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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


alten Barons, ein Major von Schenk, der in der Nähe Hohenbergs auf einem einsamen Landsitze hauste, und der Geistliche, der das Amen über das junge Paar sprechen sollte.

Erst am Tage der Hochzeit konnte der Bräutigam zurückkehren; Hortense schien damit einverstanden. Sie war von einer merkwürdigen Ruhe und Schweigsamkeit in dieser Zeit, so meinte der Großvater und so meinte Mademoiselle. Nur Lucie wußte es besser, sie allein sah das hastige Umherwandern bis tief in die Nacht, das Erbleichen, wenn der Briefbote keines der gelblichen quadratförmigen Kouverts abgab, die Waldemar Weber führte.

Und doch war es keine Sehnsucht nach ihm, die seine Briefe schmerzlich vermissen ließ, es war Angst und Unruhe, und unzählige Male täglich mußte Lucie hören, wie sie sprach: „Ob nicht etwas dazwischen tritt, Luz, etwas Schreckliches? Du weißt – Papa –.“

Erhielt sie ein Schreiben, so antwortete sie umgehend, aber es waren immer nur kurze Billetts und drei Zeilen ihrer großen energischen Handschrift füllten das kleine Stückchen Papier völlig aus. „Wenn er weiß, daß wir noch leben und unser Haus noch steht, was soll’s mehr?“ sagte sie, drückte den zierlichen mit der siebenzackigen Krone geschmückten Namenszug auf das purpurrothe Siegellack, und dann seufzte sie, als hätte sie eine schwere Arbeit hinter sich.




Ein paar Tage vor der Hochzeit fuhren Hortense und Lucie spazieren; Erstere klagte über Kopfweh. Im Hause ward gehämmert und gepocht; das Zimmer, in dem die Trauung stattfinden sollte, das sogenannte „Gewölbe“, im ältesten Theile des alten Hauses, wurde mit Teppichen belegt, der Lärm ängstigte die junge Frau so sehr, daß sie flüchtete. Sie fuhren durch die engen heißen Gassen und plötzlich bog der Kutscher in die Wasserstraße ein, Lucie erschrak, es war die Straße, in der sein Haus lag. Sie wandte den Kopf zur andern Seite, aber – siehe da! – auf dem schmalen Bürgersteig ging die Frau Steuerräthin in langsamem, würdevollem Schritt, und vor ihr eine riesengroße Gestalt im Rembrandthute, welchen wallende Federn schmückten, und im bunten Cretonne-Kleid. Jetzt war der Wagen neben ihnen, Lucie bückte sich nach dem Taschentuche, das ihr entglitten, sie entging dadurch dem Blick der alten Dame, aber den zwei blauen neugierigen Mädchenaugen entging sie nicht: sie sahen sich einen kurzen Moment an, die Beiden, und Luciens Herz pochte laut und weh. Wie kraftlos sank sie in die Polster zurück.

„Wer war denn das?“ fragte Hortense, ohne des Mädchens Erregung zu bemerken. Lucie wußte es wohl, aber sie brachte es nicht über die Lippen.

„Nun, wenn man diese Dame statt der Germania auf das Postament im Niederwald gestellt hätte, so könnten sich die Reisenden der Dampfschiffe nicht mehr beklagen, daß sie allzu winzig erscheine. Ich vermuthe, Schatz, hier ist Jahrmarkt und das Riesenweib ist ausgebrochen. Hast Du sie gesehen, Luz?“ Und Hortense hielt sich das Tuch an die schmerzende Schläfe und bemerkte nicht, daß sie keine Antwort bekam.

Ein Klingeln scholl hinter ihnen; Lucie kannte den durchdringenden lauten Ton der Glocke, und hatte ihn doch nur einmal gehört; es war die Glocke an dem kleinen Hause Doktor Adler’s. Jetzt tritt sie dort ein, und er steht auf der Schwelle, sie zu erwarten. Der Gedanke überkam sie mit erstickender Gewalt, am liebsten wäre sie aus dem Wagen gesprungen.

Als sie gegen Abend zurückkehrten, lag ein Brief des Doktor Adler auf dem Tische der jungen Frau. Er bedauerte darin, daß er die Einladung zum Hochzeitsdiner nicht annehmen könne, da er Schwerkranke auswärts besuchen müsse.

„Nun,“ sagte Hortense, „er hat Takt,“ und warf den Brief in den Papierkorb. „Daß Weber ihn einladen mußte, wirst Du begreifen; aber wir erwarteten es nicht anders, als daß er ablehnt.“ Lucie nickte stumm. Abends bei Tische fragte Hortense: „Wissen Sie nicht, Mademoiselle, wer die riesengroße junge Dame ist, die sich in hiesiger Stadt aufhält?“

„Riesengroß, mit einem Rembrandthute?“ erkundigte sich Mademoiselle.

„Jawohl, und strohblond und rosenroth –“

O mon dieu! Das ist doch die Verlobte, das heißt die zukünftige Verlobte des Herrn Doktor Adler –“

Hortense legte Gabel und Messer hin und lachte, daß ihr die Thränen ins Auge traten, die sie mit der Serviette abtrocknete.

Mais, c’est vrai!“ murmelte Mademoiselle mit einem scheuen Blick auf Lucie. „Was ist da zu lachen?“

„Kinder, wie ist es möglich!“ rief Hortense, als sie wieder zu sich kam, ohne Lucie anzusehen. Dann ward sie ernst und drückte dem Mädchen die Hand. „Mein guter Liebling!“ Und als sie das blasse Gesichtchen erblickte, flüsterte sie: „Kind, habe ich Dir weh gethan? Es ist so komisch! – Lache doch mit, lache, es ist das Beste, was man thun kann; man lacht über die Komödie, die Leben heißt.“

Aber Lucie konnte nicht lachen.

Und nun war Alles bereit zur Hochzeit. Der schöne, gewölbte Raum, in dem die Trauung stattfinden sollte, sah vornehm und feierlich aus, durch die alten Glasmalereien fiel buntes Licht über den weißen Altar, der mit Orangerie umstellt war. Von der Schlußrosette des Gewölbes hing ein alter Messingkronleuchter, mit vielen Wachskerzen besteckt, herab; einige teppichbelegte Stufen führten zum Speisesaal empor. Dort stand die kleine Tafel im reichen Schmuck von Silber, Krystall und Meißner Porcellan. Die Dienstleute waren bemüht gewesen, nach ihrer Weise das Haus festlich zu schmücken mit Guirlanden und Kränzen.

Hortense fand es entsetzlich. „Sie haben womöglich noch bunte Schleifen an die Pferdeköpfe oder an die Peitsche gebunden,“ sagte sie zu Lucie. Sie stand am Fenster und wartete auf den Wagen, der den Bräutigam vom Bahnhofe bringen sollte.

Es war um die Mittagsstunde am Tage vor der Hochzeit. Die junge Frau hatte ein weißes gesticktes Battistkleid angezogen und ein paar gelbliche Rosen statt einer Brosche vorgesteckt. Rosen dufteten in allen Vasen und Schalen ihres Zimmers. Auf einem kleinen Tische ordnete Lucie verschiedene Hochzeitsgeschenke, die angelangt waren; es befanden sich prachtvolle Schmucksachen darunter von der Mutter des Bräutigams und dessen Geschwistern. Doktor Adler hatte eine Majolikavase geschickt, mit Rosen gefüllt, Mademoiselle’s Wappenkissen lag daneben.

Hortense hatte schon verschiedentlich den Kopf gewandt und die Uhr auf dem Schreibtische mit den Blicken gestreift. „Wo nur der Wagen bleibt?“ fragte sie endlich.

„Der Zug wird Verspätung haben,“ antwortete Lucie.

„Nein – ich hörte deutlich das Pfeifen.“

„Dann wartet Herr Weber vermuthlich auf den Zug von Hamburg – er kommt eine Viertelstunde später – um den Bruder gleich mitzubringen.“

Hortense zuckte ungeduldig die Schultern. „Es wäre nicht gerade galant.“

Nun rasselte es vor dem Thorweg, und gleich darauf fuhr der Wagen in den Hof ohne einen Insassen, leichenblaß wandte sich die junge Frau um. „Er ist nicht mitgekommen,“ sagte sie scheinbar ruhig.

„In zwei Stunden kommt wieder ein Zug, Hortense.“

„Herr Gott, Luz, Deinetwegen könnte die Welt untergehen und Du hättest auch dafür eine Erklärung!“ rief die junge Frau und ihr zierlicher Fuß trat den Teppich.

Lucie blickte verwundert auf. „Aber ich weiß nicht –“

„Nein Du weißt nicht – aber ich! Er kommt nicht, er kommt überhaupt nicht! Er hat seit vorgestern nicht geschrieben, er hat vermuthlich –“ Sie brach ab. „Ich weiß nicht, wie es werden soll, wenn – wenn –“ murmelte sie.

„Aber, liebes Herz, wie kannst Du Dich nur in solche Aufregung hineinreden?“ begütigte Lucie und kam zu ihr herüber.

„Das begreifst Du natürlich nicht,“ rief Hortense, „weil das Schicksal Dir noch nie einen hämischen Streich gespielt hat; wen es aber so gemartert wie mich, der – o, ich bin auf Alles gefaßt.“

„Du bildest Dir ein, er könnte von Deinem Vater gehört haben?“

„Und wäre Das so unmöglich? Der ist wahrhaftig bekannt genug! Es wäre viel eher ein Wunder, wenn er –“

„Nun, und gesetzt den Fall, er träfe irgend Jemand im Koupé, der ihm gesprächsweise erzählte: ‚dieser Herr von Löwen ist ein ehrvergessener Mensch‘ – glaubst Du, daß Weber auf der folgenden Station umsteigen und den nächsten Zug zur

Heimkehr benutzen würde? Schäme Dich, Hortense, daß Du dem

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