er erbittert mit anderen seiner Art. Wohl währt die einmal geschlossene Ehe eines Adlerpaares so lange wie einer der Gatten lebt, – aber nur dann so lange, wenn der Adler im Stande ist, die Adlerin gegen die Werbungen anderer seines Geschlechtes zu schützen und seinen eigenen Horst sich zu erhalten. Begehrlich richtet ein mannbar gewordenes, seiner Vollkraft bewußtes Adlermännchen Auge und Sinn auf des anderen Weibchen und Horst, und beide sind diesem verloren, wenn es dem ersteren gelingt, ihn zu besiegen. Der rechtmäßige Gatte kämpft daher auf Tod und Leben mit jedem Eindringlinge, welcher das eheliche und häusliche Glück zu stören trachtet. In hoher Luft wird der Kampf begonnen und oft erst am Boden ausgefochten. Mit Schnabel und Fang stößt bald dieser, bald jener auf den Gegner herab, bis es dem einen gelingt, den anderen zu packen, und er sofort wiederum des letzteren Krallen in seinem Leibe fühlt. Als wirrer Federballen stürzen dann beide aus hoher Luft herab in die Tiefe, entweder ins Wasser oder aufs feste Land, entkrallen sich gegenseitig, aber nur, um sofort einen neuen Kampf auszufechten. Wie erboste Hähne balgen sich die edlen Recken, wenn sie auf dem Boden weiter kämpfen, und zurückgelassene Federn und Blut bezeichnen die Wahlstatt, wie sie den Ernst der Kämpfer bezeugen. Das Weibchen kreist über den beiden Kämpfern oder steht von einem Hochsitze aus dem Streite anscheinend gleichmütig zu, liebkost den Sieger jedoch jedesmal, wenn er nach beendetem Kampfe zu ihm zurückkehrt, gleichviel ob dieser Sieger der erwählte Gatte oder der Eindringling ist. Wehe dem ersteren, wenn das Kriegsglück dem letzteren hold bleibt! In den Augen einer Adlerin gebührt nur dem Starken die Krone.

Nach siegreich zurückgeschlagenen Anfechtungen und Kämpfen solcher Art, welche keinem Adlermännchen erspart bleiben und in Ungarn alljährlich sich wiederholen dürften bezieht das Paar, voraussichtlich das längstverbundene, den alten Horst und beginnt bereits im Februar mit der Ausbesserung desselben. Die dazu erforderlichen Stoffe lesen beide Gatten vom Boden ab oder fischen sie aus dem Wasser heraus, brechen sie wohl auch von den Bäumen ab und tragen sie in den Fängen manchmal von weither zum Horste, um sie hier so kunstgerecht zu verbauen, als ein Adler vermag. Da solcher Ausbau alljährlich stattfindet, wächst der Horst nach und nach zu beträchtlicher Höhe heran, und man erkennt schon an dieser sein Alter, ebenso wie man von letzterem aus die Dauer einer Adlerehe schließen darf, denn die ältesten Horste haben auch die ältesten Adlerpaare inne. Der Horst steht nicht immer in den Wipfelzweigen, in allen Fällen aber hoch über dem Boden, mehr oder minder nahe am Stamme und stets auf starken Aesten, welche das schwere und immer schwerer werdende Gebäude zu tragen vermögen. Knüppel oder schwächere Zweige, alle sperrig durch- und übereinander gelegt, bilden Unter- wie Oberbau und gewähren vielen Feldsperlingspaaren , welche sich dreist und zuversichtlich in die Nähe des Gewaltigen drängen geeignete Höhlungen für Nester und Schlupfwinkel.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_079.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)