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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

unvermeidlich gewordenen neuen Krieges der diktatorischen Gewalt und mittels dieser des Scepters zu bemächtigen.

Es würde zu weit führen, wollten wir näher erörtern, in welchen Einzelheiten des Quellenmaterials Böthlink Beweise für seine überraschende Annahme zu finden glaubte. Diese Erörterung ist um so überflüssiger, da die Marotte durch Schirren und Wegele gründlich widerlegt ist.

So wäre denn die sensationelle Streitfrage noch heute fast im nämlichen Stadium wie vor nahezu neun Jahrzehnten, da sie zum ersten Male die Gemüther bewegte, wenn nicht durch Sybel einige Schriftstücke theils neu aufgefunden, theils durch scharfe und besonnene Kritik ins rechte Licht gesetzt worden wären, wodurch wenigstens die Hauptsache als aufgeklärt gelten kann.

Früher erblickte auch Sybel im Rastatter Ereigniß einen politischen Mord und in den österreichischen Staatsmännern, namentlich in Lehrbach, die Urheber. Freilich nur mittelbar die Urheber des Mordes, denn die Husaren seien einfach angewiesen worden, die Papiere der Gesandtschaft aufzuheben und etwa den frechen Jakobiner Bonnier ein Bischen zu „zaufen“, dieser Befehl sei von den Soldaten allzu gröblich vollzogen worden. Sybel berief sich schon für diese Auffassung auf ein mysteriöses Aktenstück, auf welches zuerst der Franzose Arnault in seinen „Souvenirs d’un sexagénaire“ („Erinnerungen eines Sechszigjährigen“) aufmerksam gemacht hatte. Arnault erzählte nämlich, er habe durch einen hohen Beamten in München vom Inhalte eines Protokolls eines pfalz-zweibrückenschen Gesandtschaftsattachés Grafen A… Kenntniß erhalten. Dieser habe in den kritischen Tagen nach dem Rastatter Attentat im Gasthof „Zum goldenen Hirschen“ zu München gewohnt und zwar zufällig in einem Zimmer neben demjenigen das Graf Lehrbach innehatte. Nächtlicher Weile habe er nun ein Gespräch des Grafen mit seinem Sekretär belauscht und, da er vernahm, daß es sich um das vielbesprochen Tagesereigniß handle, die Aeußerungen aufgeschrieben. Da habe er unter Anderem deutlich vernommen, daß die Husaren das Gesandtschaftsarchiv hatten erbeuten und Bonnier durchprügeln (houspiller) sollen, zum Verdrusse Lehrbach’s habe aber das Geraufe den bekannten blutigen Ausgang genommen.

Man kann Helfert, der gleichfalls die Frage erörterte, nicht ganz Unrecht geben, wenn er sagt, die ganze Behorchungsgeschichte leide an Unwahrscheinlichkeiten, wie man sie komischer kaum ersinnen könne. Obwohl er sich deßhalb geneigt fühlte, das lächerliche Zeugniß gänzlich von der Hand zu weisen, hielt er sich doch für verpflichtet, in München nachzufragen, ob man von einem solchen Dokumente etwas wisse. Wie überrascht war er, als das Vorhandensein bestätigt, zugleich jedoch die Herausgabe verweigert wurde! Helfert mußte sich also darauf beschränken, durch Aufdeckung von Widersprüchen in den Arnault’schen Mittheilungen unter einander und mit anderen beglaubigten Thatsachen „das Märchen vom Gasthofe ,Zum goldenen Hirschen‘ in seiner ganzen widersinnigen Richtigkeit darzustellen“.

Ehe noch dieses Räthsel seine Lösung fand, gelang es Sybel, ein paar Notizen im Wiener Kriegsarchiv aufzuspüren, welche an sich ziemlich dürftigen Eindruck machten, aber als werthvolle Glieder in die Kette der Untersuchungen über das Rastatter Trauerspiel sich einfügen ließen.

In den sogenannten Protokollbüchern, welche kurze Inhaltsverzeichnisse aller officiellen militärischen Schriftstücke enthalten, fanden sich allerlei Meldungen von Generalen und Officieren aus den letzten Tagen des April 1799, welche sich offenbar nur auf den Rastatter Ueberfall beziehen können. Unter Anderem wird rapportirt, die Anstalten seien jetzt so getroffen, „daß, wenn die Szeckler Husaren das Nest nicht leer finden, die Sache wohl nicht fehlen wird; hätte man nur ein paar Tage früher diesen Wunsch geäußert.“ Oberst Barbaczy berichtet, „was er in Folge eines geheimen Auftrags hinsichtlich der zur Abreise sich anschickenden französischen Gesandten bereits eingeleitet hat und noch ferner veranlassen wird“, zugleich fragt er an, „ob die aus badischen Truppen bestehende Eskorte dieser Gesandten feindlich zu behandeln sei.“ General Merveldt meldet, „daß dem Obersten Barbaczy die Beobachtung aller Vorsicht aufgetragen worden.“ Barbaczy „meldet die nahe Abreise der Franzosen“; er berichtet über eine unglückliche Begebenheit, die sich mit den französischen Gesandten zugetragen.“ „Befehl des Erzherzogs auf strengste Untersuchung.“

Aus diesen Briefauszügen ist im Zusammenhalt mit den übrigen bekannten Daten wenigstens die Thatsache mit absoluter Bestimmtheit abzuleiten: das österreichische Kommando hat ein Attentat auf die französischen Gesandten mehrere Tage vorher planmäßig vorbereitet, und österreichische Soldaten haben das Attentat in Scene gesetzt.

Daß nicht die Ermordung der Franzosen geplant war, scheint – abgesehen davon, daß so grobe Verletzung des Völkerrechts überhaupt kaum beabsichtigt sein konnte, – der Ausdruck Barbaczy’s „unglückliche Begebenheit, die sich mit den französischen Gesandten zugetragen,“ zu beweisen.

Glücklicherweise wurde in München an der Geheimhaltung jenes in der älteren Registratur des Ministeriums des Aeußeren verwahrten Schriftstücks nicht festgehalten. Von dem richtigen Grundsatz ausgehend, daß solche Geheimnißkrämerei unter allen Umständen dem Interesse eines Staates schaden müsse, überließ das Ministerium Herrn von Sybel eine Abschrift des Protokolls und Sybel veröffentlichte dieselbe in seiner „Historischen Zeitschrift“. Damit ist der Beweis geliefert, daß man es nicht mit einem „dummen Märchen“, wie Helfert die Münchener Protokollgeschichte nannte, zu thun habe, sondern mit einer zwar wunderlichen, immerhin aber beglaubigten Thatsache.

An der Echtheit und Authenticität des Schriftstückes, das heute einem Miscellaneenband des geheimen Staatsarchivs angehört, ist nicht zu zweifeln; auch der Inhalt bietet Details, die damals nur dem in alle diplomatischen Händel und Kriegspläne eingeweihten Lehrbach bekannt sein konnten. Helfert glaubte sich zu seinem abfälligen Urtheil über das „Fraubasengeschwätz“ hauptsächlich dadurch berechtigt, daß in einem der Protokolle Erwähnung geschehe einer von den Horchern angewandten Vorsicht, das Licht in ein Nebenzimmer bringen zu lassen, damit das ihre als ein dunkles und unbesetztes erscheine. „Dabei,“ spottete Helfert, „wurde nur vergessen, zu erklären, wie die Spione, jeder für sich, im Finstern ihre Aufzeichnungen machen konnten, die sie danach gegen einander verglichen und vervollständigten.“ Nun findet sich aber diese Bemerkung in den Originalprotokollen nicht, sie wurde vom Gewährsmann Arnault’s vielleicht nur eingefügt, um die Sache noch pikanter, den Vorgang nach seiner Ansicht noch glaubwürdiger zu machen. Der von Helfert gegen die „Behorchungsgeschichte“ erhobene Haupteinwand fällt also weg. Auch über die Ursache, welche die Nachbarn Lehrbach’s zum Horchen bewogen, war Arnault falsch berichtet. Aus den Protokollen erhellt, daß es sich so zu sagen um officielle Spionage handelte, es sollte ermittelt werden, ob Lehrbach in Wien zu Zeit so großen Einfluß genieße, daß es sich verlohne, ihn ins bayerische Interesse zu ziehen. „Es ist also keine bloß skandalsüchtige Neugier, um die es sich handelt, sondern eine politische Aktion, allerdings, wie etwa ein Maler sagen würde, mehr Genre als große Historie, immer aber scheint die Zuverlässigkeit der Aufzeichnung in diesem Zusammenhange nur zu gewinnen.“

In günstigem Licht erscheint nun freilich in dem „Wortgetreuen Bericht einer Unterredung, welche Graf Lehrbach und Herr R. R. in dem Hause Stürzer am 29. April 1799 zwischen 10 und 11 Uhr abhielten“, der Belauschte nicht. Da er nur den vertrauten Sekretär vor sich hat, giebt er sich, wie er ist, und er ist „scherzhaft, roh und konfus“, seine Ausdrucksweise erinnert stark an die Damen der Halle. Sehr wenig staatsmännisch muthet es an, daß er über ein paar Schriftstücke, sobald er nur die ersten Zeilen gelesen hat, sofort urtheilt und vor Freude oder Aerger schon außer sich geräth, ehe er noch weiß, ob auch der übrige Inhalt der Depesche mit dem Anfang übereinstimmt. Andererseits muß auf das Entschiedenste betont werden, daß gerade in diesen intimen Herzensergüssen kein Wort enthalten ist, aus welchem auf eine Anstiftung oder Mitwissenschaft geschlossen werden könnte, daß damit die Thatsache erwiesen ist: Lehrbach trägt keine Schuld an der Rastatter Mordthat.

Sechs Nächte lang belauscht ein Ungenannter das Zwiegespräch des Diplomaten mit seinem Sekretär, das sich vorzugsweise um das Vorgehen gegen die noch in Rastatt verweilenden Gesandten der deutschen Reichsstände und fremder Mächte dreht. In der ersten Nacht vom 29. April hat Lehrbach eine Nachricht erhalten, die ihm sofort einen Freudenschrei entlockt: der Erzherzog wird durch Barbaczy alle Minister aus einander jagen lassen! Diese Blamage gönnt Lehrbach seinen Kollegen von Herzen, insbesondere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_154.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)