Seite:Die Gartenlaube (1887) 131.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Feuer hatte sie gemacht. Es scheint, daß die Neustädter Hausfrauen dies am Wäschetag selbst besorgen.

An jenem Tag hatte ich übrigens den Küchenzettel mit vieler Schlauheit komponirt, auch ehe ich wußte, daß es mir obliegen würde, ihn „zur Erscheinung zu bringen“. Hugo sollte nichts vom Wäschetag merken, es gab also: eine Reissuppe, die von selber kocht, Ochsenfleisch, dessen Zubereitung ich mir allenfalls zutraute, mit einer Senfsauce, die ich auch für Papa öfters gemacht hatte, und dann – es leben die Konserven! – grüne Erbsen und Zunge. Ein bischen Dessert stand noch im Büffett.

Ich hatte also meine große Küchenschürze angezogen, mit einigen Aesten aus dem Walde der Schwierigkeiten Feuer gemacht, Wasser für das Fleisch und Reis zugesetzt nach Anweisung meines Kochbuches, die Küche aufgeräumt und bei dieser Gelegenbeit allerhand Hamsterplätzchen entdeckt, wo Rike verschimmeltes Fleisch, schwarz gewordenes Rothkraut, den Rückstand von Kartoffelpüree und einige versteinerte Dampfnudeln in schönem Durcheinander verwahrte, weil es offenbar „schade zum Wegwerfen“ war. Nebenbei fand ich auch eines meiner schönen Kristallgläser, das mit abgeschlagenem Fuß im Kehrichtkasten lag.

Sobald ich mich einmal fest genug fühle, werde ich diesem „Juwel“ gegenüber eine andere Haltung annehmen. Rike’s berühmte Ordnung und Reinlichkeit ist gar nicht weit her, man könnte Alles anders und besser thun. Aber vor der Hand darf ich Nichts sagen: sie kann kochen und ich nicht!

Es ging mir übrigens an jenem Morgen auffallend gut von der Hand; das Ochsenfleisch machte seine vorschriftsmäßigen Stadien durch; ich klopfte, verschäumte, that das Grüne hinein, vergaß nicht einmal zu salzen und zog mich nach einer Stunde wieder ein Bischen ins Zimmer zurück, weil es ja genügte, das Feuer zu unterhalten. Drinnen räumte ich auf, deckte vorsorglich den Tisch, damit Hugo gewiß keinen Moment warten müsse, und freute mich schon sehr auf seine Lobsprüche, wenn Alles recht gut und schmackhaft wäre. „Der Weg zum Mannesherzen geht immer durch den Magen,“ pflegt Tante Gustel bei solchen Gelegenheiten zu citiren. Der Briefträger kam auch, brachte allerhand von zu Hause, auch eine neue Modezeitung, in der ich mir rasch die reizenden Winterkostüme ansehen mußte, mit alledem versäumte ich mich etwas, bis auf einmal ein brenzlicher Geruch von der Küche her in meine Nase drang und ich, aufsehend, den Uhrzeiger schon auf Zwölf fand. Heiliger Gott! Nun heißt es, sich eilen!

Ich rannte hinaus – richtig; doch was dort in den Töpfen geschehen war – das, meine Liebe, bleibt – Küchengeheimniß.

Und während ich die verheerende Wirkung der unbezähmten, unbewachten Feuersmacht erst überschaue, höre ich Hugo die Gangthür öffnen. Daß mir sein Erscheinen jemals einen solchen Schreck einflößen könne, hätte ich noch Tags zuvor für eine niederträchtige Lüge erklärt. Aber nun! Mein ganzes, verzweifeltes Bestreben war, ihn ferne zu halten und zuerst die kurzen Minuten zu benutzen, bis er seinen Ueberrock abgelegt und einen Blick auf die angekommenen Briefe gethan hatte. Aber eitel war dieses Hoffen, da steckte er schon den Kopf berein:

„Nun, kleiner Schatz, bist Du bald fertig? Ich habe einen tüchtigen Hunger mitgebracht.“

Wir sind doch schauderhafte Heuchlerinnen, Marie. Natürlich machte ich ein sehr lustiges Gesicht, lief hin, versperrte ihm die Aussicht auf den Herd und sagte, indem ich meinen Kuß in Empfang nahm: „Gewiß, noch eine kurze Geduld, und wir können essen.“ Und nun versuchte ich mit wahrer Todesverachtung zu retten, was noch zu retten war. Eifrig setzte ich meine Bemühungen fort, da schellte es an der Gangthür und ich mußte öffnen. „Ach, um Alles in der Welt, nur jetzt keinen Besuch!“ schrie es in mir, als ich hinlief. Und richtig! ein Sammetpaletot, ein schwarzseidenes Kleid und eine imposante, etwas gelbliche Miene, die von einer Kopflänge höher, als meine kleine Person, herunter fragte, ob die Frau Assessor wohl noch für einen Augenblick zu sprechen sei.

Es war Fräulein Frida Berghaus, die Nichte des Oberamtmanns, die früher in der Residenz lebte, dann hierher kam, um des Onkels Haushalt zu führen und, wie ich im Stillen glaube, nicht abgeneigt gewesen wäre, dieses Geschäft in einem andern Hause fortzusetzen. Hugo sagt zwar, das sei eine grundlose Einbildung; allein ich sah ihre Blicke, als sie uns zum ersten Besuch empfing. So ’was hat man ja doch gleich weg.

Nun, die stand also jetzt vor mir und, solltest Du’s glauben, mitten in meiner Pein und Qual ging mir plötzlich eine Erleuchtung auf, daß Fräulein Berghaus mein rettender Engel werden könne. Mit großer Freundlichkeit sagte ich ihr, die Küchenpflichten hielten mich zwar noch gefesselt, allein mein Mann sei im Wohnzimmer, sie möge nur eintreten, ich würde gleich nachkommen. Sie ließ sich nicht lange bitten – und nun war Zeit gewonnen!

Die kostbaren Minuten wußte ich wohl zu benutzen und fand, daß uns Frauen das Küchengenie doch angeboren ist. Ich konnte noch Vieles retten, und Du kannst Dir meinen Stolz denken, als ich das Fenster aufmachte und in gemessenem Herrschertone hinunterrief in die Wäscheküche: „Rike, kommen Sie jetzt herauf, das Essen ist fertig!“ In der Küche sah es freilich aus wie auf einem Schlachtfeld, das gebrauchte Geschirr, die Küchengeräthe lagen vom Herd bis zu der Thür überall umher, aber das kümmerte mich nicht mehr. Schnell, die Hände gewaschen, die Schürze ausgezogen – einen Augenblick später stand ich im Wohnzimmer mit einer leichten Entschuldigung gegen Fräulein Frida: der „Wäschetag ist ja hier eine geheiligte Institution“. Sie erwiederte mit übertriebener Freundlichkeit. „Ach ja, beste Frau Assessor, entschuldigen Sie selbst nur, daß ich so ungelegen komme, ich wußte, daß Sie große Wäsche haben,“ (So? spricht davon die ganze Stadt?) „und bin nur gekommen (um zu sehen, wie sich die dumme junge Frau dazu anstellt?), um zu fragen, ob Sie Beide uns für Donnerstag Abend das Vergnügen machen wollen“ etc.

Wir wollten ihr das Vergnügen machen, sie schoß noch einige kontrollirende Blicke in den Zimmerecken herum und besonders über den Speisetisch hin, den ich so nett und appetitlich, als möglich, gedeckt hatte. Hugo sagte ahnungslos und sehr vergnügt: „Heute hat meine Frau gekocht, das wird viel besser schmecken als gewöhnlich!“ Und dabei sah er so hübsch und glücklich aus, seine braunen Augen glänzten vor Befriedigung; er ist doch das Bild eines schönen, prächtigen Mannes. Wenn Fräulein Berghaus sich bei diesem Besuch etwas über unser Verhältniß orientiren wollte, so war ihr dies vollkommen gelungen. Und doch, das wirst Du mir nachfühlen, faßte mich eine Empfindung von Bedauern als ich ihr krampfhaftes Abschiedslächeln sah. Womit habe ich es verdient, so viel glücklicher zu sein, als sie?

Dann setzten wir uns zu Tisch und meine, mit so viel Herzklopfen dem Verderben entrissenen Gerichte erschienen. Hugo fand eines ums Andere gut, herrlich, vortrefflich und war in einem Erstaunen über seine geschickte, kleine Frau, der er Alles dies nicht zugetraut hatte. Ich ließ mir seine Lobsprüche von ganzem Herzen schmecken; im Uebrigen war mir der Appetit so ziemlich vergangen.

Für heute genug und übergenug.

Mit tausend Grüßen 
Deine Emmy. 




Blätter und Blüthen.

Das fünfundzwanzigjährige Jubiläum von Klara Ziegler. Am 22. Februar sind es fünfundzwanzig Jahre, seit Klara Ziegler in Bamberg zum ersten Male als Adrienne Lecouvreur die Bühne betrat. Der hervorragenden Darstellerin wird das ihr gebührende Recht zu Theil, wenn ihr Jubiläum vom deutschen Theater festlich begangen wird, für die Dichtung der Neuzeit hat sie das nicht gering zu schätzende Verdienst, das Stiefkind der Mode, die Tragödie, zu voller Geltung gebracht zu haben. Wo sie auf den Brettern erschien, da zogen die Heroinen im großen Stil mit ein, und manchem Musentempel, in welchem der Alltagskultus der leichtgeschürzten Lustspielmuse oder des zügellosen Schwanks vorzugsweise herrschte, hat sie mit ihrem Gastspiel eine höhere Weihe ertheilt. Klara Ziegler war die geborene Tragödin, man hat sie oft mit Charlotte Wolter, der Zierde des Wiener Burgtheaters, verglichen. Was dieser an Majestät und Macht der äußern Erscheinung fehlt, ersetzt sie durch die hinreißende Leidenschaftlichkeit, die elektrisirende Gewalt ihres Spiels.

Klara Ziegler ist am 27. April 1844 in München geboren; sie wandte sich im Jahre 1862 der Bühne zu, trat zuerst in Bamberg auf unter dem Namen Herzberg, gastirte als „Jungfrau von Orleans“ an dem Münchener Hoftheater und in Regensburg und nahm dann ein Engagement in Ulm an, wo sie bis 1865 blieb. Damals wurde die neue Volksbühne der Isarstadt, das Aktientheater, eröffnet: ihr Lehrer Christen hatte die Leitung des Instituts und gewann sie für dasselbe; schon am ersten Abend trat sie in dem Festspiel, durch welches das Theater eingeweiht wurde, als Isarnixe auf, eine Rolle, die sie durch ihre Erscheinung vollständig deckte. Eine geeignetere Vertreterin konnte sich der Stolz der Münchener nicht wünschen, ihre Isarnixe erinnerte in majestätischer Erscheinung an die Bavaria. Am Volkstheater fand sie indeß nicht die großen Aufgaben für ihr Talent; sie ging im Jahre 1869 nach Leipzig, wo sie ebenfalls das Neue Theater in dem Gottschall’schen Festspiel einweihen half, durch ihre Erscheinung, durch ihr prachtvolles Organ blendend und fesselnd. War sie schon vorher im Alten Theater als „Deborah“ aufgetreten, so fand sie doch erst in den Räumen des Neuen Theaters, auf dieser stattlichen Bühne den geeigneten Hintergrund für ihre künstlerischen Leistungen. Für ihre imposante Erscheinung war das Alte Theater nicht recht geschaffen und Theaterfreunde erinnern sich noch, daß in der Kirchhofscene der „Deborah“ die kleine dort angebrachte Kirche vor der Wucht ihres Spiels in ein bedenkliches Wackeln gerieth.

Hier in Leipzig spielte sie nach dem Festspiel am Abend der Einweihung des Neuen Theaters die „Iphigenie“, welche zu ihren Glanzrollen gehört: dies erste Theaterjahr im neuerrichteten Schauspielhause, die Glanzepoche der Leipziger Bühne, die nicht, wie man irrthümlich meint, unter die Direktion Laube, sondern unter die Direktion Witte fällt, schuf der jungen Künstlerin das Repertoire, welches sie später ihren Gastrollencyklen zu Grunde legte.

Damals füllten die Schöpfungen der großen Dichter, die Tragödien das Haus, und darstellende Kräfte wie Herr Barnay, Herr Herzfeld, Frl. Link und andere brachten sie in Gemeinschaft mit Klara Ziegler zu durchgreifender Geltung. Wie großartig war damals die Aufführung der Hebbel’schen „Nibelungen“! Die Nordlandsjungfrau Brunbild mit ihrer geheimnißvollen Runensprache war eine Prachtleistung der Darstellerin. Später bevorzugte Klara Ziegler bei ihren Gastspielen die „Brunhild“ von Emanuel Geibel, welche das ganze Trauerspiel bis zum Schluß beherrscht, während die Hebbel’sche Brunhild zu früh aus dem Drama verschwindet, um nicht den unentbehrlichen Triumph einer Gastspielerin am Schlusse der Vorstellung zu beeinträchtigen. Doch wenn sie mit dem melodisch-kräftigen Vollklang ihrer Stimme dem Wohllaut der Geibel’schen Verse besonders in der großen Hauptscene mit Kriemhild vollständig gerecht zu werden wußte, so hatte sie doch auch für den großen Wurf und die Leidenschaftlichkeit der Hebbel’schen Dichtungen die äußeren und inneren Mittel der Darstellung, wie ihre in vieler Hinsicht grandiose

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_131.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)