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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Anna merkte es, und es that ihr wohl in ihrer Verlassenheit, da oben eine menschliche Seele zu haben, die treu an ihr hing; sie wollte sich nur etwas erwärmen an seiner Zuneigung, bei Leibe nicht selbst Feuer fangen; das wäre ihr jetzt unmöglich erschienen.

Inzwischen blieben alle Versuche des Mathias, David zu einer näheren Erklärung zu bringen, fruchtlos, und so war er wirklich sein Leibeigener geworden, der ihm unbedingt gehorchen mußte. Diese ewige Angst, diese Knechtschaft drückte ihn fast schlimmer als ein offenes Bekenntniß, und oft war er nahe daran, sich zu einem solchen zu entschließen. Nur seine Liebe zu Anna hielt ihn davon ab, wenn sie ihm auch hoffnungslos dünkte: er konnte doch nicht die Braut seines Opfers ehelichen! – Aber wenn er gestand, dann mußte sie ihn ja hassen, und den Gedanken ertrug er nicht.

So verging der Spätsommer. Mit den herbstlichen Blättern, die der Wind über das Grab Rupert’s wehte, war auch die ganze Unglücksgeschichte verweht. Ein neuer Jäger war gekommen und hier und da fiel, wie vorher, ein Schuß aus unbekannter Hand im Revier.

Die Arbeit im Buchenschlag war beendet. Unten am Abhange standen jetzt in langen Reihen die regelrecht geschichteten Klafter, die glänzenden Sägbäume! Wo noch vor Kurzem das grüne Laubdach sich ausbreitete im Sonnenschein, war jetzt Alles öd’ und kahl; krause Wurzeln ragten aus dem zerrissenen Erdreich, und die Stümpfe der abgesägten Bäume standen überall wie verstümmelte Glieder umher. Der Kobel wurde verlassen, den Herbststürmen und dem Winter preisgegeben.

Auch auf der Alm rüstete sich Anna zum Abzuge. Schon glänzte es von oben weiß herab und leicht konnte man vom Schnee überrascht werden.

Wie ging es sonst fröhlich her! Kränze wurden gewunden, Tannenzweige, mit bunten Bändern verziert, der schönsten Kuh im Nacken aufgebunden, die dann, wie stolz auf den Schmuck, der Herde mit ruhiger Würde voranging. Und im Thale unten liefen die Kinder dem Glockengeläute entgegen und führten jubelnd die geschmückten Rinder, den Stolz der hinterher schreitenden Almerin, ins Dorf hinein.

Davon war heuer nichts zu sehen. Anna war froh, von der Alm wegzukommen, wo sie Alles an das kurze Glück mit Rupert erinnerte. Wie freudig hatte sie sich diese Tage gedacht, wie hätte sie gerade heuer Alles aufgeputzt, wenn der Rupert an ihrer Seite mit hinuntergezogen wäre; es wäre ja ihr letzter Abzug gewesen und von der Alm sollte es in die Brautkammer gehen! – Ja, das war ein recht trauriger, schwerer Tag, und wer den Zug vorüberziehen sah, die herrliche Rinderschar, Alles strotzend von Gesundheit, von der ernsten Sennerin getrieben, die sich weder nach rechts noch nach links umsah, der mußte wohl merken, daß dem hübschen Mädchen Etwas schwer auf dem Herzen lag.

Auch Mathias war froh, als die Arbeit zu Ende ging; nun hoffte er doch endlich von David, der sich wie sein böser Geist an seine Fersen heftete, erlöst zu werden. Andrerseits war ihm aber auch sein einziger Trost genommen, der Verkehr mit Anna, der jetzt bei seinen inneren Gewissensfoltern, bei seiner Flucht vor der ganzen Welt der einzige Sonnenstrahl seines elenden Daseins war.

In Bezug auf David irrte er sich: er wich auch jetzt nicht von ihm. Ging ihm das Geld aus, so mußte Mathias welches schaffen, und bei der geringsten Weigerung nahm er eine drohende Miene an. Auch für die Winterarbeit, wo das Holz mit den Schlitten zu Thal gebracht werden sollte, wußte es David so einzurichten, daß er mit Mathias zusammenkam.

Dieser wehrte sich anfangs mit aller Kraft gegen solchen Frohndienst und leugnete immer wieder die That, aber David lachte nur zu seinen Versicherungen.

„Gieb Dir koa Müh’,“ sagte er dann, „i hab’s ja schwarz auf weiß, da nutzt koa Läugna!“

So unglaublich und räthselhaft das Mathias auch erschien: sein Gewissen flüsterte ihm zu, daß eben doch David sichere Anhaltspunkte haben müsse, und dann ergab er sich wieder und war froh, wenn nur der Andere reinen Mund hielt.

Auch die von Neuem in Mathias emporflammende Neigung zu Anna entging David nicht, und er machte diesem sogar Hoffnungen.

„Was war denn der Rupert? A Jaga! Du bist a Holzknecht! Krieagst no a Bisl was von dahoam. Das is a net schlecht’r und“ – fugte er hinzu, „wenn’st d’r Anna an Bräutigam g’nomma hast, muaßt ihr do wieder an andern verschaff’n!“

Mathias schauderte zwar bei dem Gedanken an diesen neuen Frevel. Deßwegen hatte er den Mord nicht begangen, so schlecht er auch war; der Haß, die falsche Scham, von dem Nebenbuhler gefangen und vor Anna’s Augen dem Gericht ausgeliefert zu werden, das hätte ihn zur That getrieben, die er schon tausendmal bereute. Aber David’s Worte klangen trotzdem in seinen Ohren nach; er fing an, sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, und war bald so weit, nichts Schlimmes mehr darin zu sehen. Der Kleine hatte gar nicht so Unrecht mit seiner Schlußfolgerung.

Vor der Hand aber stand das Alles im weiten Feld. Anna dachte wohl nicht an eine Heirath und als einfacher Holzknecht konnte er doch nicht um die Langhofbauerntochter anhalten.

Das Wildern schlug er sich jetzt ganz und gar aus den Gedanken; es hatte ihn ja zum Verbrecher gemacht, und so wollte er nichts mehr davon wissen. Dagegen beobachtete er seinerseits David um so genauer, von dem er ja wußte, daß auch er sich damit abgab. Nicht mit der Büchse, dazu war er zu feig, nein, nur mit der Drahtschlinge arbeitete er in stockfinsterer Nacht, gefahrlos. Aber er war zu schlau, Mathias erwischte ihn nie auf der That.

Der Winter war plötzlich mit aller Macht hereingebrochen. Das kleine Dörfchen sah mit seinen schwarzen Giebeln kaum mehr aus dem Schnee heraus. Drinnen in den Häusern saßen die Weiber und Mädchen beim Spinnen und Nähen, während das männliche Geschlecht die gute Schlittenbahn benutzte, um das Holz von den Bergen zu bringen.

Auch Anna saß mit der Mutter den ganzen Tag im warmen Stübchen beim Spinnen oder Wäscheausbessern. Da gab es wenig Abwechslung, ein Tag verging wie der andere.

Mathias mit dem von ihm unzertrennlichen David war beim Holzziehen. Der kühnste Fahrer weit und breit war er. Er hatte immer mindestens eine Ster Holz mehr auf dem Schlitten als alle Anderen und wenn er so, mit der schweren Last hinter sich, den Ziehweg herabsauste, daß der aufwirbelnde Schnee ihn ganz einhüllte, dann war ihm wohl, dann flohen die schwarzen Gedanken, die stummen nagenden Vorwürfe. Er achtete die Gefahr nicht, die damit verbunden war – ein Fehlgreifen mit den schweren eisernen Tatzen (Bremsen), mit denen der Schlitten gelenkt und zur rechten Zeit angehalten werden muß, und er lag mitsammt der Last zerschmettert im Abgrunde oder wurde zu Tode geschleift. Es war ein Vergnügen, ihn anzusehen, wie er, die muskulösen Beine weit vorgestreckt, mit nerviger Faust, mit sicherem Auge den Schlitten lenkend, in einer Wolke von Schnee herabgefahren kam – hinter ihm David, der nicht die Hälfte aufgeladen hatte, dafür aber Abends in der Waldkneipe, die für die Holzknechte eingerichtet war, doppelt so viel trank als Mathias, natürlich auf Kosten des Letzteren. Das war ein stilles Uebereinkommen zwischen Beiden, an dem Mathias schon lange nicht mehr zu rütteln wagte. Sein einziges Sinnen und Trachten ging jetzt dahin, auch im Winter einen Anknüpfungspunkt mit Anna zu finden. Die vollständige Geschiedenheit von ihr fiel ihm am allerschwersten. Ein glücklicher Zufall kam ihm dabei zu Hilfe.

Ein Holzknecht, der für die Langbäuerin arbeitete, verunglückte, indem er mit dem einen Fuß unter den Schlitten kam; sie brauchte Ersatz, und Mathias bot sich an; da er als tüchtiger Arbeiter bekannt war, hatte die Langbäuerin nichts dagegen einzuwenden. Das einzig mögliche Hinderniß war David; ohne dessen Einwilligung getraute er sich nicht, den Dienst zu wechseln.

Zu seinem Erstaunen hatte der nichts dagegen, rieth ihm sogar dazu: das sei für ihn die beste Gelegenheit, wieder an die Anna zu kommen. Mathias merkte wohl, was seine Absicht dabei war; aber für jetzt stellte er sich, als glaube er an David’s Uneigennützigkeit.

So kam Mathias in den Langbauernhof.

Anna empfing ihn freundlich wie immer; sie schien selbst froh zu sein über den neuen Hausgenossen.

Die langen Winterabende konnte er jetzt in der Stube bei ihr zubringen. Die Alte ließ sie nie allein; sie schien eine heimliche Abneigung gegen Mathias zu haben, der hier, von David, seinem bösen Dämon, erlöst, an der Seite Anna’s sein früheres heiteres Wesen wieder annahm.

Hier und da brachte die Mutter scheinbar absichtlich das Gespräch auf Rupert, als wolle sie sein Gedächtniß bei Anna

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_159.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)