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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Käuzlein, zum Nachtgejaide rief, da trieb meine jugendliche Phantasie ihre Blüthen, so seltsam und zahlreich wie der Waldgrund seine Pilze treibt nach einer lauen Regennacht!“ Aber bis man überkommene Reichthümer verwalten lernt, hat man mit sich und seinem Besitze Manches auszukämpfen. Die Natureindrücke der Kindheit wirken fort, Enthusiasmus und Melancholie weckend; das Künstlerblut treibt zum Schaffen und zum Gestalten. O dieses Gähren zwischen Wollen und Empfinden widerstrebt lange aller Disciplin und Philosophie. Man macht verzweifelt traurige Verse, die zu den rothen jugendlichen Wangen einen fast komischen Kontrast bilden; man wirft sich auf den derben Fischart und übersetzt den empfindsamen Musset. Längst schon ist man der glückliche Besitzers eines Doktorhutes; aber noch immer taumelt man auf den ausgetretenen Pfaden der Poetik dahin, berauscht von eingebildeten Schmerzen und abgelenkt von nicht eingebildeten Wonnen. Verse sind schnell gemacht und der leichtgefundene Reim bläst sich auf, als umschlösse er das Geheimniß der Kunst. Ach Gott, die liebe blonde Jugend, die kaum erst den Schläger aus der Hand gelegt, ist über Nacht mit einem Bande von Gedichten fertig, und wenn sie selber, wie noch vorgestern knapp am Katzenjammer, laut aufstöhnt bei dem Klange ihrer eigenen Verzweiflungslyrik, wenn zärtliche Mägdlein im Englischen Garten dazu Thränen der Rührung träufeln, dann ist das Bild von Sais siegreich entschleiert. Aber dann kommt eine Stunde der Bedenklichkeit und dann noch eine, und aus den Stunden werden Tage, Wochen, Jahre, und die Welt hat plötzlich ein anderes Gesicht; man hört und sieht, was man vorher kaum geträumt. Das Geschaute will sich nicht mehr in die Enge vierzeiliger Strophen fügen, es sprengt, sich gestaltend, den knappen lyrischen Rahmen, und wie von selbst erbietet sich die novellistische Form, die unbeengte Sprache der Prosa, zu fassen, was dem Jambus und Trochäus überquoll.

Als Ludwig Ganghofer im Jahre 1879 seine erste Novelle, den „Herrgottsschnitzer von Oberammergau“ geschrieben hatte, da war der rechte Weg gefunden, seine litterarische Physiognomie ward erkennbar, wenn auch noch mancher Strich und mancher Zug an ihr sich zu verschieben und zu vertiefen hatte.

Und dann kam wieder eine Stunde – ich meine, es war im Café Maximilian zu München, wo die Kellnerinnen mit ihren verschlafenen Gesichtern und ihren Geldtäschchen so lautlos von Tisch zu Tisch gleiten – da setzte sich in dem Kopfe des jungen Poeten die Geschichte von Pauli, dem Schnitzer, und Loni, der spröden Magd, in ein Drama um, in ein „Volksschauspiel“, dem auch Auerbach seinen Patriarchensegen nicht vorenthielt. Von der Lyrik zur Novelle, von der Novelle zum Drama – es ist wie der gewiesene Weg, den die Dichtung selbst schreitet, um sich und ihre Wirkungen zu erhöhen … Ich habe drei Stücke Ganghofer’s auf drei verschiedenen Bühnen in drei verschiedenen Städten gesehen, in Berlin den „Herrgottsschnitzer von Oberammergau“, in Wien den „Proceßhansel“, in München den „Geigenmacher von Mittenwald“; überall beobachtete und empfand ich eine starke Wirkung; nirgends schien der Dramatiker abhängig zu sein von der Unterstützung durch die Darsteller. Liegt in dem Volksschauspiele, in der dramatisirten Dorfgeschichte an und für sich eine so eindrucksvolle Kraft, daß es der scenischen und schauspielerischen Mittel weniger bedarf als Lust-, Schau- und Trauerspiel? … Es ist ein lauer Sommerabend; ich sitze mit einigen Freunden im Garten des Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters. Ein und aus strömt die Menge während der Zwischenakte, diese angeblich kalte, kritische, unempfängliche Menge des Berliner Theaterpublicums, und voll strömender Beredsamkeit preist sie das bayerische Stück, das ihr darin vorgeführt wird … und etliche Jahre später sehe ich im Münchener Gärtnertheater wiederum ein Stück desselben Genres und desselben Dichters, und wiederum braust ein mächtiger Beifall durch das Haus … Die verketzerte, geringgeschätzte, zurückgesetzte Dorfgeschichte, die neuartige tendenzlose Dorfgeschichte von heute hat sich durch die Bühne legitimirt, unter dem gefährlichen Lampenschein, der so grell auf das Unzugängliche und so belebend auf das echte niederscheint. Und so wahr es ist, daß schlechte Stücke durch gute Schauspieler nur nothdürftig über Wasser gehalten werden können, so gewiß wird es mir, daß gute Stücke durch schlechte Schauspieler nicht zu tödten sind, da ich an einem dritten Abend in Wien den „Proceeßhansel“ in ungehörigster Weise mißhandeln sehe. Wie Themistokles dem ehrwürdigen Ephialtes, der mit einem Stocke auf ihn eindringt, entgegenruft: „Schlag’ zu, aber höre!“ so ruft aus einem guten Stücke der Dichter über den schlechten Schauspieler hinweg dem Publikum zu: „Glaube mir, nicht ihm!“

Ich blättere in dem Buche des zweiunddreißigjäbrigen Dichterlebens, das Ludwig Ganghofer’s Namen als Aufschrift trägt, von den lyrischen Gwewaltthätigkeiten der Sturm- und Drangzeit bis zu den durchgereiften Novellen von heute, zum „Edelweißkönig“ und zu dem zweibändigen Roman „Die Sünden der Väter“, und je länger ich blättere, desto langsamer wenden sich die Seiten. Wie hat sich doch in der knappen Frist von acht Jahren das Alles vertieft und entwickelt! Da kann von sogenannten glücklichen Würfen nicht mehr die Rede sein, es ist ehrliche, vorwärtsstrebende, erfolgreiche Arbeit. Aechzend und mit schweißtriefender Stirn macht der Bergsteiger Halt, wenn er droben, in einer Höhe von zweitausend Metern, plötzlich den klaren Spiegel des Funtensees erblickt. Auf dem Wege ist manche Lawine dumpfrollend hinter ihm niedergegangen, der Bergstock zitterte in seiner Hand und unter seinem Fuße bröckelte das tückische Gestein. Jetzt klappert inmitten der ungeheuren Oede die Mühle am See, die höchste auf dem Erdenrund, und aus den Wellen meint er sie geisterhaft aufragen zu sehen, die bleichen Arme der blonden Wilddiebin Burgei. Der Watzmann aber und der Hochkalter und der Göll schauen mit ihren weißen Häuptern unverwandt herüber, einer über die Schultern des anderen, und sie schauen vielleicht noch weiter und weiter, bis zum „Kaunitzbergl“ nach Wien, wo ein Zwerg von einem Menschenkinde ihre Schicksale und Geheimnisse ausplaudert, als hätten sie selbst ihm diese Schicksale und Geheimnisse verrathen. Ach ja, ihr weltfremden, verwitterten Riesen, der Poet ist euer Meister; ihr seid stumm wie die Ewigkeit und redet doch dem lauschenden Ohre des Dichters – in einer Sprache freilich, die nur er versteht.




Ein verhängnißvolles Blatt.

Erzählung aus den bayerischen Bergen von Anton Freiherrn v. Perfall.
(Fortsetzung.)
3.

Am andern Tage ging Rupert zum Förster, seinem Vorgesetzten, zeigte ihm seine Verlobung an und bat ihn um seine Entlassung bis 1. September. Dieser, ein im Dienste ergrauter, pflichttreuer Forstmann, empfing ihn nicht sehr freundlich.

„Hab’s schon g’hört,“ begann er, „daß Du am Sonntag auf der ‚Post‘ warst, so, das is freilich a gute Zeit für die Wilderer, wenn der Jäger am Sonntag zum Tanzen geht! Das hätt’ doch kein Gut mehr than mit Dir, ich hätt’ Dir’s heut so wie so sag’n müss’n. Alle Tage fast hört man Schüsse im Revier oder find’t ein ang’schoss’nes Wild! Ich hätt’ Dir wirklich mehr Ehrgeiz zutraut, Rupert! Wie ich no jung war, mich hätt’ so was zu Tod g’wurmt!“

„Und meina’s, Herr Förster, mi wurmt’s net?“ entgegnete Rupert, „aber was will i denn mach’n, der Mathias –“

„Laß mich aus mit dem Mathias,“ fiel ärgerlich der Förster ein, „gestern war’s der Mathias net! – der soll Alles ausessen – natürlich! Mach’ wenigstens jetzt bis 1. September Dein Dienst fleißig, ich kann kein Nachseh’n hab’n weg’n der Anna, und später habt’s Zeit g’nug zum lieb hab’n!“

Rupert war ganz zerknirscht von diesen Vorwürfen, deren Berechtigung er wohl fühlte.

„Verlass’n’s Ihna d’rauf, Herr Förster, die Woch’ bring’ i no oan,“ sagte er, fast weinend vor Zorn und Schamgefühl, „gilt’s was mag, so will i selb’r net aus ’n Dienst geh’n! Nur acht Tag lass’n’s mir Zeit, Herr Förster, wenn i nacher no nix z’weg’n ’bracht hab’, nacher dürfen’s mi an schlecht’n Jaga hoaß’n!“

„Nur net so hitzig, Rupert,“ entgegnete der Förster, „mit der Hitz fangt man kein, ich kenn’ die G’schicht’ aus Erfahrung! Thu’ Dei Schuldigkeit, mehr verlang’ ich net! Jetzt adieu!“

Er neigte sich wieder über seine Akten und schrieb weiter, der Jäger verließ die Kanzlei.

Fangen mußte er den Wilddieb noch vor seinem Abschiede, das stand fest. Den ganzen Weg vom Dorf bis auf die Rainalm, wo er der Anna gleich auf mehrere Tage Adieu sagen wollte, überlegte er angestrengt, wie es am besten anginge. Daß Mathias gestern nicht dabei war, verwirrte ihn, vielleicht war er auf ganz falscher Fährte. Anna traf er in vollster Arbeit, sie war wieder so heiter wie immer. Er hatte gestern ganz Recht: wenn die Sonne scheint, wird Alles wieder anders.

Er hielt sich nicht lange auf.

„Vor drei Tag’n wirst mi schwerli seh’n, Anna, hab’ koan Angst deßweg’n und vergiß den Rupert net!“ Er gab ihr einen Kuß und eilte davon, gefolgt von „Gams“.

Absichtlich vermied er den Arbeitsplatz der Holzknechte – sie brauchten nicht zu wissen, wohin er ginge – und schlug die entgegengesetzte Richtung ein, in die Berge. –

Zwei Tage vergingen. Anna hatte so viel zu thun, daß ihr die Sehnsucht nach ihrem Geliebten nicht ankonnte; sie war eine gesunde Natur, die sich mit Nachdenken überhaupt nicht plagte.

Mathias kam nicht mehr, um Butter oder Milch zu holen, wie gewöhnlich, sondern der kleine David, der konnte ihr nicht genug des Guten von Rupert erzählen: was das für ein braver Mensch sei und wie gern er sie hab’! Er sprach fast zu viel, als daß er es ehrlich hätte meinen können, so kam es Anna vor. Auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_124.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2023)