Seite:Die Gartenlaube (1887) 111.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Setzt Euch!“ sagte sie kurz.

„Also Du willst den Rupert heirath’n, Anna?“ fing sie an, „muast net bös auf mi sei,“ wandte sie sich dann zu dem jungen Mann, dem der Schweiß auf der Stirn stand – „wenn i grad net erfreut bin über die G’schicht! Du magst ja a recht braver Mensch sei, woaß a nix Schlimm’s von Dir, aber – ’s giebt im Leben an Unterschied, da hilft all’s nix, net nur bei die Herrisch’n in der Stadt drinn, a bei uns Bauersleut! Die Langbauern sitz’n schon zweihundert Jahr auf dem Hof, geachtet und geehrt von Jedermann – a ächt’s Bauernbluat. Du bist a einfacha Jagersknecht –.“ Rupert zuckte zusammen, er wurde dunkelroth und wollte etwas erwiedern. – Die Alte winkte ab. „Nur net hitzi, Rupert, bei mir frucht’ dös nix – und wenn’st a d’ königliche Kron am Huat tragst – wir liab’n und schatz’n n’ hoch unsern König, mei Großvater selb’n liegt am Sendlinger Kirchhof drinn begrab’n. Das macht all’s nix, ja i sags off’n – wennst a viel Höchera warst, a Studirter, a Amtmann oder so was – i gäbet’s Dir do net gern mei Anna! Zur Bäu’rin g’hört a Bauer, so war’s von jeher Brauch hier zu Land. Wie i jung war, hat ma dös gar net anders g’wußt; die Leut hab’n no mehr Stolz g’habt auf ihr’n Stand! Jetzt is all’s anders! Einer will so viel sei als der and’re, nix werd mehr g’acht, koan Ehrfurcht giebt’s mehr – net vor der Muatter – net vor Gott! –“ sie stampfte wieder mit dem Stock auf den Boden. Ihr Greisenantlitz röthete sich vor innerer Entrüstung.

„I bin nur froh, daß i nimmer lang da bleib’n muaß auf dera verkehrt’n Welt!“

„Aber, Muatta,“ fiel Anna ein, „d’ erzürnt’s Euch do net so! Wir san ja da, um Euch um Eure Einwilligung z’ bitten! Auf den Knie’n d’rum z’ bitten!“

Sie kniete vor der Alten und barg schluchzend das Gesicht in ihrem Schoße.

„Mi bitt’n?“ erwiederte herb die Bäuerin, „und wenn i nun Na sag, was dann? Kommt dann der Rupert nimma auf d’ Alm zu Dir? Wissen’s denn nit scho alle Leut im Dorf, daß ös Liebsleut seid? Und wenn er’s dann a mal gnua hat und Di nimmer mag und Di verlass’n thuat, wenn er Di vorher in Schimpf und Schand’ bracht hat – o Gott! i mag gar net dran denk’n, Anna, es brechat mir’s Herz!“

„Aber, Muatterl,“ fiel nun schüchtern Rupert ein, „warum halt’s mi denn für gar a so schlecht? I hab’s halt gern d’ Anna. Wenn i a arm bin und nur a Jaga, darnach fragt d’ Liab net!“

„Für schlecht halt i Di deßweg’n net,“ erwiederte die Alte, „aber jung bist, und so g’nau hab’n ’s d’ Jaga nia g’nomma. Manche woaß davo zu d’erzähl’n! Manche is unglückli wor’n fürs ganze Leb’n! Und d’ Anna is a jung und heißblüati, und i möcht net Schuld sei an ihr’m Unglück! So nah am Grab g’wiß net! Darum, Anna, frag’ i Di no mal: kannst net leb’n ohne den Rupert? Hast’n wirkli so gern – bedenk’s wohl! – Ich seh’ koa Glück d’rinn, und wenn i das Opfer brächt’, nur um Di unglückli z’ sehn – das wär’ hart!“

Sie hielt sich mit der zitternden Hand an der Schulter der Tochter und verbarg weinend ihr Antlitz in das Brusttuch.

„I kann’s net anders sag’n, Muatter, als daß i den Rupert über All’s gern hab, daß i ihn zum Mann nehm’ oder koan! Sonst thät i Euch g’wiß den Kumm’r d’ erspar’n! D’rum gebt’s uns Euern Seg’n wir werd’n ’s Euch dank’n unser Leb’n lang!“

Die Alte kämpfte sichtlich in ihrem Innern.

„Guat,“ sagte sie endlich, „wenn’s net anders sei kann, liaba als daß i a Schand mit Dir derleb’, Anna – da habt’s mein Seg’n!“

Die Beiden knieten vor ihr, sich fest die Hände drückend. Die Alte legte die zitternden welken Hände auf die jugendlichen Scheitel.

„Werd’s glückli – wie i’s war mit mei’m Hanns, und Gott gäb’s, daß net wahr is, was i denk’!“

Zum offenen Fenster klang die Tanzmusik von der „Post“ herauf, und Böllerschüsse dröhnten durch das Thal, in den Bergen langsam vergrollend.

Die Alte mußte sich setzen, die Aufregung war zu groß. Nun, da sie ihre Einwilligung gegeben, war ihr Ernst geschwunden; jetzt waren es ja ihre Kinder, und auch Rupert war nicht mehr der Jäger, sondern ein Familienmitglied, der Erbe des Langbauernanwesens!

Sie hörte gespannt den Plänen zu, welche die jungen Leute, von denen jetzt der Bann genommen, lebhaft entwickelten: wie Rupert fest entschlossen sei, die Jägerei aufzugeben und ein tüchtiger Bauer zu werden, der gewiß dem Anwesen keine Schande machen soll. Auch Anna, der das Glück aus den Augen strahlte, versprach ihr immer aufs Neue, wie gut sie selbst es nun haben solle, wie brav und lieb der Rupert sei, und durch die Seele der Alten ging ein Erinnern an längst vergangene glückliche Stunden. Rupert’s tüchtiges Wesen machte ihr einen guten Eindruck. Sie betrachtete ihn fast schon mit Wohlgefallen; er stammte ja am Ende auch von Bauersleuten, wenn seine Familie auch verarmt war.

In Kurzem gelang es den jungen Leuten, die Mutter ganz herumzukriegen; zuletzt strahlte sie selbst wieder vom Glück ihrer Tochter und sah sich schon als Großmutter im jungen Hausstand. Man sprach auch schon von der Hochzeit, man wollte nicht lange mehr warten, noch vor dem Winter sollte sie sein und Rupert um seine Entlassung aus dem Jägerstand nachsuchen.

So verging der Vormittag, sie merkten’s kaum. Das Mittagessen wurde aufgetragen, der Oberknecht und die Dirnen setzten sich mit an den Tisch.

„Das is der künftige Bauer!“ erklärte ihnen die Alte, auf Rupert weisend, „steckt’s net lang d’ Köpf z’samm, wia dös so kumma is – warum? Es is so und bleibt so, wem’s net paßt, der kann geh’n.“

Die Leute kannten schon die barsche Weise der Bäuerin und daß sie es nicht so bös meinte, sie betrachteten nur neugierig das Paar und löffelten schweigend die Suppe aus.

Als das Mahl zu Ende, forderte die Alte selbst die jungen Leute auf, zum Tanz zu gehen in die „Post“.

„Jetzt wo’s mir recht is,“ sagte sie, „frag’ i den Kukuk nach dem G’red der Leut, bis nächst’n Sonntag les’n sie’s ja so scho an der Kirch’nthür!“

Das ließen sich die Zwei nicht noch einmal sagen. Sie hatten Angst genug ausgestanden und so geschwitzt hatte Rupert in seinem Leben noch nicht. Sie umarmten die Mutter, daß ihr ganz schwindlig wurde von diesem jugendlichen Feuer, und eilten der „Post“ zu.

Die alte Frau sah ihnen lange kopfschüttelnd nach, nahm dann ihr großes Gebetbuch und setzte sich in dieselbe Ecke, wo sie ein Leben lang gewohnt war, Aufmunterung und Trost aus den großgedruckten vergilbten Blättern sich herauszulesen.

Auf der „Post“ aber ging’s lustig her: zum hundertsten Male ertönte derselbe Walzer vom Tanzboden herab und die Fensterscheiben zitterten von dem Gestampfe der Tanzenden.

In dem tollen Wirbel da oben bemerkte man gar nicht die Ankunft des neuen Paares. Da stampfte, pfiff und schrie Alles durch einander in einer Wolke von Staub und Rauch. Die lärmende Musik schmetterte drein, eine glühende Hitze herrschte in dem engen Raum, Alles war in unbestimmte Nebel gehüllt, aus dem hier und da ein erhitztes Mädchengesicht – blaue und rothe Röcke hervorleuchteten.

Rupert und Anna, von einer unbändigen Freude und Lebenslust erfaßt, stürzten sich mitten in dieses Treiben, ihre hohen Gestatten überragten alle Andern. Als die Töne verklungen waren und die Paare in die Wirthsstube sich begaben, um andern Platz zu machen, wurde man erst auf die Beiden aufmerksam; wie ein Lauffeuer ging es durch die Menge. „Der Rupert und die Anna!“ – sie waren die Helden des Tages.

„Wie hat’s ganga mit der Alt’n?“ fragte Reiser, der schon einige Gläser über den Durst genossen zu haben schien – „giebt s’ nach?“

„All’s in Ordnung!“ entgegnete Rupert absichtlich laut, „die Anna is mei Braut! In Herbst is d’ Hochzeit und mit der Jagerei is aus!“

„No, i gratulir, i gratulir, Herr Langbauer! Die Birsch’n auf d’ Rainalm hab’n si guat rentirt, möcht’ a so eine mach’n! No, jetzt giebt’s do amal a lustige Hochzeit und a Schiaß’n, denn das muaßt halt’n – Du muaßt Di do zu guat’r Letzt no ordentli ausschiaß’n!“

Auch David war da, eben drückte er sich durch die Menge; er hatte auch die Neuigkeit gehört und wollte seine Glückwünsche anbringen.

„Is der Mathias net da?“ fragte ihn Rupert.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_111.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)