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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 10.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. — In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. — In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 25 Pfennig.



Herzenskrisen.
Roman von W. Heimburg
(Fortsetzung.)


Am andern Morgen saß Hortense dem Mädchen gegenüber in ihrem kleinen Stübchen. Lucie hatte Kaffee und Buttersemmel herzugebracht, aber die junge Frau genoß nur wenig; sie zog fröstelnd das Tuch um ihre Schultern und sagte. „Wie hältst Du es aus hier, Lucie?“

Das Mädchen sah sie still an.

„Und – wirklich, Du willst hier bleiben?“

Noch war kein Wort über das jüngst Geschehene zwischen ihnen gefallen. Als Hortense aus dem Koupé stieg, hatte sie gleich gesagt. „Fang’ jetzt nicht davon an; in Deinem Zimmer werde ich Dir Alles erzählen.“ Und Lucie schwieg demgemäß völlig. Jetzt antwortete sie nur:

„Nein, ich bleibe nicht hier!“

„Nicht hier?“ fragte Hortense. „Ja, wie soll ich das verstehen? Was willst Du thun?“

„Das weiß ich noch nicht, aber hier bleibe ich nicht.“

„Dann bleibst Du bei mir. Entweder – oder! Etwas Anderes als dieses Beides giebt es doch nicht?“

„Bei Dir – –?“

„Ja, Lucie!“ Hortense war aufgestanden und umarmte sie. „Ich glaubte es nicht, daß Du wieder zu mir kommen würdest, ich dachte, Du würdest Dich jetzt fanatisch auf den Haushalt und die Kinder stürzen – um Dein Gewissen zu beruhigen. Desto besser! Ich kann Dich weniger als je entbehren.“

Du? Ich meine, Du wirst bald heirathen?“

„Eines schönen Tages einmal, ja!“

„Nun also!“

„Also? – Was geht das Dich an, uns an?“ Herr Weber wird den ganzen Tag auf dem Felde sein, oder im ‚Deutschen Hause‘ in A. oder auf der Jagd oder sonst irgendwo; Du siehst, ich habe mich genau orientirt. Es ist auch gut so, und Du ziehst mit in das Rokokoschloß, Lucie.“ Es klang sehr leichthin, und die junge Frau betrachtete dabei angelegentlich die kleine Silhouette von Luciens verstorbener Mutter, die sie von der Wand genommen.

„Mein Gott, Hortense,“ kam es leise über des Mädchens Lippen, „wie bist Du nur darauf gekommen, Dich mit ihm zu verloben?“

„Du fragst mich zuviel, Kind, ich weiß es nicht; den Hergang kann ich Dir ja erzählen, nur nicht, was ich dabei dachte.“ Sie hing das Bildchen wieder an den Nagel, lehnte sich gegen die Kommode und schlug die Arme über einander. „Als Du mich allein gelassen hattest,“ begann sie, „verlor ich den Kopf, das heißt – ich gerieth in einen unsagbaren Zustand von Angst und Aufregung; es war beinahe so wie vor einem Jahre. Ich hatte die größte Lust, hinüber zu laufen an die Elbe und hinein


Das Fraunhofer-Denkmal in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_149.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2023)