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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 8.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Herzenskrisen.

Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Im Salon warf Hortense ihre Sachen auf den Tisch und setzte sich in eine Sofa-Ecke.

„Meine arme Hortense!“ sagte Lucie weich. Die junge Frau winkte hastig mit der Hand, zu schweigen.

Lucie brannte der Boden unter den Füßen; wenn sie die Macht hätte, so müßte Hortense jetzt gleich die Koffer packen und mit ihr reisen, sei es auch nach Wien – nur fort!

Jetzt klopfte es und gleich darauf trat der Kellner ein; er brachte eine Visitenkarte. „Der Herr wünscht den Damen seine Aufwartung zu machen.“ – Lucie sah unsicher zu Hortense hinüber. „Nimmst Du Besuch an?“ fragte sie.

Die junge Frau erblaßte. „Wer?“ stieß sie hervor.

„Waldemar Weber, unsere Reisebekanntschaft aus Venedig.“

Sie sank zurück. „Ich bedaure sehr,“ sagte sie. Der Kellner verschwand.

„Ich wollte es Dir vorhin schon erzählen, Hortense,“ begann Lucie; „er ist wirklich wieder da, ich traf ihn vor der Sixtina; er schien ärgerlich, daß wir ihn auf falsche Fährte gebracht hatten; Gott weiß, wie er unsere Spur nun doch entdeckt hat!“

Hortense antwortete nicht. Da kam Lucie herüber zu ihr, kniete vor ihr nieder und sah ihr ins Gesicht. „Nun will ich Dich bitten, Hortense, laß uns doch nach Wien reisen, aber bald – ja?“

„Warum?“

„Weil Dir Dresden verleidet sein muß, armes Herz.“

„Daß ich nicht wüßte,“ sprach die junge Frau mühsam und stand auf. „Ich – ich bleibe hier.“ Sie ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, sie suchte mit aller Gewalt Herr über sich zu werden. Dann nahm sie die Karte von Weber empor. „Narr!“ sagte sie und warf sie wieder hin.

„Dort steht auch der Name seines Gutes, den wir immer nicht verstehen konnten,“ bemerkte Lucie, „Schloß Woltersdorf, Thüringen.“

Hortense horchte flüchtig auf. „Woltersdorf? Ach ja, es muß in der Gothaer Gegend sein. Vor einigen Jahren war es zu verkaufen; ich glaube, die Grafen P., die es seit zwei Jahrhunderten besaßen, wurden bankerott. Papa wollte mich bereden, es zu kaufen; ich war damals auch sehr entzückt von der Besitzung: die reinste Rokokoträumerei, die Du Dir denken kannst. Dann vergaß ich die Sache, und später hörte ich, daß ein Frankfurter Großkaufmann es an sich gebracht hat. Der wird der bewußte Waldemar Weber wohl sein.“

Lucie, die glücklich war, daß die junge Frau überhaupt wieder sprach, umarmte sie herzlich. „Hortense,“ sagte sie neckend, „dieser Waldemar Weber ängstigt mich. Weißt Du, er ist bodenlos verliebt in die Idee, Dich zu seiner Schloßherrin zu machen.“

Hortense lachte wirklich ein wenig. „Mich? Wenn er Dich nur nicht meint! Gleichviel, dann müßte er uns Beide nehmen, und da das nicht geht, lassen wir ihn allein ziehen.“ Sie fuhr sich schon wieder mit der einen Hand an die Schläfe und drängte mit der andern das Mädchen zurück. „Laß mich! Laß mich, ich habe Kopfschmerzen!“

Ludwig Ganghofer.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_117.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)