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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


der eine Flintenlauf war entladen, der andere gespannt; er hatte also auch geschossen – wohl gefehlt!

Alle möglichen Kombinationen wurden gemacht, wie das Ganze so gekommen sein konnte. Am Boden war kein Zeichen eines stattgehabten Kampfes zu finden. Rupert mußte unversehens auf den Wilderer gestoßen sein, mit dem ersten Schuß ihn gefehlt haben und dann von seiner Kugel gefallen sein.

Nur einen Augenblick kam Reiser der Gedanke an Mathias.

„Wo war denn der Mathias gestern?“ fragte er David.

„In M. bei seiner Bas’l!“

„Schon wieder! Daß der alle Sonntag auf einmal da ’nüber geht! Und d’ Schüss’ hat er net g’hört?“

„Wie er sagt, na!“ erwiederte kurz David.

Reiser schüttelte den Kopf.

„Der wird sicher ein Alibi nachweis’n müass’n; sonst kann er in Unannehmlichkeit kommen, obwohl ich net glaub, daß er damit was z’thun hat!“

Anna machte den Versuch, sich der Unglücksstätte zu nähern; aber kaum hatte sie ein paar Schritte gemacht, so befiel sie ein solches Grauen, daß sie wieder inne hielt; zuletzt bezwang sie sich doch und trat zitternd vor die Leiche, mit thränenvollem Blick die starren Züge des Geliebten durchforschend. Dann kniete sie nieder und betete laut unter Schluchzen ein Vaterunser; die Männer fielen mit entblößten Häuptern ein. Tiefer Ernst lag auf den rauhen Zügen, aber auch eine feierliche Ruhe. Das Leben in den Bergen ist rauh und gefahrvoll; vielgestaltig lauert der Tod, kein Jahr vergeht so ohne einen derartigen Unglücksfall, sei es, daß bei der gefahrvollen Holzarbeit Einer verunglückt, daß eine Lawine im Bergsturz Unheil anrichtet oder die Wilderei ein Opfer fordert.

Der Förster ließ von David und Toni ein Feuer machen, das Ungeziefer zu verscheuchen. Dann setzte man sich etwas abseits; es war doch zu peinlich, immer dieses Todtenantlitz zu schauen.

Anna suchte sich zu fassen, der Thränenstrom hatte ihre Brust erleichtert, und ihre starke Natur gewann allmählich wieder die Oberhand. Jetzt fiel ihr die alte Mutter ein, die wohl noch nichts von dem Unglück ahnte. Sie hatte sich mit dem Gedanken an die Heirath versöhnt und Rupert bereits liebgewonnen, wenn sie es nur nicht durch Jemand anders zu plötzlich erfährt – die Frau war alt, der Schreck konnte sie umbringen! An den Mörder dachte Anna nicht, was hätte ihr das helfen können! In ihren Augen war dieses Unglück eben das traurige Resultat des nie endenden blutigen Kampfes, von dem sie von Kind auf gehört – sie fühlte so wenig das Bedürfniß persönlicher Rache, wie ein Mädchen, dessen Geliebter vor dem Feinde auf der Wahlstatt bleibt, sie fühlte nur brennenden Schmerz und das Bewußtsein so großen Elends, wie sie es noch nie im Leben empfunden.

Es dauerte lange, bis die gerichtliche Kommission erschien; der ganze Nachmittag verging darüber. Endlich kamen sie, von Mathias geführt, der Gerichtsarzt, ein Assessor und ein Schreiber und machten sich gleich an die Feststellung des Thatbestandes. Zuerst wurde die Wunde untersucht, die Lage des Erschossenen notirt. Zu seinem Erstaunen gewahrte der Arzt einen Bleistift in der rechten geballten Hand des Todten; er wollte sichtlich noch eine Abschreibung machen, vielleicht den Mörder kennzeichnen. Wo war aber die Schrift? Er hatte wohl nicht mehr Zeit ein Papier hervorzuziehen, der Tod trat dazwischen. Sie durchsuchten ihm die Rocktaschen. Der Förster behauptete, er müsse so sein Dienstbuch bei sich haben, wo alle Begebenheiten und Vorkommnisse notirt werden, man durchwühlte die Taschen und fand nichts – das war auffallend!

Mathias verfolgte jede Bewegung des Arztes. Als man den Bleistift entdeckte, zuckte er zusammen. Niemand achtete darauf – nur David wußte, warum er erschrak. Hätte er das Buch nicht an sich genommen, wäre Mathias jetzt ein Verlorener. „Wie kann man aber a so dumm sei und net no amal nachschaugn, wenn eim scho’ so was passirt, er hätte das schlauer gemacht,“ dachte er.

Dann wurde jeder Grashalm gewendet, der Boden durchsucht, ob kein Fußabdruck zu finden, die Papierpfropfen, die im Barte hängen geblieben, sorgfältig aufbewahrt, es war der Abriß einer Zeitung dieser Gegend – das Kleinste kann so dazu dienen, dem Thäter auf die Spur zu kommen! Zuletzt wurde rasch eine Tragbahre gemacht, die Leiche darauf gelegt, mit einem Wettermantel bedeckt, und der düstere Zug bewegte sich dem Thale zu.

Mathias und David waren die Träger, die übrigen, Anna in der Mitte, folgten ihnen.

Mathias, sonst ein so kräftiger, unermüdlicher Bursche, mußte jeden Augenblick ausruhen; der Athem ging ihm aus, sein Gesicht war eben so blaß, wie das des Todten. Auf halbem Wege konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten, sodaß Reiser selbst Mitleid mit ihm hatte und ihn ablöste. Allen fiel es auf, daß der derbe Bursch durch dieses Ereigniß so angegriffen war, ja Anna rechnete es ihm sehr hoch an.

„Des zeigt von Deim gut’n G’müath!“ sagte sie, „daß Dir das Elend so z’ Herz’n geht. Os wart’s so do gar keine guat’n Freund, der arme Rupert und Du!“

Mathias antwortete nichts darauf, er wankte nun unbeobachtet hinter dem Zuge her.

(Fortsetzung folgt.)




Der Rastatter Gesandtenmord.

Von Professor Dr. Karl Theodor Heigel.

In der Geschichte giebt es Räthsel, denen sich die Forschung, von einer gewissen Jagdfreude angefeuert, immer wieder zuwendet, obwohl wenigstens dem einen und andern nicht einmal sonderliche Wichtigkeit zukommt. Welche Bedeutung hat Kaspar Hauser zu beanspruchen, nachdem wenigstens das Eine festgestellt ist, daß die Sage von seiner fürstlichen Abkunft auf eitel Klatsch beruht, und doch erscheinen immer wieder „neue“ Enthüllungen über das mysteriöse Findelkind, von deren jeder behauptet wird, daß sie den langen Streit zu schlichten im Stande sei. Auch heute ist noch nicht festgestellt, wer der in der Bastille schmachtende Mann mit der eisernen Maske war. Noch immer suchen die Forscher das „entscheidende Dokument“, welches Schuld oder Unschuld Wallenstein’s endgültig feststellen soll.

Zu diesen Räthseln der Geschichte gehört auch der Rastatter Gesandtenmord. Wie viele Forscher haben sich mit Aufspürung und Kritik der Quellen über dieses sensationelle Ereigniß beschäftigt; dennoch ist ein abschließendes Urtheil über Ursachen und Urheber der blutigen Katastrophe auch heute noch nicht zu fällen.

Immerhin sind wir in jüngster Zeit der Wahrheit näher gerückt, als es vor Auffindung einiger maßgebender Aktenstücke möglich gewesen war, und deßhalb dürfte eine kurze Belehrung über die cause célèbre an der Wende des 18. Jahrhunderts und den heutigen Stand der Forschung vielleicht willkommen sein.

Werfen wir zunächst einen Blick aus den tatsächlichen Verlauf.

Der am 17. Oktober zu Campo Formio unterzeichnete Friedensvertrag setzte dem zweiten Krieg der gegen die französische Republik verbündeten Mächte ein Ende; doch sollten die deutschen Angelegenheiten erst aus einem nach Rastatt berufenen Kongreß geordnet werden.

Am 9. December 1797 begann in dem badischen Festungsstädtchen jenes unwürdige Schauspiel, das von der Auflösung des Reiches wie von der politischen Moral der Fürsten, die sich in die Fetzen des altehrwürdigen Purpurs zu theilen trachteten, das traurigste Bild gewährte. Noch nie waren Selbstsucht, Bestechlichkeit, Arglist der Reichsstände so schamlos, so häßlich zu Tage getreten. „Lauter betrogene Betrüger,“ sagt Häusser, „vom Kaiser bis zu den Duodezfürsten herab!“

Weit entfernt, eine Gemeinschaft der Interessen und Ziele zu erkennen oder gar anzuerkennen, ging Jeder nur darauf aus, dem Nachbarn in der Gunst der Franzosen den Rang abzulaufen und nicht selten durch Mittel von zweideutigstem Charakter den eigenen Antheil am drohenden Verlust so klein, am erhofften Gewinn so groß wie möglich zu gestalten. Es handelte sich hauptsächlich um Entschädigung derjenigen Fürsten, die ihren Besitz auf dem linken Rheinufer verlieren sollten; denn die Anerkennung der „natürlichen Grenze“ Frankreichs, die Abtretung des gesammten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_144.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2023)