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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Das erste Jahr im neuen Haushalt.
Eine Geschichte in Briefen.
Von R. Artaria.
III.
Neustadt, den 5. December 188 . 

Der erste Schnee, liebste Marie! Draußen stöbert er in dichten Flocken vor dem Fenster nieder, legt weiße Kissen auf die Bäume und Kohlstrünke in dem Gärtchen mir gegenüber und deckt auch mitleidig den fürchterlichen Straßenschmutz, in dem wir bisher waten mußten. Von der hochgelegenen Kirche ziehen sich vier große Schlammströme nach den verschiedenen Seiten nieder, und als ich mich neulich mit Rike durch einen davon mühselig herauf gearbeitet hatte und im Kaufladen am Markt meine Entrüstung aussprach, meinte die Frau freundlich lächelnd: „Ja, das wird jetzt nimmer anders bis zum Frühjahr!“

Eine nette Aussicht! Hier sollte Papa leben; dann könnte er sich seinen steten Jammer über die hohen Gemeindeanlagen für Straßenreinigung ersparen!

Aber was liegt an dem Schmutz draußen, wenn es innen so hell und behaglich ist, wie hier in unsern lieben vier Wänden! Wir sind so glücklich, liebstes Herz, daß mir manchmal eine plötzliche Angst aufsteigt, so könne es nicht fortgehen, weil das zu gut für sterbliche Menschen ist. Wir freuen uns Beide auf jede Stunde des Beisammenseins; Hugo sieht auf sein Junggesellenleben als auf einen erbärmlichen Zustand zurück, und mir kommen meine schönen Mädchentage jetzt wie ein leeres Treiben vor im Vergleich zu der Wärme, die nun mein Herz ausfüllt. Lieb hatten sie mich zu Hause ja Alle auch; aber auszusetzen fanden sie doch den ganzen Tag alles Mögliche an mir, während jetzt Alles recht und gut ist, was ich thue, und Hugo mir alle ganz natürlichen Eigenschaften zum Verdienst anrechnet. Er ist selbst ernsthaft, wie Du weißt; deßhalb entzückt es ihn, mich lachen zu hören, und ich glaube, er wird mir manche Dummheit nachsehen, weil sie mit gutem Humor begangen wird.

Indessen seit jenen schrecklichen Wäschetagen neulich, wo ich Abends, als Hugo im Museum und Rike im Bett war, Scherben mit verbrannten Ueberresten bei Nacht und Nebel hinunter trug und schnell in die große Hofgrube warf; seitdem habe ich mich gewaltig zusammengenommen und suche unbemerkt von Rike zu lernen. Es ist auch nur die Küche für mich das gefährliche Terrain – die Zimmer sind jetzt reizend; ich habe alle möglichen Verschönerungen ersonnen und heute eine glänzende Erfindung gemacht, auf die ich mir nicht wenig einbilde!

Ein Uebelstand war bisher fühlbar – wir hatten so wenig Bilder! Die Möbel und Teppiche waren so theuer, daß Mama vom Bilderkaufen absolut nichts hören wollte, und ich bekam zu Aussteuergeschenken wohl verschiedene Handtuchgestelle, drei Fischbestecke und zwei Eisservice, aber nicht ein Bild. Daß die Menschen daran nicht denken, wenn sie sich über ein Hochzeitsgeschenk den Kopf zerbrechen! Hugo, als ich ihm dies klagte, kaufte noch vor der Hochzeit ein paar große Photographien nach Defregger und ließ sie einrahmen; seine Mama steuerte hier einige von ihren alten Kupferstichen bei: „Les Délices“, „Amour maternel“ und ähnliche Dinge, die man gern ein Bischen hoch hängt. Nun, für den Salon, mein kleines Zimmer und das Eßzimmer reicht es eben; im Schlafzimmer aber war es mit der Kunst völlig zu Ende.

Das ärgerte mich seither, bis mir heute eine plötzliche Erleuchtung aufging! Ich lief und holte die große Mappe mit meinen sämmtlichen Aquarellstudien, Kopien und Bildern, die ja gewiß schlecht genug sind, aber immer noch besser als die gräßlichen Chinesenhäuschen der Schlafzimmertapete, suchte das beste Dutzend aus, nahm Reißnägel, klopfte und hämmerte, und jetzt solltest Du einmal sehen, wie nett es drüben geworden ist. Ueber meinem Bette hängt die berühmte Waldlandschaft, wegen ihrer dunklen Schatten von Bruder Adolf „das schwarze Kanapee“ genannt, geradeaus hübsche kleine Schweizeransichten, und Hugo wird künftig unter dem in Abendgluth erstrahlenden antiken Theater von Messina schnarchen. Ich kann es kaum erwarten, bis er heimkommt und die Ueberraschung sieht.

Du fragst in Deinem lieben, herzigen Briefe nach meinen neuen Bekanntschaften hier. Nun, unsere Besuche haben wir gemacht und dabei in die verschiedensten Häuslichkeiten gesehen, von dem reichen Lederfabrikanten an, dessen knallblauer Salon mit den goldenen Sesselrücken mir in den Augen wehethat, bis zu den verschiedenen Vorgesetzten und Kollegen Hugo’s herum; in einem Hause saßen Mutter und Töchter ehrbarlich, aber gar zu wenig lieblich um den Nähtisch; in dem andern sperrte nach längerem, leisem Parlamentiren aus der Küche hervor, während wir im dunkeln Hausgang standen, eine rußige Magd die „gute Stube“ auf, und wir mußten dort in der Kälte lange warten, bis endlich die verlegene Hausfrau erschien, und nach ihr der Gemahl in einem nichts weniger als sauberen Schlafrock.

Nur in drei oder vier Familien hatte ich einen angenehmen Eindruck, den behaglichsten und reizendsten von allen aber merkwürdiger Weise in dem wenigst eleganten Zimmer, bei einer alten Freundin Hugo’s und seiner Mutter, der verwittweten Oberstin von Baer, deren Söhne seine liebsten Jugendgenossen waren. Das alte Frauchen saß nett angezogen an ihrem sonnigen Fenster gegenüber dem Vogelbauer, unter einer Menge von Grün, das sich aus dem Blumentisch emporrankte. Sie begrüßte mich so herzlich, gab mir einen mütterlichen Kuß auf die Stirn und nannte mich „liebes Kind“: das that mir gar zu wohl. Und als wir nun bei ihr saßen, da sah ich mich im Zimmer um, woher doch der angenehme, wohnliche Eindruck komme. Aber ich wurde nicht klug daraus: die Möbel waren uralt, gar nicht hübsch, das Holz hellgelb geworden, die Ueberzüge verschossen, und trotzdem alles Einzelne unschön aussah, war es entschieden eine reizend gemüthliche Stube, und ich sprach das der alten Dame auch gleich aus.

„Was?“ erwiederte sie mir lachend, „die Besitzerin solcher Renaissanceherrlichkeiten findet meinen altmodischen Kram erträglich?“

Ich lachte auch; wir sprachen weiter, und sie sagte dann, ernsthaft werdend: „Sehen Sie, erstens hängen für mich Erinnerungen, liebe und schwere, an den alten Möbeln; man giebt immer ein Stück von sich auf, wenn man sie wegschaffen läßt; zweitens aber, meine ich, hat man gerade heut zu Tage die Pflicht, durch sein Beispiel der allgemeinen Sucht entgegen zu treten, mehr vorstellen zu wollen, als man ist. Es hat immer zweierlei Menschen gegeben: erinnern Sie sich in den ‚Lehrjahren‘ der hübschen Stelle vom alten Meister und seinem Freunde (ich erinnerte mich nicht, die ‚Lehrjahre‘ waren mir zu langweilig!), wo der Erste soviel auf exquisite Einrichtung, Bewirthung und Bedienung hält, daß er sich nur selten den Luxus einer Gesellschaft gestatten kann, während der Andere oft und gern Freunde einlädt, sich auf seine uralten Stühle niederzusetzen und von gemeinem Geschirr vergnügt zu speisen? Die erstere Sorte von Menschen nimmt jetzt überhand und ihr muß man entgegen arbeiten. Glauben Sie nicht, daß es wie eine Predigt wirkt, wenn eine unzufriedene Frau, die ihren Mann um neue Möbel quält, hier mein altes Kanapeechen sieht, auf dem ich nun schon seit fünfzig Jahren in aller Fröhlichkeit unbequem sitze? Warum ich mir nicht schon lange ein neues kaufte? Ja, sehen Sie, obwohl mir mein guter Alter jederzeit das Geld dazu gegeben hätte – früher achtete man nicht auf so etwas, und später, da war immer etwas Nöthigeres, für die Kinder, fürs Haus oder auch für eine arme Mutter, die mit ihren Fünfen in der kalten Stube saß. So blieb das Kanapeechen stehen, und jetzt ist es mir um den schönsten Sammetdivan nicht mehr feil!“

Das machte mir einen ganz merkwürdigen Eindruck; ich hätte nie geglaubt, daß man sich über alte, häßliche Möbel solche Gedanken machen könnte. Ich nahm mir im Stillen vor, diese Frau oft zu besuchen und auch gelegentlich um Rath zu fragen; denn ich bin gewiß, sie wird sich nicht über meine Unerfahrenheit lustig machen.

Es ist schrecklich, wie man bei den unschuldigsten Gelegenheiten immer wieder anrennen kann. So kam neulich Hugo, mich zu fragen, ob er wohl einige Herren, die früher seine Mutter manchmal für ihn bewirthete, einen Abend in seinem Zimmer haben könne. Natürlich sagte ich Ja; es würde ja sonst so ausgesehen haben, als ob ich ihn von Männergesellschaft zurückhielte. Ich ließ mir Alles von ihm angeben, was sie früher immer hatten: kaltes Fleisch, Salat etc., zum Schluß etwas Glühwein. Glühwein! Davon habe ich noch nie etwas gehört; er meinte, ich könne mir ja bei seiner Mama das Recept holen; das aber wollte ich nicht; ich sah rasch in meinem Kochbuch nach und fand es richtig: „Nimm drei Flaschen guten Rothwein etc. etc.“, stellte mich Nachmittags in die Küche, bereitete eine Probe des geheimnißvollen Trankes mit aller Sorgfalt, gab ihn Hugo zu kosten, der sehr entzückt davon war, und richtete dann Abends, ehe er heimkam, seine Stube wunderhübsch her. Du weißt, das Dekorative ist meine Stärke; ich deckte also auch die spitzenbesetzten Decken so zierlich auf als möglich; ich wollte mein reizendes Glasgeschirr, die hübschen Majolikateller und Bestecke zeigen. Freilich verstehen die Herren nichts davon; das ist immer ein schmerzlicher Gedanke; aber der Herr Oberamtmann konnte doch bei aller Begriffslosigkeit ein dunkles Gefühl bekommen von dem Unterschied dieses Tisches und dessen, welchen neulich Fräulein Frieda für uns gedeckt hatte. Er bog sich, sage ich Dir, unter einer Last von Essen, die für ein halbes Regiment genügt hätte; aber für’s Auge war nichts darauf, nur Teller, Bestecke und Gläser! Nun, also um sechs Uhr kamen die Herren; ich begrüßte sie, entfernte mich dann und schickte ihnen Eins ums Andere hinein; es wurde sehr lebhaft im Zimmer; ich hörte viel lachen; endlich gab ich Rike den Glühwein, in Bowlengläser eingeschenkt, mit dem Kuchenteller auf ein großes Servirbrett und freute mich, als sie mir, herauskommend, erzählte, er schmecke drinnen vortrefflich. Fünf Minuten darauf mußte nachgefüllt werden – die zweite Flasche leerte sich unheimlich schnell, die dritte zerstiebte nur so; auf einmal öffnet Hugo die Thür und ruft sehr heiter heraus: „Emma, noch mehr Glühwein, bitte!“

Rike und ich sahen uns sprachlos an. Wer konnte denn solch eine Völlerei für möglich halten! Und nun nicht einen Tropfen mehr zu haben!

Indem kam Hugo selbst heraus: „Nun?“

„Ach, liebster Mann,“ rief ich voll Verzweiflung, „wir haben ja gar nichts mehr!“

„Wie viel hattet Ihr denn?“

„Drei Flaschen!“

„Für acht Herren!“ lachte er. Mir waren die Thränen nahe. „Na laß nur gut sein,“ tröstete er, „Rike soll rasch einige Flaschen Weißen aus dem Keller holen, der thut es auch!“

Meine Empfindungen dabei wirst Du Dir vorstellen können. Hier war ich doch ganz unschuldig. Warum schreibt solch ein Kochbuch nur nicht: Männer trinken den Glühwein literweise! Da wüßte man doch, woran man ist, und brauchte –

Nein, dieser Hugo! Vorhin werde ich abgerufen; er kommt herein, liest Alles, auch die Wäschegeschichte, die ich ihm so schön verschwiegen hatte, und quält mich jetzt um Mehr davon. Aber nein! Nicht ums Leben erfährt er das. Ich soll Dir übrigens bestellen, das obengenannte Theater von Messina stehe in Taormina, und schnarchen thue er überhaupt nicht. Das ist auch richtig, es war nur eine poetische Wendung von mir! Und hiermit, liebstes Herz, sagt Dir heute Lebewohl Deine Emmy. 




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