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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Na, Herr Rupert, der is nach M… ganga zu sein Bas’l (Kousine), wie er g’sagt hat’ dem muaß a was durch d’n Kopf gehn der hätt sonst heut’ net g’fehlt!“

Das verstimmte den Jäger, daß Mathias nicht da war; er ahnte, wo er war – beim Wildern! Sein Pflichtgefühl regte sich, sein Jägerehrgeiz – immer wieder von diesem Burschen gefoppt zu werden! Er gehörte am Sonntag ins Revier, nicht auf den Tanzboden, und wie ihn auch die Verhältnisse entschuldigen mochten, es setzte doch einen Verweis, wenn’s der Förster erfahren würde. Seine Gedanken waren draußen, er fühlte sich nicht mehr wohl da. Anna merkte seine Verstimmung.

„Ja was hast denn jetzt an so an glücklich’n Tag? G’wiß hat Dir der Reiser wied’r eppas in d’n Kopf g’setzt!“

„Der Mathias is net da,“ entgegnete er, „Du weißt so guat wia i, wo er is!“

„Aber laß do den Mathias sei, wo er will, was kümmern Di denn jetz no die Dummheit’n! Sei froh, daß Du’s los werst!“

„Net so, Anna , no bin i im Dienst und möcht’ net mit Unehr ’raus gehn, und dem Mathias möcht’ i’s gern no zeig’n, eh’ i geh’.“

Ihre Mühe, ihn aufzuheitern, war umsonst; auf jedem Gesicht glaubte er ein spöttisches Lächeln zu bemerken, das ihm galt; er wußte ja, daß sie ihn Alle nicht leiden konnten, besonders seit heute, und so fand er versteckte Bosheiten in den harmlosesten Worten der Leute.

Zuletzt sah Anna ein, daß es besser sei zu gehen, am Ende fing er gar noch Händel an. Auch war es schon bald gegen sechs Uhr, und sie wollte nicht so spät nach der Alm kommen.

Sie gingen zuerst nach Hause, um der Mutter Adieu zu sagen, die erstaunt war über ihre frühzeitige Rückkehr.

„Seid’s vernünfti, Kinder!“ sagte sie, „Du Anna, vergiß über die Liab net d’ Wirthschaft auf der Alm, und Du, Rupert, net Dein Dienst, so lang Du dafür bezahlt werst. Du sollst in Ehr’n entlass’n werd’n i möcht’ net, daß heißt: mei Tochter hat Di nachlässi g’macht; ich hab’ scho so was g’hört, weißt! No, die vierzehn Tag wirst Di wohl no z’samm nehma könna!“

Die Beiden versprachen Alles. Rupert war von den Vorwürfen, die er sich die ganze Zeit schon selber gemacht und die er jetzt auch von der alten Frau hören mußte, bitter getroffen.

„I werd die Leut scho zeig’n, Muatta, daß der Rupert no Jag’r is! Verlaß Di d’rauf! Nächst’n Sonntag werd’ i kam komma, da will i amal im Revier bleib’n! – Jetz b’hüat Gott, Muatta, und no amal taus’nd Dank für Dei Guatheit! Du sollst’s g’wiß net bereu’n, was than hast!“ Der Abschied war kurz, es ging ja nicht weit.

Die Sonne war schon hinter den Felsschroffen verschwunden. Ein kühler Luftzug wehte von den Bergen her; es war ein herrlicher Weg an diesem späten Sommerabend. Zuerst zwischen Heuhaufen hindurch, deren aromatischer Duft Alles umwogte; dann dem Fußsteig nach über die Matten und weiter hinauf durch die mächtigen, schon dämmernden Hallen des Hochwaldes, die nur dann und wann noch einen Lichtschein durchließen. Die Beiden waren ganz in sich verloren, unbewußt nur gingen sie den gewohnten Weg. Plötzlich dröhnte ein Schuß durch die abendliche Stille; ein zweiter folgte; Nachtvögel flogen erschreckt auf aus den dunklen Wipfeln; ein Reh schallte im Dickicht. Rupert fuhr jäh in die Höhe. Die Schüsse waren in seinem Reviere gefallen seiner Berechnung nach dem Wolfsschlage zu, hinter der Rainalm, und Wilderer mußten es gewesen sein; das Personal war ja alles unten in S.! Ein heißer Strom schoß ihm zu Häupten – das war ja der reine Hohn!

„Mathias is, koan Andrer,“ sagte er heftig zu Anna. „I will glei in d’n Kob’l schau’n, ob er da is – is er net da, so erwart i ihn und wenn d’ Sonn drüber aufgeht!“

Er stürmte voraus, dem Arbeitsplatz zu. Anna konnte ihm kaum folgen in der Finsterniß. Endlich erreichten sie nach langem Herumstolpern über Wurzeln und Gestein den Schlag.

Im Kobel brannte Feuer, und ein Mann bewegte sich davor; er erschien schwarz in dem grellen Schein. Rupert betrachtete ihn genau, er glaubte zu seinem Erstaunen Mathias zu erkennen; auch Anna sah angestrengt hin. Die Gestalt verschwand jetzt wieder. Rupert sprang eilig über den Schlag, Anna zurücklassend, die langsam nachfolgte.

Näher gekommen, fand Rupert den alten Toni, der eben kochte, und – er traute seinen Augen kaum – Mathias, der das Feuer schürte.

Diesmal war er’s also gewiß nicht, vielleicht auch sonst nicht; der es heute war, konnte es auch früher gewesen sein – am Ende hatte er Mathias doch Unrecht gethan! Es reute ihn fast, ihn so verdächtigt zu haben.

„Gut’n Abend, Leut!“ sagte er beim Eintreten, „habt Ihr kein Schuß g’hört vor a paar Minut’n?“

„Ja wohl, Herr Rupert!“ entgegnete Mathias, „den hab’n ma g’hört, gegen d’n Wolfsschlag zua – zwei hinter anand – ja, die Tiroler hab’n halt a g’wußt, daß was los is in S.,“ er konnte seine Freude darüber kaum verhehlen, „schad’, daß i da bin – sonst heißat’s glei: der Mathias war’s!“

Rupert mußte seinen Aerger verbeißen, diesmal war Mathias in seinem Recht. Unterdeß war auch Anna eingetreten.

„Na, da is er ja!“ sagte sie in ihrer offenen Weise, als sie Mathias erblickte, „mir is ordentli a Stoa vom Herz’n, daß Du da bist!“

„Aha,“ entgegnete dieser, „da hab’n ma’ ’s scho! d’ Anna kann si net verstell’n – natürli – i hab’s sei müass’n.“

Das waren neue Keulenhiebe für Rupert; also sein Revier war der Tummelplatz aller Wilderer: der Rupert is ja net z’ fürcht’n!

„Und warum glaubst Du,“ fragte er plötzlich Mathias, „daß das Tiroler war’n?“

„Weil i zwoa über d’ Laanaschneid hab einasteig’n sehn heut Nachmittag, wia i mei Bas’l b’suacht hab in M…! – Ja, die hab’n a woltere Schneid; de brauchas s’ d’erwisch’n und wann’st d’ as d’ erwischt, nachher hoaßt ’s erst aufpass’n; dö san net verleg’n um a Kugel; der Leonhart hat ’s erfahr’n.“

Rupert stand auf und reichte Mathias die Hand.

„Des mal hab i Dir Unrecht than, ob all’weil, woaß i net. Die vier Woch’n, wo i no Jag’r bi, werd i auf allerhand kumma, verlaß Di d’rauf!“

Mathias sah erstaunt auf – ein Gedanke blitzte in ihm auf, daß ihm das Blut in das Gesicht trieb.

„Nur mehr a paar Woch’n? Und nacher?“

„Nacher bin i Langbauer!“ erwiederte nicht ohne Stolz der Jäger.

Mathias sah starr auf die Beiden. Der alte Toni verschüttete fast das ganze Schmalz vor Staunen.

„No da gratulir i!“ preßte Mathias mühsam hervor, sich zu Anna wendend, „das is schnell ganga! Wer hätt dös dacht vor an Jahr, wie wir am Leonharditag auf der ‚Post‘ war’n mit anand und mit anand auffigang’a san auf d’ Alm, wie Du heut’ mit ’n Rupert!“

Er sah Anna durchdringend, fast drohend an, daß sie verlegen wurde.

„Was doch a Jahr all’s ändern kon!“

Auch dem Jäger war die Wendung, die jetzt das Gespräch zu nehmen drohte, sehr unangenehm. Er wußte wohl, daß vor ihm Mathias in einem nähern Verhältniß zu Anna gestanden hatte. Es war ihm nicht eingefallen, darüber nachzugrübeln; auf der Alm ist es einmal so, und man ist nicht so skrupulös im Gebirg. Jetzt auf einmal kam ’s ihm, daß Mathias ihn hassen müsse als seinen Nebenbuhler.

„Schau, schau, die alt’ Langbäuerin – hat di a der Zeit nachgeb’n müass’n! Das, wann der Hanns wüßt’, im Grab draha’t er si no um in sein Stolz!“ sprach der alte Toni vor sich hin.

Rupert nahm Anna am Arm und ging; es war ihm nimmer recht heimlich hier.

Draußen war jetzt pechschwarze Nacht; in der Ferne grollte der Donner; ein Gewitter war im Anzuge, und schon fielen schwere Tropfen raschelnd auf das Laub.

„Siehst, daß den Mathias Unrecht thun hast!“ begann Anna, „i hab’ D’r ’s ja g’sagt!“

„Laß mi do mit d’m Mathias in Ruah! A Lump is er do!“ rief erregt der Jäger, „wann i mi a heut g’irrt hab; übrigens sag a mal –“ er blieb stehen und ergriff beide Hände des Mädchens – „wie weit bist Du eigentli komma mit dem Mensch’n; er hat ja grad ’than, als hätt i Di ihm weg’g’schnappt; sag’ mir ’s ehrli, Anna!“

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