Seite:Die Gartenlaube (1887) 147.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


mit Fahnen, Thränenkrügen und Cypressenzweigen. Bei der Todtenfeier auf dem Marsfeld wurden die geretteten Frauen und Kinder der Ermordeten dem Volke vorgestellt, die zerfetzten Kleider Debry’s gezeigt und aufreizende Reden gehalten, bis die ganze versammelte Menge in wüthendes Geschrei ausbracht: „Rache an Oesterreich!“

Auch den zurückgebliebenen Diplomaten war es nach der Abreise Debry’s in Rastatt nicht mehr geheuer, sie verließen noch am nämlichen Tage die Kongreßstadt und begaben sich zunächst nach Karlsruhe. Hier unterzeichneten sie einen „gemeinschaftlichen Bericht“ über die Katastrophe, den der preußische Gesandte Dohm aus den Erzählungen Debry’s und der übrigen vom Ueberfall Betroffenen, aus den Aeußerungen der österreichischen Officiere etc. zusammengestellt hatte. Der Bericht ist im Ganzen objektiv gehalten, läßt aber – ein paar verdächtige Redensarten des Rittmeisters Burkard sind in den Originalen unterstrichen – die Ansicht durchblicken, daß man nicht an eine zufällige That einer übermüthigen, räuberischen Soldateska glauben könne, sondern die kaiserlichen Officiere als Mitwissende, demnach als Mitschuldige anzusehen habe. Das officielle Schriftstück wurde bald darauf auch dem Publikum bekannt gemacht, und zwar mit einigen Zusätzen, unter welchen einer besonders gravirend auftrat. „Ein glaubhafter Mann“ habe dem Herausgeber – als solcher ist der dänische Legationsrath Eggers, der selbst in Rastatt anwesend war, konstatirt – mit allen Einzelheiten erzählt, er habe in der Wirtschaft „Zum Engel“ in Rastatt am Tage des Begräbnisses den Mörder des armen Roberjot gesehen und gesprochen. Der Husar habe „mit vielen Thränen und unter Händeringen“ versichert, es sei „auf Befehl eines Officiers“ geschehen, der ihm, als er zauderte, den Kopf zu spalten gedroht habe.

Auch die französische Regierung ließ die vor Gericht deponirten Aussagen der nach Frankreich zurückgekommenen Frauen und Diener verdeutlichen. Deßgleichen wurde als belastendes Zeugniß gegen die Kaiserlichen die Aussage eines Schiffers Jean Zabern aus Straßburg gedruckt. Dieser, bei einer Fahrt den Rhein herauf von österreichischen Husaren zur Landung gezwungen, glaubte während seines unfreiwilligen Aufenthalts bei der feindlichen Truppe deutlich von einem Befehl vernommen zu haben, die französischen Gesandten zu ermorden; einer von den Soldaten habe geäußert, er selbst sei bei dem Gespräch mit den französischen Ministern anwesend gewesen und habe gethan, was er thun mußte …

Wie benahm sich nun solchem Verdacht, solchen offenen Anschuldigungen gegenüber das kaiserliche Kommando? Auf den Bericht des Husarenobersten über das Attentat „einiger raubsüchtiger Gemeinen“ verfügte Erzherzog Karl strenge Untersuchung und gab davon dem französischen Obergeneral Massena amtliche Nachricht. Der Husarenoberst und der Kommandant der in Rastatt eingezogenen Husaren blieben zwei Jahre lang in Untersuchungshaft; dann wurden sie freigegeben, befördert, darauf wieder Knall und Fall in Ruhestand versetzt; ein gerichtliches Urtheil wurde aber nicht bekannt gemacht, als ob es sich nicht der Mühe lohnte, sich um die öffentliche Meinung zu kümmern. Nur gelegentlich drang eine Aeußerung des Erzherzogs ins Publikum, der Ueberfall sei vielleicht gar nicht von wirklichen Husaren, sondern von verkleideten französischen Emigranten ausgegangen.

Ein paar Jahre später schien man sich in Wien zu offenerem Handeln aufraffen zu wollen. Auf Vorschlag des Ministers Thugut erging an die Reichsversammlung zu Regensburg ein Dekret, sie möchte einige Deputirte zu Theilnahme an der Untersuchung „eines so unerhörten und verabscheuungswürdigen Vorfalls“ abordnen, damit selbst der mögliche Verdacht irgend einer Konnivenz entfernt werde. Der lahme Reichstag begnügte sich aber, die ganze Angelegenheit dem „reichsoberhauptlichen Justiz-Eifer“ zu überlassen, und dieser trieb nicht mehr dazu an, ein Ergebniß der Untersuchung zu veröffentlichen.

Unter solchen Umständen kann es nicht Wunder nehmen, daß der Verdacht, das Attentat sei nicht nur durch kaiserliche Soldaten, sondern auch in kaiserlichem Auftrag vollzogen worden, in weitesten Kreisen fest wurzelte. Dohm glaubte sogar den eigentlichen moralischen Urheber zu kennen, den Civilkommissär im Hauptquartier, Graf Lehrbach, jenen geriebenen Intriguanten, der viele Jahre hindurch am Münchener Hofe in österreichischem Interesse die zweideutigsten Künste entfaltet hatte. Wenn von ihm das Verbrechen ausging, war auch die Absicht leicht zu errathen. Schon der Umstand, daß die Gesandtschaftspapiere aus den Wagen entnommen, in das Hauptquartier geschickt und erst nach längerer Zeit an die französischen Behörden zurückgegeben wurden, schien zu beweisen, daß es auf Wegnahme der Papiere abgesehen war.

Mochte aber auch diese Annahme, wie sich insbesondere aus den Berichten der Diplomaten aus Rastatt und Karlsruhe an ihre Hofe ersehen läßt, weit verbreitet gewesen sein, so fehlte es doch nicht an anderen Vermuthungen. In besonnenen Politikern mußte so unwillkürlich die Frage auftauchen: aus welchem Grunde hätte die kaiserliche Regierung eine so schwere Blutschuld auf sich laden sollen? Wenn es ihr um die Dokumente zu thun war: die Franzosen würden so wohl, wenn ihnen mit Säbel und Pistolen auch nur gedroht worden wäre, die Papiere herausgegeben haben; warum die Wehrlosen niederhauen lassen? warum durch grauenhaften Mord in der ganzen gebildeten Welt Aufregung und Entrüstung wachrufen?

(Schluß folgt.)



Blätter und Blüthen.

Reine auf den Lofoten. (Mit Illustration S. 135 und 136.) Der Reisende, welcher auf einem der schnellfahrenden „Touristenschiffe“ oder dem gewöhnlichen Postdampfschiffe, von Drontheim kommend, den Polarkreis bei den eigenthümlichen Inselgruppen der „Threnenstäbe“ passirt hat, nähert sich am späten Abend, wenn die Sonne kaum unter den Horizont getaucht ist, dem gewaltigen Vorgebirge Kunnen.

Um Mitternacht herrscht hier eine feierliche Stille. Die stundenlange Dämmerung, welche nichts ist als eine lichte Nacht, spielt mit tausend Lichtern auf der vielfarbigen Fluth. Ueber dieser weiten Fläche schwebt aber fern im Norden eine Reihe lichter Wölkchen, bläulich durchsichtig wie ein Nebelschleier: die Inselkette der Lofoten. In der That, sie liegen vor uns, klar, greifbar, trotz der Enfernung von beinahe 25 deutschen Meilen. So seltsam klar und durchsichtig ist die Luft in diesen nördlichen Breitengraden.

Am folgenden Vormittag nähern wir uns mehr und mehr diesem Archipel, der von der Hindö im Norden ab bis zu der Insel Röst im Süden einen flachen Bogen von Gebirgsinseln bildet, einer Kette von lauter ungeheuren Rückenwirbeln vergleichbar; wir sehen zunächst nichts als eine einzige, 3000 Fuß hohe Gebirgswand, rothglühend in der Morgensonne, weißgestreift und gesprenkelt von unzähligen Schneefeldern. Kommen wir näher, so löst sich diese „Lofotenwand“ in Tausende von gothischen Thürmen, Strebepfeilern, Fialen, Ecken, Wimpergen und Dächern auf. Wir blicken in blaue Fjorde, in thaltiefe Gründe. Oft ist oben aus dem Massiv des Granits gleichsam ein Stück herausgerissen; die kraterartigen Vertiefungen sind mit Schnee gefüllt, glatte Flächen lassen jeden Aufstieg unmöglich erscheinen.

Aber in den kleinen Buchten, an den „Vaagen“, wie sie hier und in Island heißen, wohnen die Menschen in ihren kleinen, aber sauberen, rothgetünchten freundlichen Häusern, wie wir sie auch auf unserm Bilde in der kleinen Ortschaft Reine sehen. Durch die hellen Fenster scheinen immer die schneeweißen Gardinten und auf dem Fensterbrett stehen blühende Blumen. Um die Kirche – sie sind hier selten – gruppiren sich die Wohnungen der „konditionirten Leute“: des Pfarrers, des Lensmanns (Amtsvorstehers), des Distriktsarztes. Daran schließt sich der „Gaard“ (Hof) des „Landhändlers“, des willkommenen Vermittlers alles dessen, was man unter Zivilisation versteht. Er ist ein Millionär; seine Tochter hat ihre Ausbildung auf dem Leipziger Konservatorium erhalten; im Frühling war er in Italien oder in Spanien.

Die Quelle dieses Reichthums aber ist der „Fisch“, der norwegische Dorsch (gadus morrhua), welcher die Liebenswürdigkeit hat, jedes Jahr im Februar und März aus den kalten Tiefen des Oceans zu den warmen Golfstrom-Küsten der Lofoten zu wandern, um hier zu laichen. Schon im Februar bringen die großen Dampfer Tausende von Fischern hierher, welche dem Fisch mit Garnen, Leinen und Handschnüren nachstellen. Oft verschlägt sie der Sturm, Hunderte missen das Leben. Aber der Verdienst ist zu groß, und was wagte der Mensch nicht für das Geld! So leben hier zwei Monate lang gegen 25 000 Fischer mit etwa 6000 Böten, und die Zahl der gefangenen Fische beträgt bis dreißig Millionen.

L. Passarge.



Eine Zigeunerkönigin. Wir kennen in Europa Zigeunermütter und Zigeunerhauptleute, und sei es auch nur aus der „Preciosa“: in Nordamerika giebt es aber eine Zigeunerkönigin, und nicht etwa bloß auf den weltbedeutenden Brettern. Auch hat dort vor Kurzem ein Thronwechsel stattgefunden. Unweit Jackson in Mississippi ist Mrs. Emma Stanley, die Königin aller amerikanischen Zigeuner, am 30. December 1886 gestorben, und da die Würde der Königin erblich ist, so folgt auf Königin Emma deren jüngere Schwester, Lucy Stanley, ein junges, hübsches und sehr gebildetes Mädchen, das bisher auf seiner Farm bei Evansville in Indiana lebte und auch fernerhin dort ihren Wohnsitz aufschlagen wird. Alle Zigeunerstämme, die das Land durchziehen, huldigten der neuen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_147.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2018)